Rund um die Welt wirken die Märkte zunehmend verunsichert, beklagt das Magazin «The Economist». Es beginne eine «gefährliche neue Phase». Und die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) schreibt in ihrem neuesten Bulletin, ein «Wendepunkt» sei überschritten.
Davor glaubten die Märkte, die rekordhohe Inflation lasse sich reibungslos aus der Welt schaffen – nun glauben sie, dies sei nichts mehr gewesen als eine schöne Illusion. Die Aussicht auf hohe Inflation, damit auf hohe Zinsen und vielleicht einen Konjunktureinbruch verbreitet Angst und Schrecken.
Wie ein freier Fall wirken die Kursverluste zeitweise. Rund 20 Prozent hat der US-Leitindex Dow Jones seit Jahresbeginn eingebüsst. Und gar 30 Prozent beträgt der Verlust im Nasdaq-Index, welcher Technologie-Giganten enthält wie Apple, Amazon oder die Google-Mutter Alphabet.
Als die Zinsen tief waren, schienen allein diese Titel noch anständige Renditen zu versprechen und stiegen in stratosphärische Höhen – nun fallen sie umso tiefer. In Deutschland sind es die gleichen Grössenordnungen, in Frankreich auch. Und der Schweizer Aktienmarkt wird mit hinabgezogen.
Der Leitindex SMI hat seit Jahresanfang ebenfalls um die 20 Prozent verloren, bald könnte er unter die Marke von 10'000 Punkten fallen. Dabei macht die Credit Suisse eine besonders traurige Figur. Seit Jahresanfang hat sich über die Hälfte ihres Börsenwerts in Luft aufgelöst.
Sika, Partners Group oder Geberit ergeht es nicht viel besser. Was diese drei gemeinsam haben: Als die Zinsen noch auf Rekordtief waren, boten sie den Anlegern schöne Wachstumsstorys, ihre Kurse hoben ab – und nun geht es abwärts.
Wie es dazu kam, zeigt der Blick zurück auf die letzten paar Monate. Laut BIS hat es zwei Wendepunkte gegeben. Der erste war Mitte Juni. Die US-Notenbank hob die Zinsen zwar stärker als erwartet, doch die Märkte überzeugten sich damals von ihrer schönen Illusion: dass die Inflation schnell nachlassen würde und es nicht mehr allzu viel höhere Zinsen braucht.
Die Aktienkurse gingen hoch, die Renditen auf Staatsanleihen runter. Das Schauspiel war in allen Industriestaaten zu bestaunen, auch in der Schweiz. Wie die BIS über diese Wochen schreibt:
Dieses Stimmungshoch hielt bis im August. Dann war laut BIS der zweite Wendepunkt erreicht. Die Politik habe damals begonnen, energischer auf die Inflation zu reagieren, und die Energiekrise in Europa verschärfte sich. Die Stimmung kippte. Die finanziellen Bedingungen, etwa für Kreditnehmer, verschärften sich; Geld wurde aus riskanten Anlagen zurückgezogen, die Aktienkurse begannen zu fallen; und die Renditen von Staatsanleihen stiegen wieder, auch in der Schweiz (siehe Chart).
Die höheren Zinsen auf Anleihen von Staaten und Unternehmen sind schlecht für Aktien – und wie sich diese Woche verstärkt zeigt, auch schlecht für eine Reihe von Währungen.
«Ein starker Dollar und steigende Zinssätze verursachen Chaos», so beschreibt der «Economist» die aktuellen Geschehnisse. Wobei beides – starker Dollar und hohe Zinsen – zurückgeführt werden kann auf die rekordhohe Inflation. Der Reihe nach.
Die hohe Inflation zwingt die Notenbanken zu höheren Leitzinsen, wodurch die Zinsen allgemein steigen, also auch jene auf Anleihen von Staaten und Unternehmen. In der Folge fliessen mehr Gelder in solche Anleihen hinein und hinaus aus Aktien – deren Kurse sinken also tendenziell, wie auch diese Woche. Und weil die Börsen zum Überschiessen neigen, könnte es einen Crash geben.
Auf die hohe Inflation hat eine Notenbank besonders aggressiv reagiert: die US-Notenbank Fed unter ihrem Chef Jerome Powell. Dadurch sind auch die Zinsen auf Anleihen in den USA schnell gestiegen. Zudem sind die Wirtschaftsaussichten in den USA vergleichsweise gut. Beides bewirkt, dass sich der Dollar spektakulär aufwertet.
Zu einem Korb anderer Währung kostet er 18 Prozent mehr und ist somit so teuer wie in zwei Jahrzehnten nicht. Und dieser unaufhaltsame Aufstieg sorgt nun in zig anderen Ländern für Turbulenzen – unter anderem, weil diese Länder wichtige Rohstoffe wie Öl oder Nahrungsmittel in Dollar zahlen müssen. Das wiederum kann die Inflation zusätzlich befeuern.
Betroffen ist etwa der Euro, der zum Dollar auf dem tiefsten Stand seit 20 Jahren gefallen ist. Grossbritannien musste zusehen, wie das Pfund fast auf einem 40-Jahre-Tief abrutschte und war gezwungen, die Märkte mit einem Statement zu beruhigen. Japan griff direkt in den Devisenmarkt ein, China indirekt. Es gilt wieder, was vor Jahrzehnten ein US-Finanzminister seinen westlichen Amtskollegen sagte: «Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem.»
Die Notenbanker meinen es ernst und wollen, dass sie ernst genommen werden von den Märkten: Sie werden nicht ruhen, bis die Inflation wieder unter Kontrolle ist, auch wenn es schmerzhaft werden könnte. Mit dieser Botschaft traten zuletzt einige Notenbanker an die Öffentlichkeit. Sie schüren so die Furcht vor weiteren Zinsschritten im Kampf gegen die hohe Inflation und vor einem damit einhergehenden Konjunktureinbruch.
So hat die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, gesagt: «Derzeit gehen wir davon aus, dass die Zinssätze in den nächsten Sitzungen weiter angehoben werden, um die Nachfrage zu dämpfen.» Und um klar zu machen, dass es ein langer Kampf wird, sagte sie: «Die Inflation ist nach wie vor viel zu hoch und wird wahrscheinlich für längere Zeit über unserem Zielwert liegen.»
In den USA waren es zwei Notenbanker, die den Märkten einbläuten, dass die Zinsen noch weiter steigen müssen. Susan Collins, die Präsidentin der regionalen Notenbank von Boston, sagte, eine zusätzliche Straffung der Geldpolitik sei erforderlich, um die hohe Inflation einzudämmen. Sie warnte davor, dass der Prozess zu Arbeitsplatzverlusten führen könne.
Raphael Bostic, der Präsident der Fed von Atlanta, ergänzte, die Notenbank habe noch einen weiten Weg vor sich, um die Inflation zu kontrollieren.
Die Stimmung ist gekippt, wie beispielhaft diese Einschätzung zeigt: «Wir befinden uns in einer düsteren Periode», hält Ed Yardeni fest, der Präsident des gleichnamigen Analysehauses. Für die US-Wirtschaft zögen dunkle Wolken auf, denn die jüngsten Konjunkturdaten deuteten auf einen ausgeprägten Wirtschaftsabschwung hin.
«Und auch die Risiken einer ausgewachsenen Rezession nehmen offenbar zu.» Jedoch sind die Börsen berühmt und berüchtigt für ihre Stimmungsschwankungen. (Mit Material von der dpa) (aargauerzeitung.ch)
Vereinfachtes Beispiel: man erhält 100 Franken jährlich Dividende für eine Aktie. Der risikofreie Marktzins beträgt 1 Prozent. Der Risikozuschlag für die Aktie ist nochmals 1 Prozent. 100 CHF / (0.01+0.01) = 5000 CHF. Die Aktie ist also 5000 CHF wert.
Jetzt steigt der Marktzins auf 3 Prozent. Der Risikozuschlag ist weiter 1 Prozent. Die Aktie zahlt weiter 100 CHF Dividende.
100 CHF / (0.03+0.01) = 2500 CHF
Jetzt hat sie sich aber im Wert halbiert.
Dasselbe gilt für die Immo-Märkte und Anleihe