Der Mehrwertsteuersatz, so steht es in der Bundesverfassung, beträgt «höchstens 6.5 Prozent». Doch mittlerweile hat der besagte Artikel 130 im höchsten Schriftstück des schweizerischen Rechtssystems etliche zusätzliche Absätze erhalten.
Der Normalsatz liegt heute deutlich über dem ursprünglich festgelegten Maximum. Und er wird per Anfang 2024 nochmals erhöht – von heute 7.7 auf 8,1 Prozent. Der reduzierte Satz steigt von 2.5 auf 2,6 Prozent, der Sondersatz für die Beherbergung, ein Steuerprivileg zugunsten der heimischen Hotellerie, von 3.7 auf 3,8 Prozent.
Ausgenommen sind Leistungen aus den Bereichen Gesundheit, Bildung, Kultur und Vermietung respektive Verkauf von Immobilien.
Grund für die erneute Erhöhung ist die jüngste AHV-Reform: Am 25. September 2022 hatten die Stimmberechtigten die Vorlage für eine Zusatzfinanzierung der AHV aus der Mehrwertsteuerkasse mit gut 55 Prozent gutgeheissen.
Während die meisten Konsumentinnen und Konsumenten den Steueraufschlag wohl erst beim ersten Kauf im Januar bemerken werden, sind die Unternehmen schon seit Wochen respektive seit Monaten mit der Anpassung beschäftigt. Mehrwertsteuerpflichtig sind alle Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 100'000 Franken, egal ob sie eine Einzelfirma, eine GmbH oder eine Aktiengesellschaft sind. Sprich: Es trifft fast alle, vom Migros-Konzern über die Swatch-Gruppe und das kleine Bistro um die Ecke bis hin zum Grafikatelier.
Bei der Steuersatzanpassung stehen namentlich zwei Aufgaben im Vordergrund, wie Mathias Bopp, Steuerexperte beim Beratungsunternehmen KPMG, erklärt. «Erstens muss die IT umgestellt werden.» Das brauche ziemlich viel Ressourcen. «Kleinere Unternehmen mit weniger grossen IT-Kapazitäten sind in der Regel stärker gefordert, denn sie können nicht einfach etliche Personen auf das Thema Mehrwertsteuer-Erhöhung ansetzen.»
Zweitens müssten Mehrjahresverträge mit Lieferanten und Kunden angepasst werden, ergänzt Bopp. Je nachdem wie diese Verträge ausgestaltet seien, könne die Steuererhöhung auf die Abnehmer überwälzt werden oder müsse aus dem eigenen Margentopf bezahlt werden. «Untersuchungen zu vergangenen Mehrwertsteuererhöhungen haben ergeben, dass Unternehmen rund die Hälfte selber tragen müssen», sagt Bopp.
Zulasten der Unternehmen gehen die steuerlichen Mehrkosten auch bei den meisten Verträgen mit Endkunden, die über den Jahreswechsel hinweg gültig sind, etwa bei Zeitungs- oder Streamingabonnements. Hier werden die höheren Steuern pro rata fällig. Denn für die Steuerbehörden entscheidend ist der Zeitpunkt der Leistung, nicht das Datum, an welchem die Rechnung bezahlt wurde.
Die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,4 Prozentpunkte kommt ungünstig, wirkt sie doch preistreibend, während die Nationalbank alles daran setzt, die Inflation in den Griff zu bekommen. «Der Zeitpunkt für eine Steuererhöhung ist nie ideal», sagt Frank Marty, Steuerexperte beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse.
Dennoch und trotz absehbarer administrativer und steuerlicher Mehrbelastung gehörte Economiesuisse zum Lager der Befürworter bei der jüngsten AHV-Reform, bei der nicht nur die Mehrwertsteuer, sondern auch das Rentenalter der Frauen erhöht wurde. «Die Sicherung der AHV war in diesem Fall wichtiger.»
Die neuste Steuersatzanpassung zeige aber: «Mehrwertsteuererhöhungen treffen alle», sagt Marty. Im Schnitt verursache die Erhöhung von 0,4 Prozentpunkten Mehrkosten von 200 Franken pro Haushalt und Jahr. Aber natürlich sind nicht alle gleich stark betroffen. In Franken und Rappen gemessen liefern die einkommensstarken Haushalte dreimal mehr ab in die Mehrwertsteuerkasse als jene mit tiefen Einkommen. Denn sie konsumieren auch mehr.
In relativen Zahlen hingegen sieht die Sache anders aus. «Die Mehrwertsteuererhöhung trifft die einkommensschwachen Haushalte stärker», betont Marty, und er untermauert dies mit Zahlen: Während hohe Einkommen um etwa 0,15 Prozent mehr belastet würden, liege der Wert für tiefe Einkommen bei 0,24 Prozent.
Eingeführt wurde die Mehrwertsteuer 1995 und löste damals die frühere Warenumsatzsteuer ab. Sie startete mit einem Normalsatz von 6,5 Prozent und einem reduzierten Satz für Nahrungsmittel, Medikamente sowie Zeitungen und Bücher von 2 Prozent. Im Oktober des Folgejahres wurde der Sondersatz für Übernachtungen mit Frühstück für die Beherbergungsbranche eingeführt. Dieser betrug zu Beginn 3 Prozent.
Die Sätze wurden dann 1999 zum ersten Mal erhöht – zugunsten der AHV und der Invalidenversicherung (IV). Es folgten weitere, zum Teil auch zeitlich befristete Anpassungen. Und das, obwohl jede Erhöhung der Mehrwertsteuersätze einer Verfassungsänderung und folglich einer Abstimmung mit Volks- und Ständemehr bedarf. Die zusätzlichen, jeweils demokratisch legitimierten Mehrwertsteuerprozente fliessen in die IV, die AHV und in den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur.
Die nächste Mehrwertsteueranpassung erfolgt – Stand heute – 2030. Dann sollen alle drei Steuersätze um 0,1 Prozentpunkte gesenkt werden. Denn dann läuft die zeitlich befristete Zusatzfinanzierung für den Ausbaus der Bahninfrastruktur (Fabi) aus. Doch möglich, dass bis dahin weitere politische Begehren über die Mehrwertsteuer finanziert werden.
Wird eh nicht passieren! Aber die MWST-Erhöhung weitergeben, das bestimmt!