In den 1960er-Jahren machten griechische und schwedische Archäologen im Süden Griechenlands einen spektakulären Fund: Sie stiessen in einem Grab auf eine komplette Rüstung aus der späten Bronzezeit. Die nach ihrem Fundort in der Region Argolis benannte Dendra-Rüstung ist rund 3500 Jahre alt und damit die wohl älteste noch vollständige Rüstung, die bisher in Europa gefunden wurde.
Die Dendra-Rüstung ist aus Bronze gefertigt und besteht aus einem Brust- und einem Rückenpanzer, mehrteiligen Schulterpanzern, einem runden Halsschutz und sechs überlappend verbundenen Panzerringen, die Bauch, Unterleib und Oberschenkel schützen. Als Kopfschutz dient ein mit polierten Eberzähnen besetzter Lederhelm.
Dendra ist nicht weit entfernt vom alten Mykene, das in der vorklassischen Zeit das kulturelle und politische Zentrum der antiken griechischen Welt war und nach dem die mykenische Kultur benannt ist. Die Mykener, Träger dieser ersten Hochkultur auf dem europäischen Festland, lösten um die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. die minoische Kultur ab. Sie erbauten monumentale Bauwerke, entwickelten eine eigene Schrift und betrieben Fernhandel.
Und sie führten Feldzüge – der berühmte Trojanische Krieg, so er denn tatsächlich stattgefunden hat, fällt in die mykenische Zeit. Doch wie waren die Soldaten in der späten Bronzezeit ausgerüstet? Wurde die Dendra-Rüstung wirklich im Kampf getragen, wie die Schilderungen des griechischen Dichters Homer in der «Ilias» nahelegen – oder diente sie vielleicht nur zeremoniellen Zwecken? Die Antwort auf diese Frage hat Auswirkungen auf das Verständnis der Historiker für die Kriegsführung in der vorklassischen Zeit.
Ein Forschungsteam um Andreas Flouris, Professor für Physiologie an der Abteilung für Sportwissenschaft der Universität von Thessalien in Griechenland, hat sich der Frage nun in einem ungewöhnlichen Experiment angenommen. Der Ansatz folgt einer Methode, die in den letzten Jahren zunehmend populär geworden ist: In der sogenannten experimentellen Archäologie testen Forscher in der Praxis, wie etwa Schwerter geschmiedet oder Häuser gebaut wurden. Im vorliegenden Fall testeten die Wissenschaftler die Dendra-Rüstung auf ihre Praxistauglichkeit.
Flouris und sein Team liessen 13 griechische Elite-Soldaten elf Stunden lang in einer detailgetreuen Nachbildung der Rüstung kämpfen. Zuvor übten die Soldaten einige Tage lang die Kampftechnik aus der Bronzezeit, wofür Angaben aus der «Ilias» von Homer herangezogen wurden – der einzigen detaillierteren Schilderung eines Krieges, die es aus dieser Zeit gibt. Zum Einsatz kamen Waffen, die ebenfalls Nachbildungen von Originalen aus der Bronzezeit waren, etwa ein 85 Zentimeter langes Schwert mit Kupferklinge, ein gut zwei Meter langer Holzspeer und ein Bogen.
Analysis of Greek prehistoric combat in full body armour based on physiological principles: A series of studies using thematic analysis, human experiments, and numerical simulations
— Ordo Fraterna Fibonacci (@OrdoFibonacci) May 23, 2024
PLOS ONEhttps://t.co/QmJyWRHzAs
Danach begann früh am Morgen der eigentliche Test, wobei die Bedingungen einem typischen Sommertag in Griechenland mit 30 bis 36 Grad Celsius entsprachen. Die Elite-Soldaten wurden mit zahlreichen Sensoren ausgestattet; Körpertemperatur, Sauerstoffverbrauch und Herzfrequenz wurden kontinuierlich gemessen. Zudem wurden vor, während und nach der «Schlacht» Tests durchgeführt, die Aufschluss gaben über den Blutzuckerspiegel, die Reaktionszeit, den Ermüdungsgrad und das Wärmempfinden der Soldaten in der Rüstung.
Überdies mussten die Testpersonen vor und nach der Kampfsimulation auf die Waage steigen und eine Urinprobe abgeben. Dies zeigte den Grad der Dehydratation. Die Forscher erhoben auch Daten zu Kalorienaufnahme und -verbrauch der Soldaten, deren Nahrung aus einer von Beschreibungen in der «Ilias» abgeleiteten «homerischen Diät» bestand (etwa 4443 Kalorien).
Die Auswertung der Daten – die Studie ist im Fachmagazin «Plos One» erschienen – ergab, dass die Rüstung den Soldaten volle Bewegungsfreiheit erlaubte und keine übermässige physiologische Belastung auf den Körper ausübte. Studienleiter Flouris wird dazu in einer Mitteilung der Universität von Birmingham folgendermassen zitiert:
Die Ergebnisse des ungewöhnlichen Experiments erleichtern die Interpretation von zeitgenössischen historischen Aufzeichnungen in Griechenland und Ägypten über Rüstungen – etwa Skizzen von Rüstungen auf Tafeln, die in Knossos auf Kreta gefunden wurden, sowie Abbildungen mykenischer Krieger auf ägyptischem Papyrus.
Für die Wissenschaftler zeigen die Ergebnisse zudem, dass der starke mykenische Einfluss im östlichen Mittelmeerraum unter anderem auf ihrer Rüstungstechnik beruhte. Dies betont auch Ken Wardle, Dozent für Klassische Altertumswissenschaft, Alte Geschichte und Archäologie an der Universität Birmingham, der an der Studie beteiligt war. Die mykenische Präsenz im Westen von Kleinasien – der heutigen Türkei – sei auf ihre bedeutende militärische Macht zurückzuführen. Andernfalls hätten die Mykener dem mächtigen Hethiterreich, das damals – in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. – den grössten Teil Anatoliens, zeitweise auch nördliche Teile Syriens und Mesopotamiens, beherrschte, nicht Paroli bieten können.
Wardle ordnet die Ergebnisse der Studie zudem in einen grösseren historischen Zusammenhang ein – den Untergang der bronzezeitlichen Zivilisationen und den Beginn der Eisenzeit:
Einen ähnlichen Test gab es mit Wikingerseefahrerkleidung und Ausrüstung, auf einem Nachbau eines Wikingerbootes. Damit ist man dann die Amerikaentdeckungsroute zur See gefahren. Und war positiv erstaunt, wie gut z.B. die Naturstoffe mit Nässe und Salzwasser plus Kälte zurechtkamen.
Immer gerne wieder solche interessanten Artikel!