In der Schweiz gibt es rund 200'000 Fussball-Junioren und die meisten haben alle den gleichen Traum: Sie wollen Fussballprofi werden. Gemäss einer Studie der SFL schafft es pro Jahr allerdings gerade einmal ein Spieler pro Super-League-Klub in den bezahlten Fussball.
Sevan Copkan war einer von denen, die den Sprung in eine Profi-Mannschaft schafften. Vom damals renommiertesten Klub der Schweiz, den Grasshoppers, wurde er als 17-Jähriger eher zufällig entdeckt und sofort unter Vertrag genommen.
Trotzdem erlitt er das gleiche Schicksal, das tausende Jugendliche jährlich ereilt. Er verschwand fast so schnell, wie er gekommen war. Warum war das so? Und weshalb ist der Weg bis zum gestandenen Profi so weit? Ein ehrliches Gespräch mit einem, der seit seinem Rücktritt nie mehr an den Ort seiner grossen Träume zurückkehrte.
Sevan Copkan, vor 20 Jahren waren Sie
eines der hoffnungsvollsten Schweizer Fussballtalente, doch zur
grossen Profi-Karriere reichte es knapp nicht. Warum nicht?
Sevan Copkan: Hmm, das ist eine schwierige Einstiegsfrage. Zunächst einmal möchte ich sagen, dass auf dieser Stufe sehr viele scheitern. Fast alle beim GC-Nachwuchs schnupperten damals an der Nationalliga A, denn Fussball spielen konnten alle. Bei mir hat dann ein Kreuzbandriss, den ich mir im Nachwuchs-Cup-Halbfinal 2001 gegen St.Gallen zugezogen hatte, den Ausschlag gegeben.
Sie standen damals unmittelbar vor einem Wechsel zu Xamax.
Richtig. Ich hatte bei Xamax schon zugesagt und hatte auch bereits ein Haus in La Neuveville reserviert. Es war das von Kugelstösser Jean-Pierre Egger, der gerade nach Marseille zog. Ich hätte auf seinen Hund schauen müssen, aber das wäre kein Problem gewesen.
Doch aus dem Wechsel wurde dann nichts?
Nein, der Kreuzbandriss hat alles verändert. Der Transfer platzte, aber ich durfte immerhin ein weiteres Jahr zu gleichen Konditionen bei GC im Nachwuchs bleiben. Ich musste das Knie allerdings ein zweites Mal operieren und weil ich nur noch ein Jahr Vertrag hatte, wollte ich danach so schnell wie möglich wieder auf den Platz zurück. Im Nachhinein war das sicher die falsche Entscheidung: Nach vier Monaten spielte ich zwar bereits wieder, mein Knie machte aber ständig Probleme.
Sie sind 1996 mit 17 zu GC gekommen. Wie
lief dieser «Transfer» damals ab?
Ich hatte mit Mönchaltorf Ende Oktober einen Einsatz in der 2. Liga und plötzlich tauchte der damalige GC-Manager Erich Vogel auf. Eigentlich wollte er sich ja ein anderes Spiel anschauen, aber er hatte sich verfahren. Ich bin ihm aufgefallen und dann ging alles sehr schnell.
Erzählen Sie.
Ich hatte damals gerade eine Lehre als Elektromonteur begonnen. Diese habe ich dann abgebrochen und bei GC schon Anfang Dezember einen Profi-Vertrag unterschrieben. Ich war ziemlich überfordert. Ein Management oder einen Berater hatte ich nicht. Meine Eltern standen mir zur Seite. Ihnen war vor allem wichtig, dass ich nebenbei noch eine Ausbildung machen konnte.
Sie haben davor also nie mit einer Profi-Karriere geliebäugelt?
Als Kind hat man natürlich immer den Wunsch, Profi-Fussballer zu werden. Aber als Jugendlicher machte ich mir darüber nie mehr Gedanken. Es war eigentlich klar, dass ich eine Lehre absolvieren werde. Für mich war es schon ein Riesenerlebnis, dass ich in Mönchaltorf als 16-Jähriger bereits in der 1. Mannschaft spielen konnte.
Und dann spielten Sie plötzlich bei GC.
Ich durfte gleich mit der 1. Mannschaft mittrainieren, konnte mit all den Profis und Nationalspielern wie Kubilay Türkyilmaz, Nestor Subiat, Viorel Moldovan und Murat Yakin sogar mit ins Trainingslager ...
Haben Sie viel Geld verdient?
Nein, viel Geld verdienten wir Jungen damals nicht. Also für meine Verhältnisse natürlich schon. Als Stromer-Lehrling verdiente ich etwa 400 Franken im Monat, als Nachwuchs-Profi bei GC waren es dann rund 1000 Franken. Ausserdem wurde mir das Zugbillet nach Zürich und die Ausrüstung bezahlt. Und wenn du in der 1. Mannschaft zum Einsatz gekommen bist, gab es zusätzlich Prämien.
Wie sah Ihr Alltag aus?
GC hatte damals als erster Nationalligaklub ein Sportkonzept für den Nachwuchs. Ich trainierte zunächst normal mit den Profis mit, meist acht Mal pro Woche. Während eineinhalb Tagen ging ich ins Sport-College. Dort absolvierte ich parallel zum Trainingsalltag eine KV-Lehre. Aber nicht nur junge Fussballer wie ich, auch gestandene Spitzensportler wie die Skiakrobatin Colette Brand oder der Hockeyaner Martin Bruderer bildeten sich dort weiter.
Sie standen damals schon früh im grossen Scheinwerferlicht. 1996 interviewte Sie das ORF, 1999 standen Sie im Zentrum eines «Time Out»-Beitrags des Schweizer Fernsehens. Wie gingen Sie als Teenager mit dem Hype um Ihre Person um? Das kann einem ja auch zu Kopf steigen ...
Auf der einen Seite war es natürlich sehr schön, dass mein Name plötzlich vielen ein Begriff war. Auf der anderen wurde ich von wildfremden Menschen, die mich gar nicht kannten, vorschnell verurteilt. «Der ist arrogant», hiess es bald einmal. Abgehoben bin ich damals aber nie, dazu hatte ich für mich persönlich noch zu wenig erreicht. Und mein familiäres Umfeld hat mich auch immer schnell wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt, wenn ich mal zu euphorisch wurde.
Aber ein gewisser Stolz war schon da?
Klar war ich stolz, als ich Schweizer Meister wurde oder zum ersten Mal ein Aufgebot für die deutsche U18-Nationalmannschaft bekam. Aber obwohl ich ein extrovertierter Mensch bin, hatte ich nie eine grosse Röhre. Aber wer weiss, vielleicht war die Wirkung nach aussen ja eine ganz andere. Das kann ich natürlich nicht beurteilen.
Was denken Sie, wenn Sie sich heute die Videos von früher anschauen?
Da stellen sich mir die Nackenhaare auf. Was ich damals von mir gegeben habe ... Wenn ich mir heutzutage die Jungen anschaue, staune ich schon, wie professionell diese in Interviews bereits wirken. Aber wir durchliefen auch keine Medienschulung. Wie und was man mit Journalisten bespricht, haben wir nie gelernt
Mit der Bekanntheit stieg aber sicherlich auch der Erwartungsdruck, der an Sie herangetragen wurde.
Der Druck von aussen hat mich eigentlich nie gross belastet. Der Druck, den ich mir selber machte, war viel schlimmer. Die Angst vor dem eigenen Scheitern bereitete mir am meisten Mühe.
Was war das Schlimmste?
Wenn ich beim Nachwuchs nicht spielte. Du konntest dich nur für die 1. Mannschaft aufdrängen, wenn du am Wochenende in der U21 spieltest. Also musstest du dort so oft wie möglich zum Einsatz kommen.
Der Konkurrenzkampf muss riesig gewesen sein. Gab es überhaupt so etwas wie Teamgeist?
Manchmal flogen schon die Fetzen, aber im Grossen und Ganzen war die Stimmung gut. Wir waren ein Haufen Jugendliche, die alle dasselbe Ziel hatten. Als junger Fussball-Profi ist das Leben aber schon komplett anders als in der Privatwirtschaft. Dort gehst du am Freitagabend vielleicht mal zusammen etwas trinken. Bei uns ging jeder nach dem Training seinen eigenen Weg.
Im Internet habe ich ein Telegramm von 1998 gefunden. Damals wurden Sie in einem Testspiel mit der 1. Mannschaft gegen Werder Bremen in der 62. Minute für Pascal Thüler eingewechselt. Wie oft kriegten Sie die Chance, sich zu zeigen?
Puh, das weiss ich gar nicht mehr so genau. Ich denke, ich habe so zirka 15 bis 20 Spiele mit den Profis absolviert. Meistens in der Vorbereitung oder im Cup.
Ihre Teamkollegen waren damals Ricardo Cabanas, Rainer Bieli, Bruno Berner oder Roland Schwegler. Warum hat es denen zum Profi-Fussballer gereicht und Ihnen nicht?
Da spielen sicher viele verschiedene Faktoren mit rein. Ich denke, sie konnten zum richtigen Zeitpunkt ihre Leistung abrufen. Als sie ihre Chance bekamen, waren sie 100-prozentig bereit. Mir spielten vielleicht meine Nerven in den wichtigen Momenten einen Streich.
Sie sind deutsch-schweizerischer Doppelbürger und wurden 1997 für die U18-Nationalmannschaft Deutschland aufgeboten. Wie wurde der DFB auf Sie aufmerksam?
Von ganz allein ging das nicht. Mein Schwager, der auch im Fussball-Business tätig war, hat dem DFB damals gesteckt, dass bei GC ein junges Talent mit deutschem Pass spiele. Bei internationalen Nachwuchsturnieren wurde ich dann gescoutet und eines Tages rief Rainer Bonhof (1998 deutscher U21-Nationaltrainer, Anm.d.Red.) bei meinem damaligen Trainer Alain Geiger an. So kam dann alles ins Rollen.
Wie ging es weiter?
In der Nähe von Köln rückte ich für fünf Tage in ein Trainingscamp ein. Wir waren etwa 40 Spieler. Am Ende wurde ich ins 18-Mann-Kader für ein Testspiel in Dänemark berufen und war von da an regelmässig dabei.
Wer waren Ihre Teamkollegen in der deutschen U18-Nationalmannschaft?
Sebastian Deisler war mein Zimmerkollege. Er hat bei Bayern München und in der Nationalmannschaft eine ganz steile Karriere hingelegt, ist danach aber auch tief gefallen. Ausserdem waren die späteren Nationalspieler Timo Hildebrand und Fabian Ernst dabei. Thorsten Schramm und Stefan Wessels schafften den Sprung in die Bundesliga ebenfalls.
Wer waren Ihre engsten Freunde im GC-Nachwuchs?
Das waren Ricardo Cabanas und Rainer Bieli. Mit ihnen besuchte ich auch das Sport-College.
Haben Sie noch Kontakt zu ihnen oder zu anderen Weggefährten von früher?
Eigentlich nicht mehr. Zu Beginn hat man sich noch ab und zu ein SMS geschrieben. Aber es sind jetzt über 15 Jahre vergangen. Cabanas ging ins Ausland, Bieli zu Xamax. Da ist es logisch, dass man sich aus den Augen verliert.
Im Sommer 1999 wechselten Sie vom GC-Nachwuchs zu Winterthur in die NLB. Dort waren Sie Stammspieler?
Ja genau, ich spielte regelmässig. Aber nach einem halben Jahr ging alles den Bach runter. Ich bekam Betreibungen, weil der Klub das Auto, das man mir zur Verfügung stellte, nicht bezahlte. Löhne wurden nicht bezahlt. Die ersten vier Meisterschaftsspiele verpasste ich, weil meine Lizenz nicht gelöst war. Das war eine sehr spezielle Zeit. In der Winterpause ging ich deshalb zurück zu GC.
Waren Sie in Winterthur Profi?
Nein, das war damals in der Nationalliga B kein Thema. Ich absolvierte gleichzeitig ein Praktikum bei der Cablecom, welches mir der FC Winterthur organisierte. Das hat mir später den Einstieg ins Berufsleben sehr erleichtert. Der Wechsel nach Winterthur hatte also auch seine gute Seite.
Wann haben Sie gemerkt, dass aus der Profikarriere definitiv nichts wird?
Nach der Rückkehr aus Winterthur hatte ich bei GC meine beste Phase. Ich war Captain der U21-Mannschaft, trainierte unter Roy Hodgson fix mit der 1. Mannschaft und stand kurz vor der Unterzeichnung eines neuen Vertrags. Dann kam im Frühling 2000 der Kreuzbandriss. Erst danach war klar, dass der Durchbruch nicht mehr kommt.
Wie haben Sie die Zeit während Ihrer schweren Verletzung erlebt?
Mir ging es vor allem psychisch sehr schlecht. Die sportmedizinische Abteilung bei GC war zwar super, nach den beiden Operationen kümmerte sich aber niemand mehr um mich. Ich trainierte nicht mehr mit der Mannschaft und hatte viel zu viel Zeit, um nachzudenken. Da kommen natürlich auch Selbstzweifel auf.
Heute wechseln viele junge Schweizer Spieler früh ins Ausland. War das damals auch für Sie ein Thema?
Ja, durchaus. Ich hatte bei GC damals als Linksfuss auf meiner Position mit Alexandre Comisetti, Pascal Thüler und Johann Vogel drei aktuelle Nationalspieler vor mir und suchte deshalb auch nach Lösungen. Als deutsch-schweizerischer Doppelbürger war die Bundesliga natürlich sehr interessant. Über den früheren FCZ-Spieler und damaligen Spielervermittler Wolfgang Vöge hatte ich Kontakte zu Werder Bremen. Die wollten mich für 100'000 DM kaufen, doch GC hätte mich höchstens ausgeliehen. Anders als heute ging es damals aber vor allem um die sportliche Herausforderung und weniger ums Geld.
Wie sehr ärgert es Sie heute noch, dass es nicht zum Fussballprofi gereicht hat? Oder finden Sie, dass Ihr Weg gar der bessere war?
Als Chef einer Versicherungsagentur mit sechs Mitarbeitern geht es mir heute gut. Ich habe mir ein gutes berufliches Umfeld geschaffen und Freude an meinem Job. Aber natürlich ist ein bisschen Wehmut da, dass ich den Beruf als Fussballprofi, der nur ganz wenigen vorbehalten ist, nicht ausüben konnte. Ich staune immer wieder: Zwar sind inzwischen über 15 Jahre vergangen, aber gefühlsmässig kommt es mir manchmal vor, als wäre es gestern gewesen.
Was ist Ihre schönste Erinnerung an damals?
Da gibt es viele. Sicher als wir 1998 den Youth Cup gewinnen konnten, aber auch die Meistertitel und Cupsiege mit der 1. Mannschaft und dem Nachwuchs. Dann natürlich die Champions-Leauge-Abende 1996 im Hardturm. Ich sass zwar nur auf der Tribüne, war als 17-Jähriger aber voll ins Kader integriert.
Spielen Sie heute noch aktiv Fussball?
Nein, gar nicht mehr. In erster Linie wegen dem Knie, aber auch weil ich keine Lust mehr hatte. Bei Hinwil spielte ich noch kurz in der 2. Liga interregional, aber da hat es mir schnell abgelöscht. Nicht alle im Team hatten den gleichen Siegeswillen wie ich, den ich über die Jahre hinweg eingeimpft bekam. Doch das grösste Problem waren die Schiedsrichter. Von den Profis war ich einen komplett anderen Umgang mit den Unparteiischen gewohnt. Wenn ich nach einer Gelben Karte kurz reklamierte, fühlten die sich gleich persönlich angegriffen und ich sah gleich Gelb-Rot. Das machte dann keinen Spass mehr.
Gehen Sie ab und zu ins Stadion, beispielsweise an einen GC-Match?
Nein. Seit ich die Schuhe an den Nagel gehängt habe, bin ich nie mehr an einem Super-League-Match gewesen. Auch ein bisschen aus Selbstschutz. Als ich zuletzt mit dem Auto am Hardturm-Areal vorbeigefahren bin, kamen sofort die Emotionen hoch. Ich hatte da in der Garderobe meinen eigenen Spind. So etwas vergisst man nicht so schnell. Ich hatte eine sehr schöne Zeit bei GC.