Gestern Abend holten die ZSC Lions auswärts in Lausanne den elften Meistertitel der Vereinsgeschichte. Das Spiel wurde für die Daheimgebliebenen im eigenen Stadion übertragen. watson war beim Anstehen vor dem Stadion bis zur Ankunft der Spieler live vor Ort.
Bereits kurz nach 18 Uhr versammeln sich ein paar Hundert Fans vor dem Stadion und stossen mit dem ersten Bier an. Dass es erst Donnerstag ist und viele am folgenden Tag wahrscheinlich zur Arbeit müssen, merkt man gar nicht. Einige haben sich zur Sicherheit für den Freitag freigenommen. «Schliesslich hat die Stadt eine Freinacht für einen allfälligen Titelgewinn bewilligt», erklärt sich ein Fan.
Viele Anhänger der Zürcher hätten auch nichts dagegen, erst am Samstag Meister zu werden, aber zu direkt sagen es die wenigsten. Zu gross die Angst, dass es dann nochmals knapper wird in der Serie. Für einen Fan der Lions ist klar: «Nichts Samstag, heute muss der Sack zugemacht werden.»
Die Türen öffnen sich eineinhalb Stunden, bevor die Partie in Lausanne beginnt, schon weit davor stehen die ersten Leute an und kurz vor 18.30 Uhr streckt sich die Warteschlange fast zur nebenan liegenden Strasse.
«Verdammt, sind das schon viele Leute», erschrickt ein Fan, als er die wartende Menge sieht, «hoffentlich schaffen wir es noch zwei Plätze für unsere Freunde zu reservieren.» Für das heutige Public Viewing gilt in der Swiss Life Arena freie Platzwahl.
So füllt sich das Stadion bereits früh und die Plätze mit der besten Sicht auf den riesigen Videowürfel werden sich gesichert. Auch wenn es sich nur um ein Public-Viewing handelt, hat es einen gewissen Vibe von einem «normalen» Eishockeyspiel und man merkt, dass etwas Grosses in der Luft liegt. Bis das Spiel in Lausanne startet, wird auf dem Videowürfel bereits das erste Drittel zwischen dem WM-Vorbereitungsspiel zwischen Lettland und der Schweizer Nationalmannschaft übertragen.
Die Spannung in Zürich Altstetten steigt. Um 19.35 Uhr kommt der Stadionspeaker Giovanni Marti auf das Eis und heizt das Publikum ein erstes Mal an. Es gibt mehrere «ZSC»-Sprechchöre. Als wenig später die Übertragung startet und die Spieler von Lausanne zu sehen sind, gibt es erste Pfiffe aus der Swiss Life Arena.
Nur kurze Zeit darauf schreiten auch die Lions auf das Eis und es kommt zum ersten ganz lauten Moment in Zürich. Für die Schweizer Nationalhymne kurz vor Spielbeginn erhebt sich auch das ganze Stadion und singt inbrünstig mit.
Um 20 Uhr wird das erste Bully gespielt, doch nach einer Spielminute der grosse Schock: Das Bild auf dem riesigen Videowürfel fällt aus und für einige Sekunden sieht man nur einen schwarzen Bildschirm. Das Problem wird zum Glück schnell behoben.
Wiederum nur kurze Zeit später wird es ganz laut. Die ZSC Lions gehen durch Justin Sigrist in Führung und es wird richtig gefeiert und ein Zuschauer führt auch noch ein kleines Tänzchen auf. Der Name des Torschützen wird mehrmals aufgerufen und es herrscht eine noch grössere Euphorie als zuvor. Nach dem Spiel wird der Treffer Chris Baltisberger zugeschrieben, aber das interessiert an diesem Abend wohl niemanden.
Durch die beinahe ohrenbetäubenden Lautsprecher ist man sich im Publikum teils nicht sicher: «Wird hier oder in Lausanne gesungen?» Als es die erste Strafe für den ZSC gibt, ist es aber eine klare Sache: Die Pfiffe kommen nun aus Zürich und nicht aus den Lautsprechern.
Trotz drei Überzahlsituationen für den amtierenden Schweizer Meister kann Lausanne noch vor der Pause das Spiel drehen, ganz zu Ungunsten für die Stimmung im weiten Rund der Swiss Life Arena. Insgesamt 5456 Zuschauer verfolgen das fünfte Spiel auf dem Videowürfel und zur Pause ist die Euphorie ein wenig verschwunden. «Wir müssen uns steigern und die eigenen Fehler vermeiden, sonst wird das heute nichts», analysiert ein Fan beim Anstehen für Speis und Trank. In den Pausen geht jeweils fast vergessen, dass die Partie Luftlinie 170 Kilometer entfernt stattfindet.
In den zweiten zwanzig Minuten neutralisiert sich das Spiel ein wenig und die Lausanner haben mehrheitlich die Scheibe in den eigenen Reihen. Die Stimmung der Fans in Zürich wird gereizter. Als ein ZSC-Spieler vor einem Bully auf dem riesigen Bildschirm zu sehen ist, ruft ein älterer Anhänger der Lions im perfekten Zürcher Dialekt: «Jetzt mach emal öppis!» Als das Anspiel gewonnen wird, gratuliert ihm sein Freund: «Sie händ dich glaub ghört.»
Buchstäblich aus dem Nichts hat der ZSC plötzlich eine riesige Chance, doch die Scheibe geht an die Latte – dachten alle. Aber als die Schiedsrichter die Szene beim nächsten Unterbruch anschauen, bricht riesiger Jubel aus. Der Puck war tatsächlich hinter der Linie. Gleich mehrmals wird der Torsong der Lions abgespielt.
Mit dem 2:2 geht es auch in die zweite Pause. Den nun ein wenig besser gelaunten Fans ist klar: «Jetzt ist jede Situation entscheidend, es kann aber immer noch auf beide Seiten kippen.» Die Angespanntheit spürt man vom Bierstand bis hin auf die untersten Plätze.
Der letzte Abschnitt startet ruhig und es ist ein umkämpfter Beginn. Als siebeneinhalb Minuten vor Schluss den Lausannern ein Wechselfehler unterläuft, brandet ein Jubel aus, als hätte es einen Treffer für den ZSC gegeben. Als wüssten die über 5000 Zuschauer, was gleich passiert.
Nach einem Getümmel vor dem Tor von Lausanne drückt Jesper Fröden den Puck über die Linie. Es wird noch einmal einige Dezibel lauter als zuvor. Nun fehlen weniger als sieben Minuten zur Titelverteidigung.
Plötzlich allerdings das grosse Zittern. Lausanne nimmt eine Coach's Challenge und die Schiedsrichter analysieren die Szene minutenlang. In der Swiss Life Arena kommt es immer wieder zu Pfiffen. Die Unparteiischen analysieren den Treffer aus allen Winkeln und entscheiden schlussendlich: «Good Goal». Erneut riesiger und lauter Jubel.
Auf diesen Schock finden die Waadtländer keine Antwort mehr. Und kurz vor halb elf ist es so weit, die ZSC Lions verteidigen ihren Titel und sind zum elften Mal Schweizer Meister. In Zürich fliegen Bierbecher durch die Luft und die Party startet. Das ganze Stadion hüpft und klatscht und es riecht in der Eishalle schnell nach «Meisterzigarren». Durch die Boxen schreit Stadionspeaker Marti: «ZÜRI, MIR SIIIND MEEEISTEEER!!!»
Der DJ und die Fans geben nach dem Titelgewinn alles und um 22.46 Uhr wird der Pokal den Spielern übergeben, und auch in Zürich machen die Fans mit den Spielern die Welle und es ertönt «We Are the Champions» durch die Boxen.
Nun geht das lange Warten los, die Spieler haben einen langen Heimweg vor sich, doch die Fans feiern munter weiter und sind definitiv bereit für die Freinacht. Immer wieder werden neue Lieder angestimmt und auch der DJ lässt einen Partysong nach dem anderen über die Boxen erklingen. Er möchte es gefühlt jedem Gast recht machen, so folgt nach einem Ballermann-Song ein Lied von AC/DC und danach kommen gleich noch die Fans von der Stubete Gäng auf ihre Kosten.
In einem kleinen Unterbruch informiert Speaker Marti über das weitere Vorgehen und denkt dabei an seinen Arbeitskollegen von Lausanne: «Es gibt nichts Schlimmeres, als Stadionspeaker zu sein, wenn das gegnerische Team den Titel gewinnt. Aber das ist mir jetzt egal.»
Um kurz nach Mitternacht folgt eine Schaltung nach Lausanne. David Lei, ebenfalls Stadionspeaker der Lions, ist mit dem Team in das Waadtland gereist und informiert: «Wir fahren jetzt los in Richtung Zürich.» Noch sollte es einige Stunden gehen, bis das Team in der Limmatstadt ankommt.
Ein Fan dachte wohl, die Mannschaft sei mit dem Flugzeug angereist, um ein Uhr schreit er plötzlich: «Das Team ist da!» Dafür gab es nicht nur Lacher, sondern auch zwei, drei böse Blicke. Viele Anhänger der Lions sind auch noch drei Stunden nach dem Spielende auf ihren Plätzen und harren weiter aus, bis ihre Helden in Zürich ankommen. Sei dies auf ihren Plätzen, in den Gängen oder auf der Terrasse mit der Zigarre.
Wenig später kommt Bewegung in die Sache, die Eisfläche wird für die Fans geöffnet und so wird die Party auf das eigentliche Spielfeld verlegt. Es werden Polonaisen gebildet und es wird lautstark mitgesungen, als das Lied «Wir wollen die Eisbären sehen» erklingt. Ganz nach dem Motto von Lothar Matthäus: «Ob Eisbären oder Löwen, Hauptsache ZSC.»
«Wir gehen nach der Party direkt zur Arbeit», dieser Satz ist aus mehreren Ecken an diesem Abend zu hören. «Viel Schlaf würde es ohnehin nicht mehr geben, dann kann man es auch sein lassen», erklärt ein weiterer Fan. Die hart gesottenen Anhänger, welche die Reise nach Lausanne mit angetreten sind, erreichten die Swiss Life Arena um halb drei Uhr morgens, ein weiteres Zeichen: Bald ist die Mannschaft hier.
Um viertel vor drei Uhr ist es endlich so weit. Das stundenlange Warten findet sein Ende. Der Car der Mannschaft fährt vor dem Stadion ein und wenige Minuten später erscheint das Team in der Swiss Life Arena. Jeder Spieler wird einzeln von den frenetischen Fans empfangen. Als Erstes kommt Meisterschütze Jesper Frödén auf die Bühne und lässt sich feiern.
Einige Meisterspieler lassen es sich auch nicht nehmen, mit der Zigarre zu erscheinen, und auch das Bier darf selbstverständlich nicht fehlen.
Wie bereits im letzten Jahr kommt ganz am Schluss Torhüter Simo Hrubec mit der goldenen Meistertrophäe in das Stadion. Nach wenigen Interviews entscheidet sich die Mannschaft, die Meisterschaft mit den Fans im Limmatblock zu feiern, und so verschiebt sich das ganze einige Meter weiter in die Fankurve des ZSC, selbstverständlich inklusive Pokal.
Ein Fanlied nach dem anderen wird angestimmt und auch das traditionelle «Meister, Schwiizer Meister» darf selbstverständlich nicht fehlen. Nach dem Abstecher in die Fankurve gesellten sich die frischgebackenen Meister zu ihren Familien und liessen den Abend mit den engsten Vertrauten ausklingen.
Die Fans feierten wahrscheinlich noch ein wenig weiter und nutzten die Freinacht voll aus. Wie viele Leute wirklich direkt zur Arbeit gingen und ob es einige spontanen Krankschreibungen am Freitag gab, wird ein Geheimnis bleiben.
Walter Scheibli us äm Hallästadium