Es war erst vor gut einem Jahr, als der US-Physiker Ranga Dias weltweit Schlagzeilen machte: Dem vermeintlich aufgehenden Stern am Physik-Himmel schien es gelungen zu sein, einen Supraleiter zu finden, der bei Raumtemperatur funktioniert. Von einem solchen Durchbruch träumen Physiker weltweit – bisher ist diese gern als «Heiliger Gral der Festkörperphysik» bezeichnete Technologie allerdings nichts als eben das geblieben: ein Traum.
Nun sorgt Ranga Dias erneut für Schlagzeilen: Das News-Team des Wissenschaftsmagazins «Nature» hat einen aus Gerichtsdokumenten geleakten Bericht veröffentlicht, der Dias schwer belastet. Die strikt vertraulichen 124 Seiten des Berichts zeichnen ein verheerendes Bild des Physikers. Die Vorwürfe: Dias habe in seiner Forschung Daten manipuliert, gefälscht und erfunden. Und er habe plagiiert, also ohne Quellenangabe von anderen abgeschrieben.
Dieser Forschungsskandal kam freilich mit Ansage: Das Wissenschaftsjournal «Nature» – dessen News-Team, das nun die Bombe platzen liess, redaktionell unabhängig vom Journal ist – hat vor einem Jahr Dias' letzte grosse Studie akzeptiert, obwohl kurz zuvor eine 2020 ebenfalls in «Nature» veröffentlichte Arbeit seines Teams zurückgezogen wurde. Grund: Zweifel an der Korrektheit der Daten. Wie konnte es dazu kommen, dass Dias alle zu täuschen vermochte – die Mitarbeiter seines Teams eingeschlossen?
Ranga Prabashwara Dias stammt aus Koltawa in Sri Lanka und machte 2006 den Bachelor in Physik an der Universität von Colombo. Den Doktortitel holte er 2013 an der Washington State University, wo er bei Professor Choong-shik Yoo studierte. Danach befasste er sich an der Harvard University mit Festkörperphysik, namentlich mit metallischem Wasserstoff.
Als Postdoktorand gelang ihm dort 2017 zusammen mit seinem Professor Isaac Silvera die Erzeugung von festem metallischem Wasserstoff – ein Zustand des Elements, der zuvor nur theoretisch postuliert worden war. Die Studie wurde jedoch von mehreren Physikern angezweifelt; ihr Ergebnis wird in Fachkreisen bis heute nicht akzeptiert.
Seit 2017 ist Dias Assistenzprofessor für Ingenieurwissenschaften sowie Physik und Astronomie der University of Rochester im US-Staat New York, an der er ein eigenes Labor leitet. 2021 wurde er als «Innovation Leader» in die «Time 100 Next»-Liste aufgenommen, in der jeweils 100 Personen vorgestellt werden, von denen angenommen wird, dass sie die Zukunft in verschiedenen Bereichen gestalten werden.
Supraleitung ist die praktisch widerstandsfreie Leitung von Strom in einigen Materialien (Supraleiter), die bisher ausschliesslich bei extrem niedrigen Temperaturen unter minus 140 °C möglich ist. Gewöhnliche elektrische Leiter hingegen erwärmen sich aufgrund ihres elektrischen Widerstands, wenn sie von Strom durchflossen werden. Supraleiter verlieren ihren elektrischen Widerstand unterhalb der sogenannten Sprungtemperatur.
Supraleiter werden oft in Spulen eingesetzt, um durch die hohen möglichen Stromstärken sehr starke Magnetfelder zu erzeugen, etwa in Kernspintomographen oder Teilchenbeschleunigern. Interessant ist auch der Effekt von supraleitenden Körpern, dass sie über Magneten schweben (Meissner-Ochsenfeld-Effekt). Mit schwebenden Supraleitern könnten in Zukunft nahezu reibungsfreie Lager oder Züge gebaut werden.
Supraleitung zu erreichen, ist aufgrund der notwendigen Kühlung nach wie vor enorm aufwendig. Festkörperphysiker suchen daher seit langem nach einem Stoff, der Supraleitung bei Raumtemperatur erlaubt. Auch wenn die Hoffnungen, die an das Phänomen geknüpft werden, oft erheblich übertrieben sind, würde Raumtemperatur-Supraleitung die Elektronik revolutionieren. So liesse sich damit beispielsweise – vorausgesetzt, das Material eignet sich überhaupt für diesen Einsatz – Strom verlustfrei über grosse Distanzen transportieren.
Ebendiese Supraleitung bei Raumtemperatur will Ranga Dias erreicht haben: Er publizierte mehrere Studien, in denen er davon berichtete, wie bei extrem unter Druck gesetzten Materialproben Supraleitung einsetzte, und zwar bei immer höheren Temperaturen und schliesslich auch bei Raumtemperatur. Dias und sein Team fanden gleich zwei Supraleiter, die sich angeblich dafür eigneten; zuerst CSH, eine Verbindung aus Kohlenstoff, Schwefel und Wasserstoff – also häufig vorkommenden Elementen –, und dann stickstoff-dotiertes Lutetium-Hydrid (LuH). Lutetium ist ein Seltenerdmetall.
Diese Lutetium-Stickstoff-Wasserstoff-Verbindung sollte laut der Studie bei nur 21 °C und einem – im Vergleich zur vorherigen Studie noch deutlich niedrigerem – Druck von 10 kbar supraleitend werden. Das ist immer noch ein gewaltiger Druck; er entspricht dem Zehnfachen des Drucks auf dem Grund des Marianengrabens, doch es ist nur ein Bruchteil des Drucks, der normalerweise notwendig wäre.
Besonders nach der Veröffentlichung der zweiten Studie im März 2023 wurde schnell Kritik an deren Ergebnissen laut – andere Forschungsgruppen konnten sie nicht reproduzieren. Am 6. September berichtete dann «Nature», dass es erhebliche Zweifel an der Echtheit der Daten gebe. Schliesslich zog das Wissenschaftsjournal die Studie im November auf Drängen von acht der elf Autoren zurück – darunter auch Ashkan Salamat von der University of Nevada in Las Vegas (UNLV), neben Dias einer der Hauptautoren. Als Grund führten sie «Probleme» an, die «die Integrität der veröffentlichten Arbeit untergraben». Die drei verbleibenden Autoren, darunter Dias, äusserten sich gegenüber «Nature» nicht zu den Vorwürfen.
Inzwischen war auch die University of Rochester aktiv geworden: Im August entzog sie Dias die studentischen Mitarbeiter seines Labs. Schon zuvor hatte sie drei unabhängige Wissenschaftler damit beauftragt, die Studien von Dias genauer unter die Lupe zu nehmen. Nicht zum ersten Mal übrigens: Bereits 2021 und 2022 hatte die Universität insgesamt drei vorläufige interne Untersuchungen durchgeführt, die sich mit der CSH-Studie befassten. Jede dieser Untersuchungen hätte – zumindest nach Ansicht des News-Teams von «Nature» – genügend Anhaltspunkte zutage fördern müssen, um eine umfassende Überprüfung in die Wege zu leiten. Doch nichts dergleichen geschah.
Der Bericht der unabhängigen Wissenschaftler lag nach zehn Monaten vor, am 8. Februar. Er wurde aber nicht veröffentlicht. Erst im Zuge des Gerichtsverfahrens, das Dias im Dezember wegen des Entzugs seiner Mitarbeiter gegen die Universität angestrengt hatte, gelangte der Bericht in die News-Redaktion von «Nature» und so an die Öffentlichkeit. Dokumente aus dem Gerichtsverfahren zeigten zudem, dass die Universität die Untersuchung auf Veranlassung der National Science Foundation (NSF) in Auftrag gegeben hatte, einer unabhängigen US-Behörde, die die akademische Forschung in den USA unterstützt. Die NSF hatte Dias 2021 ein Stipendium in der Höhe von 790'000 US-Dollar gewährt.
Schon im März hatte das News-Portal von «Nature» darüber berichtet, dass Dias in beiden «Nature»-Studien Daten nicht korrekt dargestellt und seine Mitarbeiter darüber getäuscht hatte. Wie er dabei vorging, zeigt nun der Bericht der unabhängigen Wissenschaftler: So hat Dias offenbar gezielt Messwerte unterschlagen, die an der Supraleitung des stickstoff-dotierten Lutetium-Hydrids hätten zweifeln lassen. Nicht genug damit: Dias soll auch eine Messkurve vertikal gespiegelt haben, um eine Signatur zu erhalten, die für Supraleiter typisch ist.
Die Daten in seinen Studien sollen lückenhaft sein. Überdies wurden keine Rohdaten publiziert – erst diese machen transparent, wie das Forschungsteam zum schliesslich veröffentlichten Ergebnis kam. Später reichte Dias einige Rohdaten nach, doch diese erwiesen sich ebenfalls als manipuliert. Dias erklärte, er habe für die Bereinigung der Daten eine neue, komplexe Datenverarbeitungsmethode angewendet. Die Experten sahen darin einen Versuch, die Aufmerksamkeit weg von den Rohdaten und hin zur Methodik zu lenken und so die Wissenschaftsgemeinde in die Irre zu führen.
Ausserdem ergaben Interviews mit Mitgliedern seines Teams, dass Dias über die Herkunft der Rohdaten gelogen hatte. Den Forschern an der University of Rochester gab er an, die Daten würden aus Experimenten an der Universität von Nevada in Las Vegas (UNLV) stammen; umgekehrt sagte er Forschern der UNLV, sie stammten aus Rochester. Und Daten, die später auf seiner Festplatte sichergestellt wurden, weisen darauf hin, dass die von ihm präsentierten Verbindungen keine supraleitenden Eigenschaften besitzen.
Ferner zeigte sich laut dem Bericht auch, dass Dias in zwei weiteren Studien ebenfalls Daten manipuliert haben könnte. Die eine war im Fachblatt «Chemical Communications» erschienen, die andere in den «Physical Review Letters» (PRL). Beide Arbeiten wurden inzwischen zurückgezogen. Im Paper, das in den PRL veröffentlicht wurde, soll Dias Daten zum elektrischen Widerstand von Mangandisulfid kurzerhand aus seiner Doktorarbeit kopiert haben, obwohl es dort um einen gänzlich anderen Stoff ging.
Nun war aber Dias bei seiner Arbeit nicht allein; seine Studien waren das Ergebnis von Teamwork. Wie konnte es sein, dass er manipulierte Daten in Papers einfliessen lassen konnte, die von einem Forschungsteam erarbeitet wurden? Offenbar hatte Dias – wie sich aus Aussagen mehrerer seiner ehemaligen Studenten ergab, die mit «Nature» gesprochen hatten – zumindest die beiden letzten Studien völlig überhastet publiziert. Dabei blieb keine Zeit für vorherige Absprachen mit seinem Team.
Die Studenten gaben an, sie seien oft eingeschüchtert worden. Wenn beispielsweise Mitglieder des Teams ihm widersprachen, etwa weil sie sich einzelne Ergebnisse nicht erklären konnten, drohte er ihnen damit, ihre Namen aus dem Paper zu streichen. Dies belegen E-Mails und auch Tonmitschnitte.
Nach wie vor gibt es keine offizielle Stellungnahme von Dias zu den Vorwürfen. Und bisher hat er trotz mehrfacher Aufforderung die Rohdaten zu seinen Studien nicht veröffentlicht, obwohl er damit alle Anschuldigungen ausräumen könnte – vorausgesetzt, die Daten stützen tatsächlich die Behauptungen in den Studien. Stattdessen hat sein Anwalt gegenüber «Nature» den Autoren der Untersuchung bescheinigt, ihr Vorgehen würde «Züge von Verschwörungstheorien aufweisen». Diese empfehlen ihrerseits, Dias fortan von der Forschungs- und Lehrtätigkeit auszuschliessen, da man ihm nicht trauen könne.
Der Supraleiterflop von Dias ist übrigens bereits die zweite Enttäuschung in diesem Forschungsbereich innert kurzer Zeit: Im Juli des vergangenen Jahres wollten koreanische Forscher ebenfalls den ersten Supraleiter bei Raumtemperatur gefunden haben. Doch ihre Messungen, die sie in zwei Papers vorstellten, konnten nicht überzeugen. Der von ihnen entwickelte Stoff LK-99 zeigte nicht die gewünschten Eigenschaften, als andere Forschungsteams die Ergebnisse der Koreaner reproduzieren wollten.
Es sieht ganz so aus, als ob wir noch einige Zeit auf Supraleiter warten müssen, die bei Zimmertemperatur funktionieren.