Das Rennen um den Meistertitel war so spannend wie lange nicht. Titelverteidiger YB, das sensationelle St.Gallen und der einstige Branchenleader Basel lieferten sich einen Dreikampf, erst in der vorletzten Runde waren die Berner zum dritten Mal in Folge Champion. Auch gegen den Absturz auf den Barrageplatz blieb es bis ganz zuletzt spannend. Aus neutraler Sicht war es eine sehr attraktive Saison.
Sein Name dient als Erinnerung dafür, wie lange diese Saison war. Denn als sie begann, gab Ex-Nationalspieler Valon Behrami sein Debüt in der Super League. Gefühlt ist das ewig her. Vom FC Sion als Königstransfer ins Wallis geholt entpuppte sich der Wechsel Behramis als Fehler. Er bestritt nur vier Meisterschaftsspiele und verschwand in der Winterpause nach Italien, wo er mit Genoa in der letzten Runde den Abstieg aus der Serie A verhindern konnte.
Das unser aller Leben beherrschende Thema legte den Spielbetrieb lahm. Rund vier Monate lang konnten zwischen Ende Februar und Ende Juni keine Partien stattfinden. Danach durfte vor höchstens 1000 Zuschauern gespielt werden, so dass die Pokal- und Medaillenübergabe an Meister YB den Charakter eines Grümpelturniers erhielt.
13 Runden standen in 45 Tagen an. Während einige Protagonisten sich darüber beklagten, sah es YB-Mittelfeldspieler Vincent Sierro anders: «Ich fand das toll, wir hatten kein Training, sondern immer nur Spiele.» Der feuchte Traum jedes Hobbyfussballers wurde wahr. «Wenn mir vor einem Jahr einer gesagt hätte, wo wir uns jetzt befinden, hätte ich an einen Science-Fiction-Film, einen Hollywood-Blockbuster gedacht», sagte Claudius Schäfer, der CEO der Swiss Football League.
Luzerns Goalie Marius Müller bestritt fast alle Spiele von der ersten bis zur letzten Minute – nur gestern im bedeutungslosen Kehrausspiel gegen Basel überliess er seinen Platz dem Ersatzkeeper Simon Enzler. In der Hitliste der Dauerbrenner sind ganz vorne vor allem Torhüter zu finden. Von den Feldspielern bestritten die 37-jährige Xamax-Lebensversicherung Raphael Nuzzolo und das 18-jährige St.Galler Abwehrtalent Leonidas Stergiou die meisten Minuten. Stergiou verpasste in 36 Runden nur zwei Spiele wegen einer Blessur und wurde in einer Partie ausgewechselt. Ansonsten spielte er durch – und sah als Abwehrchef bloss eine einzige Gelbe Karte. Der Toggenburger kann eine grosse Karriere hinlegen.
Meister YB hatte die Champions League verpasst und schied in der Europa League in der Gruppenphase aus, ebenso wie Lugano. Luzern und Thun scheiterten schon in der Qualifikation für die Europa League. So war es wieder einmal Basel, das europäisch für Aufsehen sorgte – und darauf hofft, dies noch weiter zu tun. Denn am Donnerstag, fünf Monate nach dem Hinspiel, tritt der FCB zum Achtelfinal-Rückspiel gegen Eintracht Frankfurt an. Dank einem 3:0-Auswärtssieg hat Basel beste Aussichten, das Finalturnier der Europa League zu erreichen. Es würde im Viertelfinal auf Wolfsburg oder Schachtar Donezk treffen.
Die Zuschauerzahlen lassen sich aufgrund der Corona-Massnahmen nicht mit früheren Saisons vergleichen. Fakt ist, dass das Ausbleiben der Fans die Klubs massenhaft Geld gekostet hat. Als Beispiel der FC St.Gallen, der bei seiner grandiosen Saison in der Rückrunde bestimmt fast immer ein ausverkauftes Stadion gehabt hätte: Laut Präsident Matthias Hüppi entgingen dem Klub so pro Spiel zwischen 450'000 und 500'000 Franken.
𝐄𝐔𝐑𝐎𝐏𝐄 𝐍𝐎𝐔𝐒 𝐕𝐎𝐈𝐋𝐀
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🤩 Pour sa 130e année d’existence, le Servette FC retrouve sa place naturelle, celui d’un club européen ! #PlusFortsEnsemble pic.twitter.com/SmRKRnIutM
Hinter dem Spitzentrio lieferte Alain Geigers Servette hervorragende Arbeit ab. Belohnt wird diese mit Rang 4 – der Aufsteiger aus Genf spielt in der nächsten Saison im Europacup. Hinzu kommen Léman-Derbys gegen Aufsteiger Lausanne. Beste Voraussetzungen dafür, dass die Genfersee-Region wieder stärker in den Fokus der Fussballschweiz rückt.
Im Wankdorf – seit wenigen Wochen trägt das vormalige Stade de Suisse wieder seinen historischen Namen – ist YB eine Macht. Die Berner beendeten die Saison zuhause ungeschlagen, sie gewannen 16 Mal und spielten zwei Mal Unentschieden, das war noch am Anfang der Saison. Seit Ende September gilt: Spielt YB im Wankdorf, gewinnt es auch.
Seit sechs Jahren ist Guillaume Hoarau bei den Berner Young Boys – in dieser Zeit hat er sich zum unangefochtenen Publikumsliebling gemacht. 118 Tore in 187 Spielen sind das eine, sein Wesen und Auftritte als Musiker das andere. Auch dank der vielen Hoarau-Treffer wurde YB drei Mal in Folge Meister, wobei es in dieser Saison harzte. Der oft verletzte Franzose schoss in 17 Einsätzen nur zwei Tore. Im Zusammenhang mit dem lädierten Körper keine guten Argumente für einen neuen Vertrag. Der 36-Jährige würde gerne bleiben – doch will ihn sich YB noch leisten und wird Hoarau den zweifellos tieferen Lohn akzeptieren?
Die Super League ist eine Ausbildungsliga und das ist nicht bloss Gerede. Schon vor der Coronakrise, die vielen jungen Spielern ihr Debüt ermöglichte, setzten viele Trainer – manchmal gezwungenermassen – auf die Jugend. Auf die Spitze trieb es Peter Zeidler: Er stellte einen FC St.Gallen auf, der im Schnitt 22,8 Jahre jung war. Auf der anderen Seite dieser Rangliste finden wir Xamax, dessen Startelf im Durchschnitt 27,9 Jahre alt war. Routine ist nicht immer Trumpf, wie sich angesichts des Abstiegs der Neuenburger festhalten lässt.
Get innn there 🙅🏼♂️ - what a win so happy we made it !!! 💪🏼❤️🙏🏻 #NeverGiveUp pic.twitter.com/LVq9C2M5uL
— Pajtim Kasami (@PajtimKasami) August 4, 2020
Erst in der letzten Runde stellte der FC Sion den Ligaerhalt sicher – einmal mehr klafften die Erwartungen von Präsident Christian Constantin und die Realität meilenweit auseinander. Sion war oft so schlecht, dass es beinahe einem einzigen Spieler zu verdanken war, dass die Barrage verhindert werden konnte: Pajtim Kasami. Seinen Wert bewies er im entscheidenden Spiel gestern zum letzten Mal in dieser Saison: Ein Tor und ein Assist beim 2:1-Sieg in Genf. Kasamis Vertrag im Wallis läuft aus und es ist ihm nicht zu verübeln, wenn er weiterzieht. «Der Klub wird ihn verlieren. Das ist bedauerlich, aber Pajtim muss höhere Ziele anstreben», gesteht selbst Sions Trainer Paolo Tramezzani.
Der FC Basel ist zwar in der Europa League auf Viertelfinalkurs, steht im Schweizer Cup im Halbfinal und hat die Meisterschaft auf Rang 3 beendet. Doch die Saison war dennoch eine verkorkste, besonders neben dem Platz. Im Zuge der Coronakrise drang ein Streit um den Lohnverzicht der Spieler an die Öffentlichkeit, Präsident Bernhard Burgener stand ein weiteres Mal in der Kritik. Zudem soll er sich auch mit Mitbesitzer David Degen überworfen haben, die FCB-Fans hat Burgener ohnehin gegen sich. Schlechte Voraussetzungen, YB wieder vom Thron zu verdrängen.
Wie stolz ist wohl eine Mutter, wenn ihr Sohn das erste Mal in der Super League spielen darf? Wie stolz ist ist wohl eine Mutter, wenn gleich zwei Söhne in der Super League spielen dürfen? Die Mutter von Marco und Christian Schneuwly müsste das wissen wie keine andere: Ihre beiden Söhne bestritten zusammen schliesslich schon 637 Partien in der höchsten Schweizer Liga – Rekord für ein Brüderpaar. Stürmer Marco (334 Einsätze) beendete seine Karriere unlängst, während Mittelfeldspieler Christian seinen 303 Spielen weitere hinzufügen möchte. Nachdem der Freiburger im letzten Sommer den FC Luzern verliess, stieg er mit Lausanne auf.
Jean-Pierre Nsame ist unbestritten der Spieler der Saison. 32 Einsätze, 32 Tore – eine Wahnsinns-Bilanz. Der 27-jährige Kameruner hat damit den Super-League-Rekord (seit Bestehen der Zehnerliga 2003/04) von Seydou Doumbia um zwei Treffer verbessert. Gut für YB, dass Nsame noch einen Vertrag bis 2023 hat. So kann es mit einem Transfer des Super-League-Spielers mit dem höchsten Marktwert (7 Mio. Euro) schönes Geld verdienen.
Nsame ist mit 32 Toren der beste Torschützenkönig in der Zehnerliga seit 2003.
— Philippe Guggisberg (@PhilGuggisberg) August 3, 2020
Auch in 87 Liga-Saisons seit 1933 trafen nur Kielholz (40, 33/34), Eriksen (36, 87/88) und Risi (33, 75/76) öfter.
Ebenfalls 32: Fatton (49/50), Hügi (52/53), Meier (52/53), Vukosavljevic (55/56)
Andris Vanins ist am 30. April 1980 auf die Welt gekommen – und dank diesem Geburtstag auch ein neuer Rekordhalter. Denn er ist nun der erste Über-40-Jährige, der in der Super League (seit Bestehen der Zehnerliga 2003/04) zum Einsatz gelangte. FCZ-Trainer Ludovic Magnin gönnte dem Letten gestern ein Abschiedsspiel und lange sah es nach einem erfreulichen Abend aus. Doch dann kassierten die Zürcher gegen Thun nach einer 3:0-Führung doch noch den Ausgleich.
40 Spieler mussten früher duschen gehen – also etwa einer in jedem fünften Spiel. Die Zahl ist markant höher als zuletzt: 2018/19 gab es 26 Platzverweise, 2017/18 flogen 31 Spieler vom Platz und 2016/17 sahen 29 Spieler Gelb-Rot oder direkt Rot. Über die Gründe für den Anstieg kann man nur spekulieren. Gut möglich, dass die Einführung des Videoschiedsrichters (VAR) einen Einfluss hat. Kartenkönige sind Basel-Verteidiger Omar Alderete (2x Gelb-Rot, 1x Rot) und der (offensive!) Xamaxien Samir Ramizi (13x Gelb).
Der 26-jährige Spanier, der im Nachwuchs des FC Barcelona ausgebildet wurde, ist der Chef der ruhenden Bälle. Jordi Quintilla zirkelte vier Freistösse ins Tor und verwandelte alle sechs Penaltys, zu denen er anlief. Seine Standard-Stärke ist einer der Gründe für die so erfolgreiche Saison des FC St.Gallen.
Für den ruhmreichen Grasshopper Club heisst es auch in der nächsten Saison: Challenge League. Nach dem Einstieg chinesischer Investoren ist die Fussballschweiz gespannt darauf, wie GC dies angehen wird. Ziel bleibt jedenfalls die Rückkehr in die Super League.
Dass die Meisterschaft spannend war, lag nicht alleine am überraschend guten FC St.Gallen – sondern auch am inkonstanten Titelverteidiger YB. Ihre beste Serie legten die Berner dann hin, als es richtig zählte: Die letzten sechs Spiele der Saison gewannen sie alle. Bemerkenswerte Fakten: Xamax konnte nie zwei Spiele hintereinander gewinnen, der FCZ mit dem zunehmend schärfer kritisierten Trainer Ludovic Magnin verlor vor dem 3:3 gegen Thun sechs Mal in Folge und Sion musste zwischen nach dem 30. November 2019 über ein halbes Jahr oder zwölf sieglose Spiele auf den nächsten Sieg warten, den es am 8. Juli 2020 holte.
Eine äusserst erstaunliche YB-Serie läuft seit dem 23. April 2017. Seither haben die Young Boys in mittlerweile 115 Meisterschaftsrunden nie zwei Spiele am Stück verloren.
Die Übungsleiter sassen einigermassen fest im Sattel, es gab schon mehr Trainerwechsel. Vier Klubs tauschten den Trainer in dieser Saison, Sion als einziger zwei Mal. Recycling war angesagt: In Luzern wurde Thomas Häberli durch Fabio Celestini ersetzt, der zuvor in Lugano entlassen wurde. Für ihn übernahm im Tessin Maurizio Jacobacci, unter anderem ehemaliger Sion-Trainer. Neuchâtel Xamax versuchte den Abstieg mit seinem Ex-Trainer Stéphane Henchoz zu verhindern, der die Saison als Sion-Coach begonnen hatte.
Erstmals in der Schweiz stand den Schiedsrichtern ein VAR zur Seite. Dadurch lernten wir, dass sich ein Torhüter keine Millisekunde zu früh einen Millimeter zu weit nach vorne bewegen darf, wenn er einen Penalty abwehren muss. Einzelne fragwürdige Entscheide täuschen darüber hinweg, dass die Einführung des Videoschiedsrichters ingesamt wohl schon zu besseren, faireren Entscheidungen geführt hat.
Spielt der FC Vaduz schon bald wieder in der Super League, erstmals seit dem Abstieg im Sommer 2017? Es wäre die insgesamt fünfte Saison der Liechtensteiner in der höchsten Schweizer Liga. Doch dazu muss Vaduz sich in der Barrage gegen den FC Thun durchsetzen, das Hinspiel ist am Freitag im Ländle, das Rückspiel am Montag in Thun.
Bald feiert er seinen 38. Geburtstag – Zeit, um Fussball- und Handschuhe an den Nägel zu hängen. YB-Goalie Marco Wölfli bestritt zum Abschluss der Saison sein 371. und letztes Meisterschaftsspiel. Lange stand der elffache Nationalspieler als Symbolfigur für das ewige Scheitern der Young Boys kurz vor dem Ziel, ehe ihn Fortuna im Karriereherbst mit drei Titeln in Folge doch noch reich beschenkte.
«Wunder gibt es immer» ist der Titel eines Schlagerlieds von Katja Ebstein, doch im Fussball sind Wunder nicht weniger selten als im richtigen Leben. In der Vorsaison konnte Neuchâtel Xamax den Abstieg auf wundersame Weise verhindern, weil es Aarau fertigbrachte, in der Barrage trotz eines 4:0-Siegs auswärts im Hinspiel den Aufstieg noch wegzuschmeissen. In dieser Saison fehlte Xamax das Wettkampfglück – und die Strategie, auf junge Spieler zu setzen, wurde bloss angekündigt, aber nicht in die Tat umgesetzt. Zwar konnte sich der Klub auf den 37-jährigen Raphael Nuzzolo verlassen, doch Xamax hätte nicht einen Nuzzolo benötigt, sondern elf.
An den 5. Juli 2020 wird sich Eloge Yao nicht gerne zurück erinnern. Bei der 0:3-Niederlage in Bern erzielt der Lugano-Verteidiger von der Elfenbeinküste gleich zwei Eigentore. Dabei hatte er doch schon zwei Wochen vorher gegen Servette ins falsche Tor getroffen. Ins richtige traf Yao in 30 Saisoneinsätzen nie.
Der Start der neuen Saison ist für den 12. September vorgesehen. Doch unter welchen Bedingungen wird dann gespielt werden? Dürfen wieder mehr Fans im Stadion dabei sein? Oder müssen die Klubs weiterhin weitgehend auf Zuschauer verzichten? Der Fernsehvertrag der Super League gilt noch bis 2021, bald muss er neu ausgehandelt werden. Nachdem sich die beiden Hauptkonkurrenten Teleclub (Swisscom) und MySports (UPC) zuletzt über eine Zusammenarbeit geeinigt haben, drohen dem Schweizer Klubfussball sinkende TV-Einnahmen. Alles in allem bleibt die finanzielle Lage für die Klubs höchst angespannt.