42'000 Tennis-Anhänger quetschen sich auf die Anlage im All England Club. Im Südwesten Londons darf die Kapazität wieder voll ausgeschöpft werden. Nachdem Wimbledon 2020 wegen der Pandemie ausgefallen war und vergangenes Jahr nur unter strikten Vorgaben durchgeführt werden konnte, kehrt in dieser Ausgabe die Normalität zurück. Keine Masken, keine Tests, kein Impfnachweis und keine Abstandsregelung. Heisst: keine Sorgen. Doch mit der Sorglosigkeit dürfte zumindest bei den Profis bald Schluss sein.
«Der Traum ist für dieses Jahr ausgeträumt, aber ich werde stärker zurückkehren», hatte Matteo Berrettini (ATP 11) am Dienstag vor seinem Erstrunden-Match gegen Cristian Garin (ATP 43) auf Instagram geschrieben. Der 26-jährige Italiener infizierte sich mit Corona und musste zwei Stunden vor Spielbeginn Forfait erklären. «Ich habe Grippesymptome und war die letzten Tage in Isolation.»
Mit den Titeln bei den Rasen-Turnieren in Stuttgart und im Queen's hievte sich der Wimbledon-Vorjahresfinalist in die Pole-Position, um Top-Favorit Novak Djokovic (ATP 3) den Grand-Slam-Titel streitig zu machen. Dementsprechend niedergeschlagen war der Italiener dann auch: «Es bricht mir das Herz.» Gemäss eigenen Angaben hatte der Römer keine schwerwiegenden Symptome. Trotzdem entschied er, sich auf das Virus testen zu lassen.
Das Vorgehen von Matteo Berrettini ist vorbildlich und verantwortungsvoll, denn er hätte sich auch auf den heiligen Rasen schleppen und irgendwie durch die Partie quälen können. Weil sämtliche Corona-Restriktionen gefallen sind, hätte ihn niemand aufgehalten.
Vier Jahre vor dem Italiener stand Marin Cilic (ATP 17) im Wimbledon-Final. Auch er wurde positiv getestet. «Ich fühle mich immer noch nicht gut und kann nicht mein Bestes geben», schrieb der Kroate am Montagabend. Die Formkurve des US-Open-Siegers von 2014 zeigte zuletzt steil nach oben. Bei den French Open und im Queen's erreichte der 33-Jährige die Runde der letzten Vier.
Beide Profis standen vor ihrer Erkrankung mit weiteren Spielern in Kontakt. So trainierte Berrettini am vergangenen Donnerstag noch mit Rafael Nadal (ATP4), Cilic mit Djokovic. Klar, dass nun jede noch so kleine Ermüdungserscheinung der beiden Top-Stars mit Argusaugen beobachtet wird. Die Frage nach einer Ansteckung könnte nur mittels Test beantwortet werden. Doch wer testet, läuft Gefahr, sich der eigenen Titelchancen zu berauben.
Novak Djokovic & Marin Cilic practicing on Center Court. Not normally a big deal but for Wimbledon it is, as it’s the 1st time competitors have been allowed to practice on the hallowed surface before the event starts. In my time coming here, at least. Good move by the club. pic.twitter.com/BBYRnLgYrN
— Darren Cahill (@darren_cahill) June 23, 2022
Müsste da nicht also der All England Club reagieren? In einer Stellungnahme versichert der Veranstalter, sich weiter an die britischen Leitlinien zur Infektionsbekämpfung zu halten. Sprich: Reinigungs- und Händedesinfektionsmassnahmen werden verstärkt und das medizinische Team trägt weiterhin Gesichtsmasken. An der Marschroute des prestigeträchtigsten und ältesten Tennisturniers der Welt wird sich fürs Erste nichts ändern.
Die Tennis-Profis müssen sich folglich eigenverantwortlich verhalten. Dass die Eigenverantwortung nicht funktioniere, behauptete Alizé Cornet (WTA 37) am Dienstag nach ihrem Erstrunden-Spiel. «In der Umkleidekabine von Roland-Garros hatten alle das Virus und wir haben nichts gesagt.» Gemäss der 32-jährigen Französin habe es beim Grand-Slam-Turnier in Paris ein Stillschweigeabkommen unter den Spielern gegeben, um sich nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Brisante Aussagen.
Trotzdem hofft Cornet, dass die Veranstalter beim aktuellen Corona-Regime bleiben. Eine, die das anders sieht, ist Andrea Petkovic (WTA 57). Die 34-jährige Deutsche, die am Dienstag gegen die Schweizerin Viktorija Golubic (WTA 58) verlor, geht davon aus, dass sie sich in Paris angesteckt hat. «Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich die Maske in geschlossenen Räumen wieder einführen.» Petkovic sei drei Tage richtig krank und danach fünf platt gewesen.
Die 135. Austragung in Wimbledon droht zu derjenigen mit namhaften Ausfällen, vor allem im Männer-Turnier, zu verkommen. Insgesamt fünf Spieler aus den Top 20 fehlen krankheitsbedingt oder wegen des Ausschlusses russischer und weissrussischer Spieler. Der Weg zum Traum-Final zwischen Novak Djokovic und Rafael Nadal scheint geebnet. Vorausgesetzt, sie bleiben gesund.
2021 das Jahr der Veranstaltungen mit sehr strengen Auflagen.
2022 wird das Jahr der Turniere, an denen die hälfte der Athleten wegen Coronaerkrankungen ausfallen.
Bin schon gespannt auf die Fussball WM...