Sport
Tennis

Wimbledon: Wie Corona das Leben von Grigor Dimitrov zur Hölle

2014 erreichte Grigor Dimitrov in Wimbledon den Halbfinal.
2014 erreichte Grigor Dimitrov in Wimbledon den Halbfinal.Bild: keystone

An Djokovics Adria-Tour angesteckt – wie Corona Grigor Dimitrovs Leben zur Hölle machte

Grigor Dimitrov war der Erste, der sich 2020 an der von Novak Djokovic initiierten Adria-Tour mit dem Coronavirus infizierte. Wie der Bulgare während Monaten litt. Und wie das sein Leben verändert hat.
28.06.2022, 08:11
Simon Häring, Wimbledon / ch media
Mehr «Sport»

Grigor Dimitrov war einmal die grösste Verheissung im Männertennis, gewann das Junioren-Turnier in Wimbledon, erreichte dort 23-jährig die Halbfinals, stand später auch bei den Australian Open und den US Open je einmal in den Halbfinals, gewann den Final der acht Jahresbesten. Wegen seines eleganten Spielstils wurde er oft mit Roger Federer verglichen. Die Karriere verlief nach Plan. Dann steckte sich der Bulgare gleich zu Beginn der Pandemie mit dem Coronavirus an. Es machte sein Leben zur Hölle.

JAHRESRUECKBLICK 2017 - SPORT - Grigor Dimitrov of Bulgaria lifts the trophy after beating David Goffin of Belgium in their ATP World Tour Finals singles final tennis match at the O2 Arena in London,  ...
Grigor Dimitrov gewann 2017 die ATP-Finals.Bild: AP

Es war im Frühjahr 2020, die erste Welle der Pandemie flachte ab, doch die Unsicherheit war immer noch gross: Mutiert das Virus? Wird es noch ansteckender? Wird es tödlicher? Wird es einen Impfstoff geben? Wann? Alles Fragen, die damals (und zum Teil bis heute) nicht zu beantworten waren. Auch auf den Tenniszirkus hatte das drastische Auswirkungen. Zwischen April und August fanden keine Turniere statt. Keine? Nicht ganz.

Es war die Zeit, in der Novak Djokovic die Adria-Tour ins Leben rief. Eine Turnierserie auf dem Balkan. Gespielt werden sollte über vier Wochen verteilt in Serbien, Kroatien, Montenegro und Bosnien und Herzegowina. Es war ein Spektakel. Jeweils über 4000 Zuschauer waren in Belgrad und Zadar, dicht an dicht gedrängt, Sonnenschein, Partymusik, dazu einige der besten Spieler Europas. Ein Publikumserfolg. Doch im Rest der Welt löste die Adria-Tour Befremden aus. Weil das Bild einer heilen Welt vermittelt wurde, wonach die Region verschont bliebe. Kritik? Kanzelte Djokovic als Xenophobie ab, indem er sagte, sie komme «vor allem aus dem Westen».

Was natürlich ein frommer Wunsch war. Am siebten Tag wurde Realität, was nicht anders zu erwarten war: Grigor Dimitrov wurde als erster Akteur positiv getestet, als er bereits zurück an seinem Wohnort Monte Carlo war.

Acht Kilo in 20 Tagen verloren

Es war bloss der Anfang einer regelrechten Welle. Es folgten Alexander Zverev, Borna Coric, Viktor Troicki und dessen damals hochschwangere Frau, später auch Novak Djokovic und dessen Frau Jelena. Der Anlass wurde zur Staatsaffäre, denn auch der kroatische Premierminister, Andrej Plenkovic, hatte der Adria-Tour seine Aufwartung gemacht. Wie auch der Bürgermeister von Zadar, Branko Dukic, und Bozidar Longin, Präfekt der Provinz, wurden in Quarantäne versetzt.. Über 100 Menschen wurde Selbstisolation verordnet, darunter Kindern, die mit Djokovic in Kroatien auf dem Platz gestanden waren. Die Adria-Tour wurde abgebrochen.

So gut die Absicht war, so verheerend war der Ausgang der Adria-Tour. Fast in Vergessenheit geraten ist das erste Opfer: Grigor Dimitrov. Dabei litt der Bulgare stark unter der Erkrankung. Er verlor acht Kilogramm innert 20 Tagen, konnte während Wochen kaum trainieren. Heute sagt er: «Es ging mir wirklich schlecht. Ich begann zu zweifeln, misstraute meinem Körper. Konnte kaum atmen. Es war brutal, die schlimmsten Monate meines Lebens. Ich hatte grosse Angst um meinen Körper. Es war frustrierend und beängstigend.»

Dimitrov verlor den Geschmacks- und den Geruchssinn, und das Vertrauen in seinen Körper. «Ich hatte Zweifel, entwickelte tiefes Misstrauen.» Alles war aus der Balance geraten, immer wieder entzündeten sich Muskeln. Erst schmerzten die Beine, dann die Schultern, der Rücken, dann die Knie. «Ein Teufelskreis», sagt Dimitrov. Es habe mehrere Monate gedauert, bis er wieder zu einer gewissen Normalität zurückgefunden habe.

epa09902738 Bulgarian Grigor Dimitrov in action against Greek Stefanos Tsitsipas during their round-of-16 match for the Barcelona Open Banc Sabadell-Conde de Godo's tennis tournament in Barcelona ...
Dimitrov auf dem langen Weg zurück – seit 2017 wartet er auf seinen 9. Turniersieg.Bild: keystone

Besonders einschneidend sei für ihn der Moment gewesen, als er von der Diagnose erfahren habe. «Als man mir sagte, dass ich mich mit Corona infiziert habe, hat es mir buchstäblich den Hals zugeschnürt. Ich hatte die Tage zuvor mit vielen Leuten Kontakt, auch mit Kindern, sodass ich erst allen Betroffenen Bescheid geben musste. Kurz zuvor hatte ich auch noch meine eigene Familie gesehen. Zum Glück hatte ich sie nicht angesteckt.»

Besuche in Waisenhäusern als Augenöffner

Auch psychisch setzte ihm die Erkrankung zu. «Wenn man während 20 Tagen für 24 Stunden alleine zu Hause ist, gehen einem viele Dinge durch den Kopf. Es ist unvermeidlich, dass schlechte Gedanken aufkommen.»

Doch Dimitrov machte aus der Not eine Tugend. In der Zeit, in der er kaum trainieren konnte, besuchte er mit seiner Mutter in Bulgarien mehrere Waisenhäuser. «Ich wollte sehen, wie die Kinder dort leben. Es war hart, zu sehen, dass sie kaum eine Chance im Leben haben.» Die Erkrankung führte bei ihm zu einem Umdenken. «Es gab Zeiten, in denen ich vom Tennis besessen war. Wenn ich gewann, fühlte ich mich wie ein König. Wenn ich verlor wie ein Bettler.» Ein halbes Jahr nach seiner Erkrankung und kurz vor dem 30. Geburtstag erfüllte er sich einen Herzenswunsch und gründete eine Stiftung, die Waisenkindern unterstützen will.

Macht er sich Vorwürfe, das Virus bagatellisiert zu haben, indem er an der Adria-Tour mitspielte? Oder gar Novak Djokovic, dem Veranstalter, der bis heute nur Bedauern, nicht aber Reue geäussert hat? Weder noch, sagt Dimitrov. «Es musste genau so passieren. Ich bin heute ein glücklicherer Mensch. Und unheimlich dankbar in Wimbledon spielen zu können.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die One-Slam-Wonders im Herren-Tennis
1 / 28
Die One-Slam-Wonders im Herren-Tennis
US Open 2021: DANIIL MEDWEDEW – Novak Djokovic 6:4, 6:4, 6:4.
quelle: keystone / justin lane
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Chum jetz, Roger, tritt ändlich zrugg!»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
5 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
code-e
28.06.2022 09:10registriert November 2018
"So gut die Absicht war, so verheerend war der Ausgang der Adria-Tour." Gute Absicht? Eher Profilierungssucht von Djokovic
5512
Melden
Zum Kommentar
5
    Davos schickt Zug mit Sweep in die Ferien – Reideborn schenkt Fribourg mit Patzer den Sieg
    Der HC Davos zieht als erstes Team in die Playoff-Halbfinals ein. Mit 5:2 gewinnt er auch das vierte Viertelfinalspiel gegen Zug hochverdient. Fribourg erspielt sich gegen Bern einen Matchpuck.

    Kein Tambellini, kein Problem: Auch ohne seinen wegen Nackenschmerzen angeschlagenen Topskorer Adam Tambellini, der in den letzten zwei Spielen sechs (!) Mal getroffen hatte, kam der HC Davos zum vierten Sieg. Immerhin hielt der EV Zug nach den beiden Klatschen (1:5 und 0:4) wieder besser mit. Dennoch ging Dan Tangnes' eindrückliche Zeit als Coach in der Schweiz mit einem deutlichen 0:4 in der Viertelfinal-Serie zu Ende – ausgetanzt von seinem einstigen Lehrling Josh Holden.

    Zur Story