Die Erde ist eine Kugel und die Schwerkraft an jedem Punkt der Oberfläche gleich. Diese Aussage ist näherungsweise richtig – streng genommen aber falsch. Tatsächlich ist die Erde an den Polen etwas abgeflacht und am Äquator etwas wulstiger – eine Folge der Erdrotation.
Was die tatsächliche, detaillierte Form der Erde noch komplexer macht, ist, dass auch die Erdanziehung nicht überall gleich stark wirkt. Die Unterschiede sind zwar so klein, dass man dies selbst nie bemerken würde, doch man kann diese messen.
Greifbar werden diese Differenzen etwa in den Weltmeeren – denn hier wird der Meeresspiegel tatsächlich direkt von der Gravitation beeinflusst. Dort, wo die Erdanziehung höher als in den umliegenden Regionen ist, wird das Wasser stärker angezogen, und entsprechend wölbt sich das Meer an solchen Stellen leicht. Dort, wo die Gravitation niedriger ist, gibt es entsprechend eine Delle im Meeresspiegel.
Die ausgeprägteste dieser Schwerkraft-Anomalien befindet sich im Indischen Ozean und heisst «Indian Ocean Geoid Low» (IOGL). Hier liegt die Meeresoberfläche tatsächlich rund 100 Meter niedriger als in den umliegenden Regionen. Da das IOGL doppelt so gross ist wie die europäische Landmasse und die Schwerkraftunterschiede zum Rand hin graduell geringer werden, fällt dieser gewaltige Höhenunterschied vor Ort aber nicht auf.
Dennoch ist dieses Schwerkraftloch etwas Besonderes und gab der Wissenschaft über Jahre Rätsel auf. Jetzt haben Forscher eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen gefunden:
Für ihre Studie «How the Indian Ocean Geoid Low was Formed», die im Mai dieses Jahres von Debanjan Pal und Attreyee Ghosh im Fachblatt «Geophysical Research Letters» veröffentlicht wurde, nutzten die Forscher 19 Computermodelle, die die Bewegung des Erdmantels und der tektonischen Platten vor 140 Millionen Jahren simulierten.
Die Modelle, die das IOGL am besten nachbildeten, hatten alle eine Gemeinsamkeit: Säulen von heissem Magma geringer Dichte, das aus dem Erdinneren aufstieg und dabei Material mit höherer Dichte verdrängte. In der Folge weist ein Teil des Erdmantels in diesem Bereich nun erheblich weniger Masse auf. Deshalb ist auch die Anziehungskraft an dieser Stelle entsprechend niedriger.
Mitschuld daran soll ein weiteres geologisches Phänomen tragen, das als «African Blob» bekannt ist: Eine Blase eines dichten Materials, das tief in der Erdkruste unter dem afrikanischen Kontinent liegt.
Die Forscher vermuten nun, dass es im Rahmen gigantischer tektonischer Verschiebungen verschiedener Kontinentalplatten zu folgendem Effekt gekommen sein könnte: Vor etwa 130 Millionen Jahren brach die indische Platte vom damaligen Superkontinent Gondwana ab und wanderte in Richtung eurasischer Platte. Auf ihrem Weg soll sich die indische Platte wiederum über die Platte des Ur-Ozeans Tethys geschoben und diesen nach unten gedrückt haben.
Splitter der zerbrochenen Thetys-Platte wanderten nun zunehmend tiefer in der Erdkruste nahe des heutigen östlichen Afrikas. Vor rund 20 Millionen Jahren sollen nun diese einen Teil des Magmas, das im «African Blob» gefangen ist, verdrängt haben. Dadurch bildete sich eine Magmasäule in Richtung des Indischen Ozeans, die letztlich für das IOGL verantwortlich ist.
All das ist bislang aber nur eine Theorie, die in Simulationen dargestellt wurde. Jetzt müssen die Forscher die Existenz der Magmasäule nachweisen. Das soll mithilfe von Erdbebendaten gelingen, die rund um das IOGL gesammelt werden.
Es ist sehr interessant, aber alles noch eine Theorie. Und wie so oft in der Wissenschaft, wird die Untersuchen weitere Erkenntnisse offenlegen, aber auch neue Fragen in den Raum werfen.