Im August wird Lara Dickenmann mit 35 Jahren ihre Karriere beenden. Mit dem Ziel, den Schweizer Frauenfussball weiterzuentwickeln. Während ihrer 15-jährigen Profi-Laufbahn hat sich zwar einiges getan, doch damit gibt sich die 135-fache Schweizer Nationalspielerin noch lange nicht zufrieden.
Der Sport erlebt einen Wandel. Die traditionellen und konservativen Geschlechterrollen lösen sich auf. Davon spürt man im Fussball aber wenig.
Lara Dickenmann: Da kann ich nur zustimmen. Im Fussball scheint alles langsamer voranzugehen. Betrachtet man aber den Frauenfussball, erkennt man schnell, dass dort eine offenere Kultur ausgelebt wird und es mehr Platz für Toleranz gibt. Der Männerfussball ist leider noch sehr geprägt von traditionellen Denkweisen und Strukturen. Es sind viele Entscheidungsträger am längeren Hebel, die enormen Einfluss haben.
Inwiefern ist der Fussball traditionell und konservativ?
Die wichtigen Entscheidungsträger sind beispielsweise noch nicht so weit, ein Zeichen gegen Homophobie zu setzen. Philipp Lahm meinte vor kurzem, schwule Fussballer sollen sich sicherheitshalber nicht outen, die Zeit sei noch nicht reif. Meiner Meinung nach ist das die falsche Botschaft, auch wenn ich seinen Gedankengang nachvollziehen kann. Es ist aber höchste Zeit, dass sich Entscheidungsträger zusammenschliessen und ein Zeichen setzen. Die Sponsoren leben inzwischen auch eine Unternehmenskultur, die für Vielfalt und Akzeptanz steht. Die Klubs müssen sich in diesem Punkt keine Sorgen machen, im Sponsoring Einbussen zu erfahren.
Es gibt keinen schwulen Fussballer, dafür hunderte lesbische Fussballerinnen. Das hat einen einfachen Grund: Im Fussball ist Männlichkeit gefragt.
Rein theoretisch kann es natürlich schon sein. Wenn man aber die Statistik betrachtet, ist die Vorstellung einer von Homosexualität freien Fussballwelt eher realitätsfern. Ich habe Kontakt zur Schwulenszene und deshalb ist mir bewusst, dass einige Fussballer darunter leiden. Es ist ihnen indirekt untersagt, sich selbst zu sein. Viele schwule Männer schlagen keine Karriere ein, weil sie an diesem Leidensdruck kaputt gehen. Positiv ist jedoch, dass sich in den grössten Klubs Europas etwas tut in der Fanszene. In praktisch jedem Top-Verein setzt sich inzwischen eine queere Gruppierung für Vielfalt ein.
Du kennst bestimmt einen schwulen Fussballer.
Man hört halt einige Geschichten. Es ist echt hart zu wissen, dass gewisse Spieler ein Doppelleben führen müssen aufgrund ihrer Sexualität. Solch ein Leben könnte ich nicht führen – meine Leistung würde extrem darunter leiden. Es muss ein Ruck durch Verbände, Vereine und Medien gehen. Erst wenn die Spieler auf allen Ebenen Vertrauen spüren, sind sie möglicherweise bereit für ein Outing. Solange ihnen niemand den Rücken stärkt, bleibt es ein Versteckspiel auf allen Ebenen.
Anderes Thema: Wer die Sprungkraft von Ronaldo kennt, die Dribbelstärke von Messi oder die Mentalität von Haaland, der hat keinen Bock auf Frauenfussball.
Diese Elemente findest du auch im Frauenfussball – Kampfgeist erst recht. Jede Fussballerin hat in ihrem Leben bereits einen Kampf hinter sich, sei es nun bewusst oder unbewusst. Das technisch Elegante existiert genauso. Sobald wir professioneller gefördert werden, wird es auch weibliche Messis und Ronaldos geben. Die Entwicklung des Frauenfussballs hat erst in den letzten zehn Jahren begonnen. Verglichen etwa mit dem Tennis hinken wir stark hinterher.
Die Fussballerinnen möchten der Gesellschaft das Interesse aufzwingen. Lasst doch die Menschen selbst entscheiden, was sie schauen möchten.
Es sind andere Punkte, die uns Frauen stören. Ich bin ehrlich: Nicht jedes Männerspiel ist gleich spannend. Deswegen wird aber nicht die Qualität des ganzen Fussballs hinterfragt. Bei uns Frauen reicht ein Fehlpass und schon stehen wir als Ganzes schlecht da. Die WM 2019 war ein Riesenerfolg: Volle Stadien, informierte Fans, Kameras aus allen Ecken und Winkeln. Wenn wir so präsentiert werden, sehe ich keinen Unterschied mehr.
Die besten Frauenteams verlieren sogar gegen Junioren.
Sie verlieren nicht jedes Mal. Ich habe auch schon gegen erwachsene Männer gespielt und gewonnen. Das waren ganz respektable Mannschaften. Von daher darf man das nicht verallgemeinern. Übrigens messe ich mich gerne mit Männern, das sind immer sehr herausfordernde Spiele. Es ist mir auch schon gelungen, dem einen oder anderen ein Tunnel zu schieben. (lacht)
Für Männer ist es eine Strafe, Frauen zu trainieren.
Da ich schon etliche Trainer hatte in meiner Karriere, kann ich diesen Vorwurf klar verneinen. Es ist natürlich anders, aber weder positiv noch negativ zu werten. Schlussendlich wollen Spieler*innen Qualität in den Trainings, das ist das Wichtigste. Mir liegt es jedoch am Herzen, auch Frauen im Staff zu haben für spezielle Situationen, die nicht jeder Mann nachvollziehen kann.
Frauenfussball auf höchstem Niveau ist in der Schweiz ein Hobby. Nicht mehr und nicht weniger.
Für die meisten ist es so, weil sie für ihren Aufwand nicht fair bezahlt werden. Die Spielerinnen aus der AXA Women's Super League sind professionell. Jedoch arbeiten sie nebenbei und deshalb spricht man von einem Hobby. Auf dem Trainingsgelände stehen sie aber genau so oft wie ich. Nur weil es nicht ihr Haupterwerb ist, sollte man es dennoch nicht mit einem Hobby gleichstellen oder vergleichen. Es ist mehr als das und dafür werde ich mich künftig einsetzen.
Wo wirst du dich künftig einsetzen? Hier in der Schweiz?
Ich möchte primär in der Schweiz helfen und etwas verändern, in dem Land, wo alles begann. Genauso wie ich als junge Spielerin Vorbilder hatte, ist mir bewusst, dass ich nun an der Reihe bin. Das eine oder andere interessante Gespräch durfte ich bereits führen. Ich bin gespannt, was auf mich zukommen wird. Zunächst einmal muss ich aber meine Karriere verarbeiten. Es fühlt sich komisch an, wenn ich daran denke, dass ich vom einen auf den anderen Tag aufstehen und keinen klaren Ablauf haben werde. Von diesem Punkt an muss ich mich sozusagen neu erfinden.
Ich finde, du hast zu wenig bewirkt in deiner Karriere.
Dass ich überhaupt etwas bewirken könnte, habe ich mir sowieso nur erträumt. Viele sind der Meinung, dass ich den Schweizer Frauenfussball mitgeprägt habe. Ich bin als gutes Vorbild vorausgegangen und habe den Spielerinnen gezeigt, dass sie Fuss fassen können im Ausland, dort ihr Geld verdienen, Titel gewinnen und Vollprofi sein. Ich war in Lyon, ein Ort, von dem viele Fussballerinnen träumen. Klar wäre wahrscheinlich mehr drin gelegen – meine Mission ist aber noch lange nicht zu Ende.
Zanzibar
Grundsätzlich müsste die sexuelle Orientierung ohnehin kein Thema sein, egal ob man Sportler, Politiker oder normaler Angestellter ist.
Walser
Yankee25