Nähtisch reiht sich an Nähtisch, beleibte Frauen und Männer mit Nike-T-Shirts sitzen daran, einer trägt eine USA-Mütze auf dem Kopf, fummelt an einem Nike-Schuh herum, beisst dann von einem Burger ab. Und hinten an der Wand hängt ein Banner: «Make America strong again.»
Die Szene stammt aus einem KI-generierten Video, das in den vergangenen Tagen viral ging und allein bei X über 20-Millionen-mal angesehen wurde – vermutlich, weil es so abwegig erscheint: US-Amerikaner, die Nike-Turnschuhe für den eigenen Markt nähen. Turnschuhe. Massenproduktion. In den USA. Und nicht in Südostasien. Nur: Ist das wirklich so unrealistisch?
Wegen der Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump haben international operierende Modemarken wie Nike ein akutes Problem: Zölle treiben die Kosten für ihre Produkte derzeit rasant in die Höhe. Gegenüber China etwa haben die USA seit vergangener Woche eine Zollfestung hochgezogen und Einfuhrzölle von 145 Prozent auf einen Grossteil aller Konsumgüterimporte aus dem Land beschlossen. In der Volksrepublik werden 55 Prozent aller Schuhe weltweit produziert – 12,3 Milliarden waren es im Jahr 2023.
Damit stellt der Zollkonflikt das Geschäftsmodell international operierender Modefirmen auf die Probe. «Wer in China produziert und in den USA verkauft, steht plötzlich vor einer radikalen Veränderung seiner Kalkulation», sagt Gabriele Terland, Partnerin bei der Boston Consulting Group (BCG). Sie will sich nicht zu einzelnen Marken wie Nike äussern, ist jedoch Expertin für die Luxus- und Modeindustrie bei der Unternehmensberatung. Und sie sagt: Für die Modeindustrie sei das aktuell «ein Stresstest».
Das zeigt auch der Blick in die Gewinnkalkulation eines Nike-Schuhs, die 2022 das Testportal Solereview veröffentlichte und das sich mit anderen Insiderberichten deckt: Ein Nike-Modell, das für 100 US-Dollar in den USA verkauft wird, kostet den US-Konzern im Einkauf bei den chinesischen Zulieferern rund 25 US-Dollar inklusive Transportkosten – also etwa ein Viertel des Preises, den am Ende die Verbraucher zahlen. Gelten Zölle von 20 Prozent – das war in etwa der Zollsatz für Textilimporte aus China der vergangenen Jahre –, muss Nike also rund 30 US-Dollar ausgeben, bis das Paar Schuhe die USA erreicht haben. Gilt jedoch wie aktuell ein Zoll von 145 Prozent, kosten allein die Zollgebühren 36.25 US-Dollar. Insgesamt müsste Nike also rund 61 US-Dollar ausgeben, bevor es den Schuh in den USA überhaupt an Einzelhändler wie Foot Locker weiterverkaufen kann.
Aus dieser Rechnung ergeben sich zwei Optionen: Entweder Nike selbst und die Einzelhändler verzichten auf einen Teil ihrer Marge, um den Schuh weiterhin für 100 US-Dollar im Laden anbieten zu können. Eher unwahrscheinlich und auch nur teilweise möglich, sagt Gabriele Terland von BCG.
Oder die Unternehmen heben den Endpreis an. «Wenn man die derzeitigen Zollszenarien durchrechnet, ergibt sich eine notwendige Preisanpassung von etwa zehn bis 15 Prozent pro Produkteinheit – nur, um die Margenverluste auszugleichen», sagt Terland. Die Frage ist jedoch, wie viel sich über Preiserhöhungen an den Endkunden weitergeben lässt, ohne dass die Zahlungsbereitschaft kippt. Gerade in besonders preisgünstigeren Sportartikelsegmenten drohe ein Nachfrageeinbruch, wenn der Preis eine bestimmte Schmerzgrenze überschreite, sagt Terland.
Daraus ergibt sich eine dritte Option: Statt in China könnte Nike seine Schuhe in anderen Ländern produzieren lassen, um die hohen US-Zölle zu umgehen. «Grundsätzlich lässt sich die Bekleidungsproduktion vergleichsweise flexibel von Saison zu Saison verlagern, sofern Kapazitäten vorhanden sind», sagt Unternehmensberaterin Terland von BCG. In der Schuhproduktion sei das jedoch deutlich schwieriger, da die Anforderungen an die Zulieferer komplexer seien. Da habe China bislang einen Standortvorteil, sagt Terland. «Ein vollständiger Rückzug aus China bleibt unrealistisch.»
Viele Firmen wanderten in den vergangenen Jahren jedoch bereits in andere Länder ab. Nike hat seit den frühen 2000er-Jahren mehr und mehr seine Produktion aus China nach Vietnam verschoben – auch um den US-Zöllen gegenüber China aus Trumps erster Amtszeit zu begegnen. Im Jahr 2024 wurde bereits die Hälfte der Nike-Turnschuhe in Vietnam produziert, das geht aus dem Geschäftsbericht hervor.
Weil es andere Hersteller Nike gleichtaten, wurde Vietnam innerhalb der vergangenen fünf Jahre zu so etwas wie einer verlängerten Werkbank für die Modeindustrie – mit sichtbarem Effekt: von 2020 auf 2021 sprang der Anteil der Exporte von Waren und Dienstleistungen am Bruttoinlandsprodukt des Landes von 84 auf 94 Prozent an.
Doch genau das wird jetzt zum Problem für Vietnam. Weil die Exporte aus dem Land in Richtung USA drastisch zunahmen, wurde auch die Handelsbilanz immer unausgeglichener. Heute ist Vietnam der Handelspartner der USA mit dem dritthöchsten Handelsbilanzdefizit überhaupt – 124 Milliarden US-Dollar waren es im Jahr 2024. Vietnam hat also viel weniger aus den USA importiert als andersherum, gleichzeitig schützt das Schwellenland seine fragile Wirtschaft mit hohen Zöllen.
Das passt US-Präsident Trump so gar nicht. Auf der kürzlich vorgestellten Zollliste rangiert Vietnam deshalb mit einem der höchsten Strafzölle überhaupt: 46 Prozent. Nach der von Trump angekündigten Zollpause von 90 Tagen könnten diese wieder greifen.
Das gilt auch für andere Länder, in denen Nike bereits den Grossteil seiner Schuhe und Kleidung produziert – vor allem sind das Indonesien, Thailand und Taiwan. Auch diese Standorte wären nach Ablauf der 90 Tage mit hohen Strafzöllen von über 32 (Indonesien) oder sogar 36 Prozent (Thailand, Taiwan) belegt.
Global operierende Modehersteller wie Nike versetzt das in eine verzwickte Lage: Sie könnten ihre Produktion aus China gänzlich abziehen, um die aktuell extrem hohen Zölle von insgesamt 145 Prozent zu umgehen – und dafür die etwas geringeren Zölle in Kauf nehmen, die mittelfristig gegenüber Vietnam oder Indonesien gelten. Dann würden sie ihre Produktion dort noch verstärken. Doch wer garantiert den Unternehmen, dass Trump nicht einen Monat später neue Zölle anordnet? Zudem seien die Lieferketten zwischen Vietnam und China eng verflochten, sagt Gabriele Terland von BCG, Vietnam teilweise auf die Expertise der chinesischen Zulieferer angewiesen. «Das erschwert eine echte Entkopplung.»
Wie Nike auf die neue Herausforderung reagieren will, dazu lässt der Konzern eine Anfrage von ZEIT ONLINE unbeantwortet. Dass Nike seine Produktion am Ende tatsächlich in die USA verlagert – wie es das KI-Video zeigt und US-Präsident Donald Trump mit seiner Zollpolitik zu hoffen scheint – ist unwahrscheinlich. Das liegt vor allem an den hohen Lohnkosten: In den USA liegt der Mindestlohn je nach Bundesstaat zwischen 7,25 und 16.66 US-Dollar pro Stunde.
In China bei knapp vier US-Dollar, in Vietnam bei nur etwa einem US-Dollar. «Aufgrund der hohen Lohnkosten sind selbst Importe mit hohen Zöllen meist günstiger als eine US-Produktion», sagt Terland. Zwar kämen in der Schuhproduktion mehr Maschinen zum Einsatz – das spart Lohnkosten. Jedoch müssen die ja erst angeschafft werden, Produktionshallen hochgezogen, geschultes Personal eingestellt werden. Dann lieber doch den Zoll in Kauf nehmen – so denken die meisten Unternehmen bisher.
So oder so könnte das Geschäftsmodell von Fast Fashion einen echten Dämpfer erleben. «Die Hoffnung vieler Unternehmen ruht nun auf der angekündigten 90-tägigen Aussetzung der Zölle – in dieser Zeit könnten bilaterale Handelsdeals ausgehandelt werden», sagt Gabriele Terland von BCG. Eine Einigung mit China sei aber eher unwahrscheinlich.
Den deutschen Markt wird das höchstwahrscheinlich kaltlassen: Da für den Import von Sneakern aus China in die EU keine derart hohen Zölle gelten, dürften die Preise in Deutschland und anderen wichtigen Märkten stabil bleiben. Den Preis zahlen dann vor allem Verbraucherinnen und Verbraucher in den USA – und die Arbeitskräfte in der Zuliefererbranche in Südostasien, die von einer hohen Nachfrage abhängig sind.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.
Das bezweifle ich.
Da wir Europäer keine US-Sneakers mehr kaufen, bleiben noch genügend für die MAGAs übrig.
Einfach etwas teurer als gewohnt - aber was macht man nicht alles für seinen geliebten POTUS.