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Europäische Zentralbank hebt Leitzins um 0,75 Prozentpunkte an

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Europäische Zentralbank hebt Leitzins um 0,75 Prozentpunkte an

08.09.2022, 14:1908.09.2022, 14:43
Die deutsche Regierung soll den massiven Staatsanleihenkäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) entgegentreten. (Archivbild)
Bild: KEYSTONE

Die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt sich mit einer historischen Zinserhöhung gegen die Rekordinflation im Euroraum. Erstmals in der Geschichte der Notenbank beschloss der EZB-Rat eine Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte.

Damit steigt der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB leihen können, auf 1,25 Prozent, wie die Notenbank am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Die EZB stellte zugleich weitere Zinserhöhungen in den nächsten Monaten in Aussicht.

EZB erwartet 2022 und 2023 deutlich höhere Inflation
Die Teuerungsrate im Euroraum wird im laufenden Jahr nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) noch deutlich höher ausfallen als vor drei Monaten erwartet. Die Notenbank rechnet inzwischen mit 8,1 Prozent Inflation im Gesamtjahr 2022, wie die EZB am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. In ihrer Juni-Prognose hatte die EZB noch eine Teuerungsrate von 6,8 Prozent für das laufende Jahr vorhergesagt.
Für das kommende Jahr rechnet die Notenbank im Jahresschnitt nun mit einer durchschnittlichen Preissteigerung von 5,5 Prozent (Juni-Prognose: 3,5 Prozent). Für 2024 sagt die EZB eine Inflationsrate von 2,3 (2,1) Prozent voraus.

Signalisiert hatte der EZB-Rat für seine September-Sitzung bereits frühzeitig eine weitere Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte. Doch weil die Teuerungsrate zuletzt weiter anzog, nahm der Druck auf die Euro-Währungshüter zu, einen grösseren Schritt zu beschliessen. Höhere Zinsen können steigenden Teuerungsraten entgegenwirken.

Warum dich die Inflation betrifft & was der Leitzins damit zu tun hat – kurz erklärt

Video: watson/Helene Obrist, Emily Engkent

Nach langem Zögern hatte der EZB-Rat bei seiner Sitzung am 21. Juli erstmals seit elf Jahren die Zinsen im Euroraum wieder angehoben. Zur Freude von Millionen Sparern beendete die Notenbank die Phase der Negativzinspolitik: Geschäftsbanken müssen seither nicht mehr 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Viele Banken nahmen dies zum Anlass, sogenannte Verwahrentgelte für ihre Kunden abzuschaffen. Der sogenannte Einlagensatz steigt nach der EZB-Entscheidung vom Donnerstag auf 0,75 Prozent.

Die EZB hatte die hohe Inflation lange als vorübergehend interpretiert und hat deutlich später als andere viele andere Zentralbanken die Zinswende eingeleitet. Die US-Notenbank Fed beispielweise hat ihre Leitzinsen bereits mehrfach nach oben geschraubt, dabei zweimal um jeweils 0,75 Prozentpunkte.

Ein Ende der Preissteigerungen im Euroraum ist nicht in Sicht: Im August kletterte die Inflation im Währungsraum der 19 Länder getrieben von steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen auf die Rekordhöhe von 9,1 Prozent. Volkswirte rechnen für die nächsten Monate mit einem weiteren Anstieg. Die EZB strebt für den gemeinsamen Währungsraum mittelfristig ein stabiles Preisniveau bei einer Jahresteuerung von zwei Prozent an.

Spanien diskutiert über Deckelung der Lebensmittelpreise
Vor dem Hintergrund der galoppierenden Inflation ist in Spanien eine Debatte über die Möglichkeit einer Deckelung der Preise von Grundnahrungsmitteln ausgebrochen. Nachdem sie am Montag erstmals den umstrittenen Vorschlag gemacht hatte, startete Arbeitsministerin Yolanda Díaz eine Sondierungsrunde mit den Supermärkten des Landes.
Das erste Treffen fand am Donnerstag mit Vertretern der französischen Kette Carrefour statt, die im Lebensmitteldetailhandel Spaniens den zweitgrössten Marktanteil hat. Am Montag sollen weitere Gespräche folgen.

Für immer mehr Menschen werde die hohe Inflation zu einer enormen Belastung, sagte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel jüngst. Nagel, der im EZB-Rat über die Geldpolitik mitentscheidet, sprach sich für eine «kräftige Zinsanhebung» im September aus und erklärte: «Und in den folgenden Monaten ist mit weiteren Zinsschritten zu rechnen.» Die Geldpolitik müsse die hohe Teuerung entschlossen bekämpfen.

Zugleich gibt es unter Währungshütern Sorge, mit einer zu schnellen Normalisierung der zuvor jahrelang ultralockeren Geldpolitik die Konjunktur zu bremsen, die ohnehin mit Lieferengpässen und den Folgen des Ukraine-Krieges etwa auf dem Energiemarkt zu schaffen hat. Die EZB behält sich daher vor, über Anleihenkäufe hochverschuldeten Euro-Staaten unter die Arme zu greifen. (aeg/awp/sda/dpa)

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