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Mögliche Deglobalisierung: WTO-Chefökonom sieht Welt an einem Scheideweg

Mögliche Deglobalisierung: WTO-Chefökonom sieht Welt an einem Scheideweg

Die Welthandelsorganisation (WTO) hat Anzeichen einer Fragmentierung der Weltwirtschaft erkannt. Der deutsche WTO-Chefökonom Ralph Ossa warnte vor einer möglichen Deglobalisierung.
04.01.2024, 06:5307.05.2024, 11:05
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230405 -- GENEVA, April 5, 2023 -- Ralph Ossa, the World Trade Organization WTO Chief Economist, speaks during a WTO press conference in Geneva, Switzerland, on April 5, 2023. Global trade growth in 2 ...
Bild: imago images

«Die ökonomischen Kosten wären sehr hoch», sagte Ossa, der deutschen Nachrichtenagentur DPA. Der Welthandel sei wichtig für die Versorgungssicherheit, die Nachhaltigkeit und die Gerechtigkeit.

Ossa sieht die Weltgemeinschaft an einem Scheideweg. «Wir sehen erste Anzeichen dafür, dass es eine Reorientierung des Handels anhand geopolitischer Einflusssphären gibt», sagte er.

Hypothetische Machtblöcke

Die WTO hat die Welt für eine Untersuchung in zwei hypothetische Blöcke geteilt: auf der einen Seite Länder, die in den Vereinten Nationen mit den USA abstimmen und auf der anderen solche, die an der Seite Chinas standen. Der Handel innerhalb der Blöcke sei seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 vier bis sechs Prozent stärker gewachsen als zwischen den Blöcken.

Die Situation sei noch nicht dramatisch, könne es aber werden, warnte Ossa. Die WTO hat berechnet, was passieren würde, wenn die Welt tatsächlich in zwei rivalisierende Machtblöcke zerfiele und die Blöcke gegeneinander Handelsbarrieren aufbauten. In einem solchen Szenario würden Industrieländer bis 2050 durchschnittlich drei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts verlieren, arme und Schwellenländer 6.5 Prozent, schrieb die WTO in ihrem Welthandelsbericht im Herbst 2023.

Handel als Lösung

«Es wird gerade viel drüber diskutiert, ob wir uns unabhängiger machen sollen von anderen Ländern, ob wir vielleicht nur noch mit befreundeten Staaten handeln oder uns nur noch auf eigene Produktion verlassen sollen», sagt Ossa. Das berge die Gefahr, dass «aus dem Abflachen der Globalisierung eine Deglobalisierung wird».

Noch sei die Welt davon weit entfernt. Sie stehe aber an einem Scheideweg. Länder müssten sich entscheiden, ob sie den Welthandel als Teil der Lösung von Problemen oder als Teil des Problems sehen. Die WTO mit ihren 164 Mitgliedsländern, deren Aufgabe es ist, fairen Welthandel zum Wohle aller zu fördern, sieht den Handel als Teil der Lösung.

Robust in Krisen

In der Corona-Pandemie sei der Welthandel ein Segen gewesen, sagte Ossa – abgesehen von den Anfängen, als Länder Exporte von wichtigen Gütern wie Gesichtsmasken teils vorübergehend stoppten. Masken, Ausstattung für das Home Office sowie Impfstoffe seien in internationalen Lieferketten produziert und durch den Handel verfügbar gemacht worden.

Zudem wisse man nicht, wo der nächste Schock auftrete und wer dann die Lösung parat habe. Ein multilaterales Handelssystem stelle sicher, dass es in Krisen immer alternative Beschaffungsmöglichkeiten gebe. (sda/dpa)

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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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DerRealist
04.01.2024 08:18registriert September 2022
Etwas weniger Globalisierung wär vielleicht gar nicht so schlecht.
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Dong
04.01.2024 08:33registriert Oktober 2016
Eine geordnete und gemässigte Entglobalisierung ist doch genau, was sich alle Leute wünschen. Die Globalisierung war m. E. an sich ein Erfolg, aber nach dem Motto "das letzte Bier war eines zu viel" steht jetzt auf der Agenda, den Ländern wieder mehr Handlungsspielraum zurückzugeben, dort wo's Sinn macht.
Das ändert nichts daran, dass einige sehr grosse Probleme wie Klima, Steuerflucht oder Überfischung auf einer globalen Ebene gelöst werden müssen und auch können.
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schille
04.01.2024 09:26registriert Februar 2014
Spätestens seit Putin dürften viele erkannt haben dass “Wandel durch Handel” eben nicht funktioniert und man sich durch autokratische Staaten nicht abhängig machen sollte!
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