Polen ist ein Meister der Überlebenskunst, der sich stets tapfer über seine geschichtlichen Tragödien hinwegzudichten, hinwegzuessen und hinwegzulachen verstand. 10 Gründe, dieses Land ordentlich zu feiern.
Wer in der Schweiz zu Besuch kommen möchte, der muss sich mindestens einen Monat vorher anmelden und in der Zeit danach noch regelmässig darüber Auskunft geben, ob er denn wirklich kommt. In Polen ist das anders. In Polen ruft man fünf Minuten vorher an: «Du, ich bin zufälligerweise gerade in der Gegend und dachte, ich komme vorbei. Ich hab auch nur fünf Minuten.»
Es spielt hier keine Rolle, ob der Gastgeber gerade Zeit hat. Er könnte bis zum Hals in Arbeit stecken, gerade gebären oder mit einer schweren Lungenentzündung darniederliegen. Das polnische Gastrecht gebietet es, dass er sich Zeit für seinen Besuch nimmt und ihn nach Strich und Faden verwöhnt. Sagt der Besuch: «Ich bleibe nur ein paar Stündchen», so gibt es Hoffnung. Sagt er aber: «Ich hab nur fünf Minuten», so weiss man – den hast du die nächsten Tage am Hals.
Es musste erst ein Pole kommen, bevor wir die Idee von der Erde als Mittelpunkt, um den sich alles dreht, überwinden konnten. Der findige Kopernikus räumte auf mit dem grossen Irrtum und brachte uns das heliozentrische Weltbild, das die Sonne an ihren wohlverdienten Platz setzte.
Der Domherr, Arzt und Freizeit-Astronom wurde 1473 mitten ins Fürstbistum Ermland in Preussen hineingeboren, das von den Bischöfen des Deutschen Ordens regiert wurde. Deshalb haben die Deutschen auch immer wieder mal versucht, den Polen das Genie streitig zu machen. Doch vergeblich, Polen gibt seinen Sohn nicht her, den sie liebevoll Mikolaj Kopernik nennen.
Gleich geht's weiter mit den Gründen, Polen zu feiern, vorher ein kurzer Hinweis:
Und nun zurück zur Story ...
In der hintersten Ecke Hinterpommerns, an der Ostseeküste, wo das baltische Meer sich an Land züngelt, können sich die Sanddünen bis zu 56 Meter in die Höhe türmen. Manche sind geschmückt mit Kiefern, andere wandern Jahr für Jahr einige Meter gen Osten.
Die kleine Stadt Leba wurde durch jene wandernden Giganten einst so bedroht, dass sie im 16. Jahrhundert weiter landeinwärts verlegt wurde. In den 1935er Jahren liess dann der deutsche Generalfeldmarschall Erwin Rommel seine Soldaten in diesen sandigen Hügeln für den Afrikafeldzug üben.
Der Raketen-Lärm ist längst verebbt und die Lüfte des Slowinski-Nationalparks sind nun erfüllt von 257 verschiedenen Vogelstimmen – hier haben See-, Schrei-, und Steinadler, der Uhu und der Rabe, Schwäne und unzählige Entenarten ihr Zuhause.
Pączki sind die polnischen Berliner. Nur dass sie viel besser sind als Berliner. Rückblende in unsere Kindheit: Der Berliner. Eine der enttäuschendsten Backwaren der Welt. Ein Universum aus lustlosem Teig, in dessen Kern sich wie ein blindes Auge ein kleines Hämpfelchen Konfitüre befindet. Manche Bäcker machten sich, angesteckt vom Dreikönigskuchen-Wahnsinn, ein Vergnügen daraus, überhaupt keine Konfi hereinzufüllen. Diese Lumpen!
In Polen ist das anders. Der Pązcki ist der grösste Spass der Welt. Der Teig knusprig und mit einer glänzenden Zuckerschicht, die von einem Meer aus leicht säuerlicher Butterorangenmarmelade brillant kontrastiert wird. Hier fängt der Genuss an – das ist Kindheit.
18 Jahre lang blühte die schöne Walewska erst und schon wurde sie mit dem verblühten 70-jähigen Grafen Anastasius Colonna Walewicz-Walewski verheiratet. Eifersüchtig wachte er über seine Gattin, mit der er zurückgezogen auf dem Land lebte – fernab von gierigen Männerhänden.
Doch die Einladung zum Empfang Napoleons in Warschau konnte er nicht ablehnen. Der französische Kaiser hatte es irgendwie geschafft, sich den Argusaugen des Grafen zu entziehen und einen Blick auf die Schöne zu erhaschen. Nun drängte er darauf, sie endlich wieder zu sehen. Walewska allerdings zierte sich auf jenem Ball im Jahre 1807, der kleine Korse schien ihr nicht zu schmecken. Erst auf Drängen einiger polnischer Aristokraten willigte sie schliesslich in ein privates Treffen ein.
Diese hofften, sie könne Napoleon dazu bringen, Polen aus seiner misslichen Lage zu helfen. Denn das Land war von der Bildfläche verschwunden. Wegradiert von der Europakarte, seit es sich die russische Zarin Katharina die Grosse, der preussische König Friedrich II. und die österreichische Erzherzogin Maria Theresia aus dem Hause Habsburg 1772 zum ersten Mal unter sich aufgeteilt hatten. Dass die Polen es gewagt hatten, ihr nationales Schicksal selbst zu bestimmen, kostete sie den Kopf in jenem gefährlichen europäischen Grossmachtspiel.
Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges wird kein eigenständiges Polen mehr existieren. Da ist einzig das Herzogtum Warschau, der polnische Satellitenstaat, den Napoleon mit Hilfe seiner 30'000 polnischen Soldaten 1807 erschafft, nachdem er den Preussen die ehemals polnischen Gebiete wieder abgerungen hat.
Dort nun, auf der Residenz eines Warschauer Grafen, findet dieser rauschende Ball statt, bei dem sich die Gräfin Walewska selbstlos in die Arme Napoleons tanzt, um ihr Land aus den russischen und habsburgerischen Fängen zu befreien. In ihren Memoiren schreibt sie:
«Das Opfer war vollständig. Es ging jetzt darum, die Früchte zu ernten [Napoleon zu überzeugen, die polnische Unabhängigkeitsbewegung zu unterstützen] – nur dies vermochte meine entwürdigende Haltung entschuldigen. Das war der Gedanke, der mich beherrschte. Und mein Wille erlaubte es mir nicht, unter dem Gewicht meines schlechten Gewissens und meiner Traurigkeit zusammenzubrechen.»
Und so wurde Walewska zu Napoleons Geliebter, gebar ihm einen Sohn und hoffte stets, er würde Polen retten – was niemals geschah.
Der Zerstörungswut des Zweiten Weltkriegs fiel auch die alte Hansestadt Danzig zum Opfer. 90 Prozent seiner Bausubstanz gingen zugrunde – erst im britischen Bombenhagel, dann durch die Kämpfe der Roten Armee, die die von den Nationalsozialisten besetzte Stadt Ende März 1945 eroberte. Die Soldaten plünderten die noch erhaltenen Häuser in der Altstadt und steckten sie dann in Brand.
Nach dem Krieg vertrieb man die Deutschen aus Danzig und begann damit, die prunkvollen, mittelalterlichen Kaufmannsresidenzen weitgehend originalgetreu wieder aufzubauen.
Die Stadt ist stolzer Besitzer des wichtigsten Seehafens des Landes. Die Danziger Werft war das Herz der Solidarnosc, jener polnischen Gewerkschaft, die 1980 mit Streiks unter der Führung Lech Walesas den polnischen Befreiungskampf gegen die Sowjetunion beginnt. Deshalb befindet sich hier auch das Europäische Solidarnosc-Zentrum (ESC) – mitsamt Museum, Zentralarchiv und Bibliothek.
Im Februar 2019 hat die rechtsnationalistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) versucht, das Museum, das ihr zu wenig patriotisch und allzu regierungskritisch ist, mit Kürzungen um 40 Prozent – umgerechnet 1,1 Millionen Franken – auf Kurs zu bringen. Und wolle es auf das Geld nicht verzichten, so müsse es im Gegenzug einen von der PiS nominierten Vizemuseumsdirektor anstellen – so das «Kompromissangebot» des Kulturministers.
Beides wussten die freigeistigen Bürger der liberal regierten Stadt zu verhindern: Auf Facebook begannen die Danziger Geld für das Zentrum zu sammeln – und innerhalb von nur 30 Stunden hatten sie die vom Kulturministerium zusammengestrichene Summe zusammen.
Wer sagt: Ich möchte mal wieder etwas richtig Schwermütiges lesen, etwas, das mich emotional so richtig beutelt, der möge zu polnischer Literatur greifen:
Iwaszkiewicz, Marek Hlasko, die Gedichte von Wislawa Szymborska. Und aus der nachtschwarzen Finsternis leuchtet ein Werk, das etwas vom Allerschönsten ist, das jemals geschrieben wurde: Die Zimtläden von Bruno Schulz.
Der polnisch-weissrussischen Grenze entlang zieht sich eines der letzten Urwaldgebiete in der gemässigten Zone Europas. An diesem Baumbestand wollte sich die polnische Regierung kürzlich vergreifen, doch nach riesigen Protesten auf dem ganzen Kontinent verfügte der Europäische Gerichtshof 2017, die Fällarbeiten zu stoppen.
Einst jagte hier der russische Zar, 1915 kamen deutsche Truppen und richteten eine militärische Forstverwaltung ein. In diesen drei dunklen Jahren wurde ein Sechstel der Urwaldriesen abgeholzt, während die Offiziere und andere Adelsleute sich über das Wild hermachten.
Wilhelm II. durfte sogar auf Wisente schiessen, diese mächtigen Europäischen Bisons, von denen im April 1919 kein einziger mehr durch den Wald streifte.
Heute kann man die Tiere hier wieder in freier Wildbahn beobachten, wie sie in ihren Herden durch die weite Landschaft trotten.
Was wir haben: Wilhelm Tell. Ein schwerfälliges Wesen, das von seiner eigenen Männlichkeit beinahe erschlagen wird.
Was hat Polen? Tadeusz Kosciuszko. Freiheitskämpfer. Nationalheld. Besieger der Russen. Lieblingshobby: Stricken. Wenn er nicht gerade einen Russen aufspiesste, machte er die herrlichsten Topflappen, Mützen und Handschuhe. Seine Garnison stapfte geschlossen in den von ihm gestrickten Söcklein durchs Feld. Polens Freiheitskampf begann bei den Socken.
Und dem nicht genug.
Da ist auch Kazimierz Pulaski. Noch ein Freiheitsheld, der wie Kosciuszko nach Amerika ging und dort für die Amerikaner die Kavallerie begründete. An der Spitze seiner eigenen Reiterei-Legion machte er am 10. Mai 1779 den Briten bei Charleston in South Carolina den Garaus.
Noch heute wird dieser Kevin Costner des 18. Jahrhunderts in den USA mit dem Casimir Pulaski Day gewürdigt. In den 1990er-Jahren dann hat man den Helden wieder ausgebuddelt und festgestellt, dass sein Skelett «eindeutig weibliche Charakteristika» aufweise. Pulaski war also vielleicht eine Heldin. Ziemlich sicher aber vereinte er, der als Mann erzogen wurde, beide Geschlechtsmerkmale – war also, womöglich sogar ohne es selbst zu wissen, intersexuell.
Wenn man an die polnische Küche denkt, hat man sofort Fleischberge vor Augen. Falsch: Es gibt auch Würste. Tatsächlich ist die polnische Küche ausgewogener als man denkt: Man isst zwar viel, dafür verdaut man auch mehr.
Die Polen sind Verdauungsweltmeister. Dafür sorgen Gerichte mit sehr viel Sauerkraut und der Wodka oder Obstler, die dazu genossen werden. Es ist wohl kein Zufall, dass ausgerechnet die Skispringer, diese Gewichtskünstler, die alle einen Body-Mass-Index von 16 haben müssen, der ganze Stolz und das Aushängeschild der polnischen Kultur sind.
(rof/luli)
Allerdings muss ich euch korrigieren, damit ihr auf der Reise nicht in Verwirrung geratet: Es heisst pączki, nicht paczki. Paczki heissen auf polnisch nämlich nicht die süssen, himmlischen Gebäcke sondern Postpakete ;)
Nein, im ernst...tolles Land, tolle Leute!