Mathilde Gremaud ist zurück im Schnee. In Saas Fee bereitet sich die beste Freeskierin der Welt derzeit auf ihre Saison vor. Nächste Woche startet mit dem Big Air in Chur der Weltcup. Im vergangenen Winter hat die 24-jährige Freiburgerin alles abgeräumt, als erste Frau überhaupt im Freeski drei Kristallkugeln gewonnen.
Auch in diesem Sommer war Gremaud im Weltcup immer wieder anzutreffen – allerdings im Mountainbike-Weltcup. Dort war sie an mehreren Rennen nah dabei und unterstützte als Fan ihre Freundin Valentina Höll. Die beiden sind das Paar der Ausnahmetalente. Während Gremaud die beste Freeskierin ist, ist Höll die beste Downhill-Fahrerin der Welt.
Als die 22-jährige Österreicherin Ende August zum zweiten Mal Weltmeisterin wird, ist Mathilde Gremaud die erste Gratulantin. «Es ist immer ein grosser Spass, mit dabei zu sein», erzählt die Freiburgerin im Gespräch in Saas Fee. «Ich gehe dann ins Gym und kann dann bei ihr sein und ein bisschen hängen. Der Vibe ist ein sehr cooler, ich habe inzwischen viele Biker-Kollegen.»
Die Weltcup-Kalender der beiden Athletinnen könnten gegensätzlicher nicht sein. Während am letzten Wochenende die Mountainbike-Saison für Höll als Gesamtweltcupsiegerin zu Ende ging, startet die Saison für Gremaud am nächsten Wochenende. «Es ist das komplette Gegenteil. Aber das hat den Vorteil, dass wir einander während der Saison unterstützen können.»
Manchmal sei es jedoch dadurch auch schwierig, Zeit für einander zu finden. «Doch dafür haben wir Verständnis. Jemand mit einem gewöhnlichen Job wäre wohl flexibler und hätte gleichwohl viel weniger Verständnis, dass wir so wenig Zeit haben», so Gremaud. Ohnehin ist das Verständnis füreinander gross. Die beiden Ausnahmeathletinnen könnten einander durchaus Tipps geben, wüssten etwa, wie mit Druck umgehen. Beide haben in jungen Jahren schon enorme Erfolge gefeiert, dominieren ihre Sportart. «Wir wissen, was die andere Person durchmacht», sagt Gremaud.
Die Leidenschaft für ihren Sport ist etwas, was das Paar verbindet. Gremaud ist schon länger ein grosser Bike-Fan, für sie steht dabei der Spass im Zentrum. «Es ist so anders als beim Skifahren für mich, weil ich mir da keinen Druck mache. Es geht einfach nur darum, Spass zu haben», sagt die 24-Jährige. Ein grosser Unterschied gäbe es im Denken der Athletinnen. «Wir Freestyler werden bewertet, beim Mountainbiken geht es darum, die Schnellste zu sein. Das ist schon völlig anders. Und ich habe überhaupt kein Renn-Gen.»
Die beiden Weltklasseathletinnen, die beide von Red Bull gesponsert werden, reden aber auch über anderes als den Sport, sagt Gremaud. «Insgesamt ist es megawichtig, dass wir auch andere Interessen haben und uns nicht nur mit dem Sport auseinandersetzen. Das Schöne ist: Wir sind beide interessiert an neuen Dingen, die wir noch nicht so kennen.»
Mathilde Gremaud möchte ihren Lebensmittelpunkt ein wenig verändern. Die 24-Jährige wohnt noch immer zu Hause bei ihren Eltern im freiburgischen La Roche. Doch das soll sich ändern. «Ich glaube, es gehört zu meinem Reifeprozess dazu, auszuziehen. Und ich glaube, für mich wäre es jetzt ein guter Zeitpunkt.»
Gremaud möchte nun nach Österreich ziehen. «Ich glaube, es wäre sehr cool, in Innsbruck zu leben», sagt sie. Im Gespräch hebt sie insbesondere die guten Trainingsbedingungen rund um die Stadt hervor. «Im Sommer kann man dort gut biken, im Winter hat es eine gute Anlage. Wenn ich jetzt zuhause bin, habe ich immer mindestens eine Stunde Fahrt zu einem Freestyle-Park. Dort könnte ich relativ schnell mal auch nur kurz trainieren gehen», so Gremaud. Möglicherweise zügle sie noch, bevor die Weltcup-Saison richtig Fahrt aufnimmt. Nach dem Big Air in Chur gibt es nochmals eine fünfwöchige Unterbrechung. Sie sagt: «Ich werde aber sowieso auch künftig sehr oft in meiner Heimat sein.»
Langsam, aber sicher werde Mathilde Gremaud erwachsener, reifer, sagt sie selber über sich. Immer wieder hatte sie in der Vergangenheit mit mentalen Problemen zu kämpfen gehabt. Sie besitzt einen gesamten olympischen Medaillensatz, fiel aber nach Erreichen von Erfolgen in der Vergangenheit oft in ein Tief.
Das ist auch im letzten Frühjahr wieder so gewesen. Diesmal habe es sich aber anders angefühlt, sagt Gremaud. «Während der letzten Saison ist meine Tante gestorben. Die Gefühle habe ich während der Saison verdrängt, unbewusst von mir geschoben. Als dann die Saison zu Ende war und der Druck weg, hat mich alles eingeholt.» Erstmals hat sie sich nun auch professionelle Hilfe geholt, geht regelmässig zu einem Psychologen. «Dadurch erhalte ich Tools, wie ich mir selber in schwierigen Situationen helfen kann.»
Im vergangenen Winter hat Gremaud alles gewonnen. Dennoch sieht sie noch Dinge, die sie in dieser Saison besser machen möchte. «Wenn ich auf den letzten Winter zurückschaue, dann sieht man vor allem viele Siege. Aber skitechnisch habe ich wenig Fortschritte gemacht, ich habe wenig neue Tricks eingebaut. Wenn ich wählen könnte, würde ich in diesem Jahr lieber da noch Fortschritte machen und vielleicht mal einen Weltcup weniger gewinnen», so die 24-Jährige.
In diesem Winter gibt es ein grosses Ziel für die Schweizer Freestylerin: die Heim-Weltmeisterschaft im März in St. Moritz. «Mein Fokus liegt sicher auf der WM. Deshalb muss ich schauen, dass ich genug Energie habe, um dann in Topform zu sein.» Klar ist: Wenn sich Mathilde Gremaud im Engadin zum zweiten Mal zur Weltmeisterin küren würde, dann ist die erste Gratulantin auch eine Weltmeisterin. Ihre Freundin Valentina Höll. (aargauerzeitung.ch)