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Zinsen: Die Stimmung ist gekippt

«Hexengebräu» an der Börse: Der August wird zum miesesten Monat seit fast einem Jahr

Es geht abwärts an der Börse, obwohl das erste Halbjahr stark gewesen ist. Aber: Nun ist die Zuversicht verflogen. In der Eurozone geht die Angst vor einer Rezession um.
26.08.2023, 20:20
Niklaus Vontobel / ch media
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Auf einmal geht es an den globalen Börsen mehrheitlich abwärts. In den letzten drei Wochen haben die Leitindizes in den USA, Europa und China stark nachgegeben, wie die «Financial Times» schreibt. Gemeinsam haben sie rund 2.5 Billionen Dollar an Wert verloren. Das entspricht 5 Prozent ihres Gesamtwertes oder mehr als der Bewertung aller im britischen Leitindex FTSE 100 versammelten Aktien.

Börse im Sturm
An der Börse geht es abwärts.Bild: Shutterstock

Der globale Aktienindex MSCI ist im August auf dem Weg, den schlechtesten Monat seit letztem September zu erleben. Dabei war die Stimmung im Juni noch geradezu euphorisch. Der amerikanische Tech-Index Nasdaq verzeichnete sein bestes erstes Halbjahr in vier Jahrzehnten. Der Grund für diesen Richtungswechsel sei, wie ein Analyst zur «Financial Times» sagt, ein wahres «Hexengebräu von Risiken».

Und so setzt sich dieses toxische Gebräu zusammen.

Die Zuversicht flog zur Haustüre hinaus

Bei den Zinsen gab es ein Umdenken. Lange glaubten die Märkte, die Inflation werde bald besiegt sein und es stünden darum wieder Leitzins-Senkungen an. Die Zentralbanken warnten immerzu, diese Zuversicht sei übertrieben, es könne länger dauern – die Märkte wollten es nicht wahrhaben. Jetzt haben sie es wohl eingesehen.

Den Meinungsumschwung ausgelöst haben neue Daten aus den USA, wonach die amerikanische Inflation wieder anziehen könnte. Insbesondere steigen die Löhne zu kräftig, weshalb die Unternehmen höhere Kosten haben und die Preise stärker erhöhen. So könnte die Inflation länger über jenen 2 Prozent bleiben, wo sie die US-Zentralbank Fed haben will. Darum gab sie kürzlich sogar eine Warnung ab, es gebe ein «erhebliches Aufwärtsrisiko für die Inflation».

Das sass. Die Zuversicht flog so schnell aus dem Fenster, wie es im Sprichwort die Liebe tut, wenn die Armut durch die Tür hereinkommt. Es half nicht mehr, dass die Inflation im Juli eigentlich schon auf 3 Prozent gefallen ist. Die Zinsen schossen hoch. Auf 10-jährige Staatsanleihen war es in den USA der höchste Stand seit 2007.

Und diese Woche bekamen die verbliebenen Optimisten nochmals eins auf den Deckel. Am alljährlichen Symposium in Jackson Hole warnte der Chef des US-Fed, Jerome Powell, die Inflation sei «noch immer zu hoch». Wenn sich das nicht ändert, erhöhe man die Leitzinsen weiter. Und man werde sie so lange oben halten, «bis wir davon überzeugt sind, dass sich die Inflation nachhaltig in Richtung unseres Ziels bewegt».

Federal Reserve Chair Jerome Powell speaks during a news conference at the William McChesney Martin Jr. Federal Reserve Board Building following a Federal Open Market Committee meeting on Wednesday, J ...
Lässt im Kampf gegen die Inflation nicht nach: Fed-Chef Jerome Powell.Bild: keystone

Hohe Zinsen sind schlecht für Aktien. Unter anderem verlieren sie dadurch gegenüber Anleihen an Attraktivität. Und die Gewinne der Unternehmen sinken, weil ihre Finanzierungskosten zunehmen. Gleichzeitig steigt die Gefahr, dass irgendwo eine Bombe hochgeht: Irgendwer kann seine Zinslast nicht mehr tragen, muss hohe Abschreibungen vornehmen oder gerät sonst wie in Schieflage.

Ernüchterung über China

Zu China haben sich die Finanzmärkte eingestehen müssen, was Experten seit Jahren sagen: das alte Wirtschaftsmodell tauge längst nicht mehr, doch China hat dennoch lange daran festgehalten. Es kam zu verschwenderischen Investitionen, die keine echten Werte schufen.

Immobilien-Entwickler haben so gigantische Schulden im Wert von 16 Prozent der Gesamtwirtschaft angehäuft, die sie heute nur mit Mühe bedienen können – oder gar nicht. China wird sich anpassen, doch zuerst wird es hässlich. Experte Michael Pettis sagt:

«Wirtschaftlich waren solche Anpassungsphasen immer weit schwieriger, als selbst die grössten Pessimisten befürchtet hatten.»

Rezession und weiter steigende Leitzinsen in der Eurozone

In der Eurozone geht die Angst vor einer Rezession um. Wie die Zürcher Kantonalbank schreibt, ist eine Rezession ab dem 3. Quartal «wahrscheinlich». So gaben die Einkaufsmanager-Indizes stark nach, welche den Konjunkturverlauf vorwegnehmen sollten.

Diese Verlangsamung ist anscheinend am Arbeitsmarkt angekommen. Gemäss Umfragen schaffen die Unternehmen netto keine neuen Jobs. Wie die ZKB schreibt, ist die Beschäftigung «komplett zum Halt gekommen». Die Arbeitslosenquote werde darum steigen – schon in diesem und wohl vor allem nächstes Jahr.

Bei den europäischen Zinsen zeigt sich der Stimmungsumschwung ebenso. Vor wenigen Monaten reichte es noch, wenn die Inflation nachgab - und die Aktienkurse gingen in die Höhe. Heute schwächeln die Börsen, obschon die Inflation stark gefallen ist: Letztes Jahr lag sie im Juli noch bei 9 Prozent; dieses Jahr bei 5.3 Prozent. Es überwiegt die Einschätzung, wonach es noch ein weiter Weg ist, bis die EZB ihr Inflationsziel von 2 Prozent erreicht hat.

epa10283147 Deutsche Bundesbank President Joachim Nagel delivers a speech at a Forum Europe breakfast briefing in Madrid, Spain, 03 November 2022. EPA/JAVIER LIZON
Der Präsident der Deutschen Bundesbank Joachim Nagel.Bild: keystone

Zumal der europäische Währungshüter kürzlich eingestehen musste, die Inflation werde weniger schnell sinken als zuvor von ihr prognostiziert. Die Hardliner in der EZB wollen ohnehin noch deutlich höher mit den Zinsen. Der Chef der Deutschen Bundesbank, Joachim Nagel, sagte zu «Bloomberg TV» neulich:

«Die Inflation ist noch immer viel zu hoch. Es liegt also noch ein weiter Weg vor uns».

Der Euro fiel beinahe auf ein neues Rekordtief

Dieses globale Gemisch an Risiken wird von ZKB-Analyst Jörn Spillmann so zusammengefasst: Die Konjunktur verlangsame sich; zugleich sei die Geldpolitik noch immer restriktiv, bremse also die Wirtschaft. Und diese globalen Trends würden die Schweizer Börse genauso bewegen wie die Märkte in Frankfurt oder New York. Und dazu beeinflussen sie den Frankenkurs zum Euro.

Nähern sich der Parität an: Der Euro und der Franken.
Die globalen Trends beeinflussen auch den Frankenkurs zum Euro.Bild: shutterstock.com

Exemplarisch zeigte sich dieser Effekt diese Woche. Es wurden schlechte Daten zu Deutschland und zur Eurozone bekannt - im Nu sackte der Euro ab. Es fehlten ein paar Zehntel von einem Rappen und er wäre unter die Marke von 95 Rappen und auf ein neues Allzeittief gefallen.

So wird es im Ausland schwieriger für Schweizer Unternehmen; ihre Produkte werden durch den starken Franken teurer. Und im Heimmarkt wird so die ausländische Konkurrenz stärker. Wie ZKB-Analyst Spillmann sagt, machen sich Wechselkursbewegungen in kleinen offenen Volkswirtschaften wie der Schweiz besonders stark in den Aktienkursen bemerkbar.

«In diesem Jahr wurde die Börse dadurch eher belastet.»

All das erklärt, warum auch die Schweizer Börse mittlerweile schwächelt. Der Start war gut, im Mai stand der Swiss Market Index (SMI) noch deutlich im Plus. Gut 8 Prozent hatte er zum Jahresanfang zugelegt. Davon ist nicht viel geblieben. Der SMI ist fast wieder dort zurück, wo er im Januar noch angefangen hat – Tendenz unklar.

Bei den Schweizer Zinsen haben sich Hoffnungen zerschlagen, es könnte bald ein leichtes Absinken geben. Noch Ende Juli war diese Einschätzung weit verbreitet, auch für die Hypothekarzinsen. Doch dagegen sprechen nun die Trends in den USA und in der Eurozone. Von der Schweizerischen Nationalbank wird im September nochmals eine Erhöhung der Leitzinsen erwartet. Die Stimmung hat diesen Sommer gedreht. (bzbasel.ch)

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