Indigene Völker stellen nur etwa fünf Prozent der Erdbevölkerung, doch sie verwalten die grössten Ökosysteme der Erde und damit rund 80 Prozent der weltweiten biologischen Vielfalt. Und da sie eng mit der Natur verbunden leben, bekommen sie die Auswirkungen des Klimawandels als Erste zu spüren. Sie sind daher eine Art Frühwarnsystem für den Klimawandel.
Da sie über besondere Kenntnisse der Ökosysteme verfügen, in denen sie leben, gelten sie nach Einschätzung vieler Experten zugleich als Schlüssel im Kampf gegen den Klimawandel. Dies zeigt sich etwa daran, dass dort, wo indigene Völker verbriefte Rechte auf ihr Land besitzen, deutlich weniger Flächen abgeholzt werden als in vergleichbaren anderen Gebieten. Eine Studie der Welternährungsorganisation (FAO) belegt diesen Zusammenhang.
Für die indigenen Völker ist der Klimawandel eine Frage des Überlebens: Dürren, Abholzung und Zerstörung ihres Lebensraums, steigende Meeresspiegel, Umweltverschmutzung und extreme Wetterlagen – die durch den Klimawandel verursachten Gefahren für indigene Gemeinschaften sind vielfältig.
Die kleine Insel Gardí Sugdub (Krabbeninsel), die etwa zwei Kilometer vor der Atlantikküste Panamas liegt, wird nach Meinung von Experten bis 2050 komplett versinken. Die Bewohner, rund 1350 Angehörige der indigenen Gemeinschaft der Kuna, sind deshalb im vergangenen Jahr aufs Festland umgesiedelt worden. Es dürfte sich um die erste Umsiedlung in Lateinamerika handeln, die durch den Klimawandel erzwungen wurde.
Weit entfernt von Panama hat der steigende Meeresspiegel schon vor Jahren eine andere indigene Gemeinschaft zur Aufgabe ihrer Heimat gezwungen: Die rund 800 Menschen zählende Gruppe der Walande auf den Salomonen, einer Inselgruppe im Pazifik südöstlich von Neuguinea, musste 2009 wegen stets verheerenderen Springfluten die kleine Insel aufgeben, auf der sie gelebt hatte, und aufs Festland umziehen. Doch am neuen Standort sind die Menschen ebenfalls vom steigenden Meeresspiegel betroffen; laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bricht Meerwasser durch die Deiche, Gärten und Felder werden weggespült.
Während Inselvölker von einem Übermass an Wasser gefährdet sind, macht anderen indigenen Gemeinschaften der Wassermangel zu schaffen. So müssen ostafrikanische Hirtenvölker wie die Massai, Turkana, Samburu und Borana ihre angestammten Weidegebiete verlassen, weil anhaltende Dürren und unregelmässige Regenfälle sie dazu zwingen. 2021 und 2022 fielen in der Region gemäss einem Bericht der Weltbank mehr als zehn Millionen Nutztiere den klimatischen Bedingungen zum Opfer.
Dies untergräbt die Lebensgrundlage dieser Völker. Die Beobachtungsstelle für Binnenvertreibung (IDMC) meldet denn auch für 2022 allein in Somalia, Kenia und Äthiopien rund 2,1 Millionen Klimaflüchtlinge. Überdies seien viele Hirtenfamilien gezwungen, ihren nomadischen Lebensstil aufzugeben und in Städte zu ziehen.
Nicht nur am Horn von Afrika verschärft der Klimawandel die prekäre Situation der indigenen Völker. In der Kalahari-Wüste im Süden Afrikas bedrohen nach Angaben des UNO-Weltbiodiversitätsrats (IPBES) steigende Temperaturen und Dürren die Tier- und Pflanzenarten, auf welche die San – vornehmlich eine Jäger-und-Sammler-Gesellschaft – traditionell angewiesen ist.
Der Verlust an Biodiversität beeinträchtigt zudem die spirituellen und medizinischen Praktiken der San. So ist etwa die dornige Hoodia, die den San als Heilpflanze dient, sowohl durch den Klimawandel als auch durch die übermässige Nutzung durch Pharma-Unternehmen gefährdet.
Auf dem indonesischen Teil der Insel Borneo liegt die Ortschaft Kinipan. Dort widersetzen sich die indigenen Dayak Tomun seit Jahren dem Vorrücken der Palmöl-Plantagen. Der Regenwald in der Region, in dem sie leben und in dem einige der letzten Orang-Utans heimisch sind, ist bedroht, seit das indonesische Ministerium für Umwelt und Forst 2015 der Firma Sawit Mandiri Lestari die Kahlschlaglizenz für Regenwald in den Bergen Borneos erteilt hat. Als Folge des weltweiten Palmöl-Booms werden auf Borneo riesige Waldgebiete abgeholzt.
Die Dayak Tomun versuchen seit Jahren, sich die Rechte an dem Waldgebiet zu sichern. Indigene Gemeinschaften können zwar seit Kurzem Waldrechte beantragen, müssen dafür aber von der Bezirksregierung als «Gemeinschaft indigenen Rechts» anerkannt werden. Bisher waren ihre Bemühungen erfolglos, obwohl sie schon mehrmals alle erforderlichen Dokumente und Gutachten eingereicht haben.
«In der Realität werden indigene Gemeinschaften nur nach grossen Anstrengungen und äusserst selten anerkannt, obwohl sie hier lebten, lange bevor es den Staat Indonesien gab», kommentiert dies die Organisation «Rettet den Regenwald». Dagegen kämen Firmen leicht an Konzessionen für Holz, Plantagen und Bergbau, wobei die Indigenen gar nicht erst gefragt würden. (dpa/dhr)