Im roten Schweizer Fahnenmeer am vergangenen Sonntag in Frankfurt war die Fahne gut getarnt. Aber der aufmerksamen Beobachterin sind sie nicht entgangen, die grossen, gelben Buchstaben – UCK – und der zweiköpfige schwarze Adler. Bei der Fahne, die im Schweizer Fansektor geziegt wurde, handelt sich um eine Flagge der Befreiungsarmee des Kosovos, «Ushtria Çlirimtare e Kosovës» auf Albanisch, kurz UCK.
Es dauerte nicht lange, bis das Bild der Fahne im Schweizer Fansektor den Weg in die sozialen Medien fand, wo sie eine hitzige Diskussion auslöste. Mehreren Nutzern stiess das UCK-Logo sauer auf, so auch der serbischen Zeitung Kurir, die von einem «Skandal» und von «beschämenden Provokationen» spricht. Der «Kurir» fordert die UEFA in einem sarkastischen Ton dazu auf, sich zu fragen, «ob die Flagge einer Terrororganisation in einem Stadion sichtbar sein dürfe.»
Die UCK ist nicht etwa eine Fanvereinigung, sondern eine paramilitärische Organisation, die von Kosovo-Albanern in den 1990er Jahren gegründet wurde. Die UCK führte gegen Serbien ab 1996 einen bewaffneten Kampf für die Unabhängigkeit des Gebiets Kosovo, das damals zu Serbien gehörte, aber von einer albanischen Mehrheitsbevölkerung bewohnt wurde.
Der Organisation wird unter anderem vorgeworfen, einen Handel mit Organen serbischer Gefangener aufgebaut zu haben. Mehrere ihrer Anführer wurden vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt. Einer der Angeklagten, Salih Mustafa, wurde im Jahr 2022 wegen Mordes, Folter und willkürlicher Inhaftierung zu 26 Jahren Haft verurteilt.
Die «Frankfurt-Affäre» erinnert an ein früheres Intermezzo der Nati. Im Oktober 2021, nach einem Spiel zwischen der Schweiz und Nordirland im Stade de Genève, gelangte ein Zuschauer nach dem Schlusspfiff auf das Spielfeld und legte Xherdan Shaqiri mitten in einem Live-Interview eine Jacke mit dem UCK-Logo auf die Schultern. Der Nati-Star mit kosovarischer Wurzeln zog die Jacke aus und war bemüht, in der Interaktion mit dem Fan distanziert zu bleiben. Noch am selben Abend verurteilte der Schweizerische Fussballverband (SFV) die Aktion in einer Medienmitteliung:
So sorgte wohl auch die UCK-Fahne im Stadion in Frankfurt für rote Köpfe bei den SFV-Verantwortlichen.
Bei der WM 2022 löste Nati-Captain Granit Xhaka, ebenfalls kosovarischer Herkunft, nach dem Sieg gegen Serbien (3:2) eine Kontroverse aus: Er hatte das Trikot seines Teamkollegen Ardon Jashari verkehrt herum getragen, sodass dessen Name deutlich auf Xhakas Brust zu sehen war. Obwohl der Captain dies bis heute nie bestätigt hat, sahen in dieser Geste viele eine Hommage an Adem Jashari, ein UCK-Anführer, der 1998 von serbischen Streitkräften getötet wurde.
Eine Frage bleibt: Wie kann ein Banner einer paramilitärischen Gruppe so einfach die Eingangskontrolle passieren und mehr als eineinhalb Stunden lang sichtbar in einem EM-Stadion hängen bleiben?
Dass dies am Sonntag möglich war, ist erstaunlich, denn die von der UEFA eingesetzten Sicherheitskräfte sind eigentlich sehr streng, was die Botschaften auf den Fahnen der Fans betrifft: Bei der EM 2016 im Spiel zwischen der Schweiz und Rumänien durften Waadtländer Nati-Fans nicht einmal ihre Kantonsflagge in den Parc des Princes in Paris mitnehmen. Und das aus gutem Grund: Der Sicherheitsdienst, der offenbar wenig über die geografischen Verhältnisse der Schweiz wusste, befürchtete, «dass die Aufschrift ‹Freiheit und Heimat› eine Botschaft vermitteln könnte, die über die Unterstützung eines Teams hinausgeht», erklärte 24 Heures.
Die Kontroverse um die UCK-Flagge ist nicht die erste um Kosovo, Albanien und Serbien während dieser EM. Mehrere Fans und Spieler beider Lager – auf der einen Seite die Kosovaren und Albaner, auf der anderen die Serben – nutzten das Turnier als Bühne für hasserfüllte politische Botschaften. Da war zum Beispiel der albanische Stürmer Mirlind Daku, der nach dem Spiel gegen Kroatien am Mittwoch dabei gefilmt wurde, wie er beleidigende Lieder gegenüber Nordmazedonien in ein Megaphon sang. Er wurde von der UEFA für die nächsten beiden Spiele gesperrt. Hinzu kam eine Busse von 25'000 Euro, welche die UEFA dem albanischen Verband aufbrummte.
Während desselben Spiels hörte man albanische und kroatische Fans rufen: «Töte, töte, töte die Serben!» Daraufhin drohte der serbische Verband damit, aus dem Turnier auszutreten, wenn die UEFA die albanischen und kroatischen Verbände nicht sanktionieren würde. Und während des Spiels zwischen England und Serbien sorgte ein kosovarischer Journalist für eine Kontroverse, indem er mit seinen Händen den albanischen Doppeladler zeigte. Seine Aktion hatte den Entzug seiner Medien-Akkreditierung zur Folge.
Aber auch Serbien goss Öl ins noch immer lodernde Feuer. Der Verband wurde von der UEFA wegen unangemessenen Verhaltens seiner Fans bei der EM mit einer Geldstrafe von 14'500 Euro belegt. Die Vorwürfe: Das Zeigen nationalistischer Flaggen – darunter die einer paramilitärischen Gruppe – und rassistische Gesänge gegen den Kosovo. «Kosovo ist das Herz Serbiens», skandierten beispielsweise rot-weisse Anhänger auf dem Münchner Marienplatz. Andere verbrannten eine albanische Flagge in den Strassen von Gelsenkirchen.
Zur Erinnerung: Serbien anerkennt die Unabhängigkeit nicht, die der Kosovo 2008 proklamierte. Die Mehrheit der westlichen Länder (einschliesslich der Schweiz und der Vereinigten Staaten) anerkennt den Kosovo als souveränen Staat. Nicht anerkannt wird das Land unter anderem von Spanien, Russland oder China.
Nun bleibt zu hoffen, dass das Spektakel auf dem Spielfeld trotz geopolitischer Spannungen, die auf den Tribünen der EM-Stadien zum Ausdruck gebracht werden, für den Rest des Turniers nicht getrübt wird.