Die Prognosen vor Saison sind höchst unterschiedlich für die beide Kontrahenten, welche an diesem milden Dezember-Tag in der letzten Qualifikationsrunde im Berner Wankdorf aufeinandertreffen. Im Sommer gelten die Grasshoppers fast überall als der erklärte Meisterschaftsfavorit, den Young Boys hingegen wird ein mühsamer Kampf am Strich vorausgesagt. Jetzt geht es für die stolzen Hoppers jedoch nicht um den Meistertitel, sondern um die Teilnahme an der Finalrunde.
Auf dem Feld steht am EWR-Abstimmungs-Sonntag die nominell wohl beste GC-Mannschaft aller Zeiten: Pascal Zuberbühler, Mats Gren, Ramon Vega, Harald Gämperle, Urs Meier, Murat Yakin, Ciriaco Sforza, Thomas Bickel, Mario Cantaluppi, Giovane Elber und Adrian De Vicente sollen die Katastrophe verhindern.
Aufgrund einer Sperre kann Alain Sutter nicht mittun, auch Marcel Koller fehlt den Zürchern verletzungshalber. Auf der Ersatzbank nehmen unter anderem Spieler wie Joel Magnin und Peter Közle Platz.
Dass es überhaupt zum grossen Showdown für den Rekordmeister kommt, hat die Star-Truppe dem schlechten Start unter Coach Oldrich Svab zu verdanken. Der Vorstand unter Präsident Benno Bernardi ersetzt Svab während der Saison durch den hochdekorierten Leo Beenhakker.
Der holländische Star-Trainer landet nach Stationen bei Ajax Amsterdam, Feyenoord Rotterdam, der holländischen Nationalmannschaft, Real Saragossa und Real Madrid in Zürich. Als Leistungsausweis bringt er je drei holländische und spanische Meistertitel mit.
Wie Bernardi später gegenüber der «NZZ» gesteht, erfolgte der Trainer-Wechsel wohl zu spät. «Unter Beenhakker holten wir viele Punkte», meint auch Mats Gren im «Tages-Anzeiger». Und er schiebt nach: «Wenn wir nicht den schlechten Start gehabt hätten, hätten wir es geschafft.»
Nichtsdestotrotz können es die Grasshoppers im Heimspiel gegen die Young Boys noch aus eigener Kraft in die Finalrunde schaffen, da Hauptkonkurrent Lugano einen Punkt zurückliegt. Das Szenario scheint aber eher für das Heimteam zu sprechen, wie YB-Trainer Martin Trümpler vor dem Spiel spekuliert: «Uns kommt die Ausgangslage entgegen, denn so können wir zu Hause so spielen, wie wir dies auf fremden Terrain jeweils mit Erfolg tun.»
So können die Berner nach einem schnell vorgetragenen Konter in der 29. Minute durch Bent Christiansen in Führung gehen. Die zahlreich angereisten GC-Anhänger schöpfen im mit 16'000 Zuschauer ausverkauften Wankdorf nach dem Ausgleich durch Ramon Vegas Kopfballtreffer zwar nochmals Hoffnung, doch acht Minuten vor dem Ende leitet ein Missverständnis zwischen Urs Meier und Mats Gren die Niederlage ein. YB-Ausländer Piotr Nowak profitiert von der «blöden Situation» (Zitat Gren) und markiert den 2:1-Endstand.
Die finale Niederlage der Zürcher widerspiegelt das eigentliche Manko des Teams, den Grasshoppers fehlen gegen die konterstarken und aufsässigen Berner die Leader, welche das Ruder in schwierigen Momenten herumreissen können.
Präsident Bernardi meint, dass er sich vor allem auch von Rekordnationalspieler Heinz Hermann mehr erhofft habe. Nach dessen Zuzug im Sommer sei die Mannschaft innerlich jedoch zerstritten gewesen, erklärt Sportchef Erich Vogel Jahre später: «Heinz war zwar kein Intrigant, aber es kam trotzdem Neid auf. Ein Parade-Beispiel, wie ein einzelner Spieler das ganze Innenleben eines Teams durcheinanderbringen kann.»
Wie so oft zeigt sich die Mannschaft auch zu unentschlossen und meist orientierungslos. Von einem klaren Konzept ist gegen YB gemäss «NZZ» einmal mehr wenig zu sehen. Bernardi stimmt in die Kritik ein und hinterfragt das System von Trainer Beenhakker im entscheidenden Spiel. Ausserdem meint der GC-Präsident: «Leos Daueroptimismus hat wohl gelegentlich die Optik getrübt. Ich bin gespannt auf seine Analyse. Das Potential war da, das Resultat ist indessen verheerend.»
Tatsächlich wird GC zum Gespött der Nation. Weil Lugano gegen Xamax zu einem 2:0-Erfolg kommt, überholen die Tessiner GC noch und der lange nicht für möglich gehaltene Gang in die Auf-/Abstiegsrunde wird für die Hoppers Tatsache. Der ruhmreiche Rekordmeister steht zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte nicht in der Finalrunde – damals unvorstellbar.
Spieler und Verein blicken schweren Zeiten entgegen. Das Budget muss gekürzt werden und wie Präsident Bernardi verrät, geht der sportliche Misserfolg den Spielern direkt ans Portemonnaie. In den Verträgen ist nämlich eine Klausel eingebaut, die für den Fall in die Abstiegsrunde nur noch die Auszahlung eines fixen Betrags vorsieht. Es gibt also keine Spiel- und Punkteprämien mehr. Somit können die Spitzenspieler nur noch mit einem Drittel des bisherigen Lohns rechnen.
Fast die ganze Fussball-Schweiz belächelt das tief gefallene Starensemble um Sutter, Sforza und Elber, die Schadenfreude bei der direkten Konkurrenz hält sich allerdings in Grenzen. Weil der damalige Publikumsmagnet im Frühling nicht dabei ist, fehlen laut Berechnungen des «Blicks» Wintermeister YB und Co. über 300'000 Franken. Den grössten Abstrich muss dabei der Stadtrivale FC Zürich mit 200'000 Franken machen.
GC verhindert den Abstieg trotz hochkarätiger Konkurrenz (Basel und Luzern waren damals B-Klubs) dank zehn Siegen in 14 Abstiegsrunden-Spielen zwar souverän, die letzte Chance, die verkorkste Saison zu retten, vergeben die Grashoppers im Schweizer Cup aber kläglich. Im Cupfinal treffen die Zürcher ausgerechnet auf den FC Lugano und gehen glatt mit 1:4 unter. Leo Beenhakker wird zum Saisonende entlassen.
GC verpflichtet im Sommer 1993 vom FC Wil schliesslich den noch jungen Erfolgstrainer Christian Gross und gewinnt in der folgenden Saison den Cup. 1995 und 1996 folgen zwei Meistertitel und die bis heute unvergessenen Auftritte in der Champions League.