Die Monarchin hielt ein Exemplar der Pariser Zeitung «Le Moniteur» in ihren 63-jährigen Händen, als ihre Augen über den Titel «Messalina des Nordens» wanderten. Die Phantasielosigkeit des Etiketts, mit dem man sie bedachte, schien ihre einzige Sorge zu sein. Sie las weiter von «unerhörten Orgien in den Kellern des Winterpalastes» – und meinte lächelnd:
Die russische Kaiserin war keine Nymphomanin und wurde auch nicht von ihrem Hengst zu Tode gedrückt, als dieser – hoch über ihr an einem Gurt baumelnd, um ihr bei einem besonders findigen Liebesspiel zu dienen – auf sie drauffiel.
Die Legenden über die unersättliche Katharina wurden erstmals kurz vor ihrem Tod von einigen französischen Autoren in die Welt gesetzt. Das aufstrebende Russland war der Feind des revolutionären Frankreichs, das Ende des 18. Jahrhunderts so erbittert um sein Überleben kämpfte.
Ihr Name, den die Nachwelt ziemlich hartnäckig mit schmierigen Details verschmutzen wird, ist bei ihrer Geburt ein anderer. Sophie Friederike Auguste wird am 2. Mai 1729 ins wachsende Reich Preussen hineingeboren. In das vom Nebel verhangene Stettin, das an der Odermündung liegt und das sich König Friedrich Wilhelm I. nur neun Jahre davor von den Schweden holte.
Nicht umsonst bekam Friedrich Wilhelm den Beinamen Soldatenkönig. Er war ein Mann von calvinistischer Strenge, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, in seinem jungen Reich für Zucht und Ordnung zu sorgen. Verlangte jemand eine Gehaltserhöhung, so antwortete er in haarsträubendem Latein: «Non habeo pekonia.» Oder: «Gold kann ich nicht scheissen.»
Nur für sein Königsregiment war der knausrige Mann bereit, Unsummen auszugeben. Und so machte er sich auf die Jagd nach besonders grossen Männern: Bis nach Ungarn und in die Ukraine streckte er seine gierigen Finger aus, um seine Sammlung an «langen Kerls» zu vervollständigen. Friedrich Wilhelm verdoppelte seine Armee auf 38'000 Mann, im Verhältnis zu einer Bevölkerung von 2,3 Millionen Menschen war sie die grösste der Welt.
Dieser vom Stechschritt bebende Boden ist Sophies Heimat. Ihr Vater, Fürst Christian August von Anhalt-Zerbst, wird vom König sehr geschätzt und zum Statthalter von Stettin ernannt. Als Sophie vier Jahre alt ist, trifft sie den Regenten mit dem roten Kopf und den weissen Stiefeln. Sie will ihm den Rocksaum küssen, doch sie kommt nicht hoch und sagt laut zu ihrer Mutter:
Peinliche Stille. Die kleine Prinzessin mit dem kastanienbraunen Haar hatte ins Schwarze getroffen. Der König sparte tatsächlich am Stoff seiner blauen Preussenuniform.
Über den Tod ihres Königs schreibt sie später:
An ihm ist nichts Liebenswertes gewesen. Mit elf Jahren weiss Sophie, dass Achtung niemals ausreicht. Dass man auch die Liebe des Volkes gewinnen muss.
Nun jubeln die Menschen dem Thronfolger Friedrich II. zu, der einst vom Vater verprügelt und eingekerkert wurde, weil dieser ihn für einen Schwächling hielt. Schwach wird er sein Leben lang nicht mehr sein, dieser Friedrich, der bereits 1740 mit seinem Heer in Schlesien einfällt – und es Maria Theresia unter ihrem noch wackligen, habsburgischen Thron wegklaut. Sie wird ihn dafür ein Leben lang leidenschaftlich hassen.
Friedrich war es nun auch, der der regierenden russischen Zarin Elisabeth vorschlug, ihren Nachfolger Peter mit Sophie zu vermählen.
Besagter Nachfolger Elisabeths sollte Peter Fjodorowitsch werden. Er war der Sohn ihrer Schwester Anna. Diese setzte sich nach Peters Geburt ans offene Fenster, um das Feuerwerk zu Ehren ihres Sohnes zu betrachten. Die Hofdame warnte sie vor der eisigen Februarluft, doch Anna meinte stolz: «Ich bin Russin!» Drei Tage später starb sie. Peters Vater, der Herzog von Holstein-Gottorp, wurde auch nicht alt, und so holte die kinderlose Elisabeth ihren Neffen zu sich nach Russland.
Sophies Mutter schickt nun der russischen Kaiserin ein Bildnis ihrer Tochter, ein schmeichelndes, wie es heisst, denn Sophie war nicht besonders hübsch. Ihre französische Gouvernante ermahnte sie stets, ihr spitz hervorstehendes Kinn einzuziehen. Sonst würde sie eines Tages noch jemanden damit erstechen.
Die Mutter bemühte sich auch um andere Verbindungen. Doch in Sophies «geheimsten Gedanken», wie sie schreibt, habe sie sich bereits für Peter entschieden, den sie vor seinem Abgang einmal zu Gesicht bekam. Ein angenehmer Knabe, wie sie fand, und seine regelmässigen Gesichtszüge gefielen ihr.
Es steht nun also die beschwerliche Reise nach Russland bevor. Die 14-jährige Sophie muss sich der Kaiserin und dem 16-jährigen Peter zeigen. Und sie muss ihnen gefallen, um bleiben zu dürfen.
1740 hatte Russland geschätzte 19 Millionen Einwohner, die sich aus 80 verschiedenen Völkern zusammensetzten. Ein Agrarstaat, so unermesslich gross und dünn besiedelt, musste streng autokratisch regiert werden. Der Zar war absoluter als der König von Preussen, er konnte ohne gerichtliches Urteil Gefängnisstrafen und Todesurteile verhängen. Er regierte mittels «immenoj ukas», das waren Erlasse, die vom Regenten nur mit dem Vornamen unterzeichnet wurden. Sobald sie veröffentlicht wurden, waren sie Gesetz.
Als der Wagen über die zugefrorene Düna fährt, die sich zwischen dem polnischen Litauen und dem westlichen Russland hindurchschlängelt, wird der Kalender um elf Tage zurückdatiert – in Russland diktierte der julianische Kalender die Zeit.
Im Schloss Annenhof in Moskau werden Sophie und ihre Mutter von der Kaiserin erwartet. 34 Jahre alt ist Elisabeth, wunderschön mit ihren lebhaften Augen und ihren strahlend weissen Zähnen. Peter dagegen wirkt auf Sophie sehr kindlich. Nie scheint der Junge mit dem blassen Gesicht still sitzen zu können.
Sophie bekommt einen Archimandriten zum Lehrer, er soll das im lutherischen Glauben erzogene Mädchen der Ostkirche zuführen. Ihr wird ziemlich schnell klar, dass sie konvertieren muss, will sie der Kaiserin gefallen. Denn das Luthertum war etwas deutsches, und die Russen hassten das.
Zu verdanken war das Elisabeths Vorgängerin, der Kaiserin Anna, die ihrem eigensüchtigen deutschen Liebhaber Ernst von Biron die Regierungsgeschäfte überliess. 12'000 Verschwörer soll er in ihrem Namen hingerichtet haben – und er sprach kein Wort Russisch. Für Sophie galt es, alles Deutsche stracks abzustreifen.
In einem karminroten Kleid steht Sophie in der Kappelle und rezitiert den nicänischen Grundsatz, den sie so fleissig auswendig gelernt hat. Von nun an kommt der heilige Geist nur vom Vater, nicht mehr von Vater und Sohn, wie es die Lutheraner glauben. Feierlich wird das Mädchen in die russische Kirche aufgenommen und bekommt den Namen Jekaterina.
Sie lernte schnell russisch und liebte ihre neue Sprache, weil sie so reich, so energisch sei. Man könne sie handhaben, wie man es wünsche. Ein verräterischer deutscher Hauch blieb trotz aller Bemühungen auf ihrer Zunge haften.
Überhaupt gefiel Katharina die russische Ungezwungenheit. Hier feierte man Maskenbälle, bei denen sich Frauen als Männer und Männer als Frauen verkleideten.
Im August 1745 wird sie die Frau des Grossfürsten Peter. Und neben dem Champagner wird auch Zerbster Bier ausgeschenkt, das Katharinas Vater schicken liess.
Sie spürte schon vor der Hochzeit, dass die Ehe mit Peter keine glückliche werden würde. Der inzwischen 17-Jährige hatte Katharina noch kein warmes Wort geschenkt, und in der Hochzeitsnacht redete er davon, welches Vergnügen es seinem Kammerdiener bereiten würde, sie beide im Bett zu sehen. Dann schlief er ein und schlummerte behaglich bis zum Morgen.
So sollte das ganze neun Jahre lang laufen. Peter berührte seine Gattin nicht – und Elisabeth gab Katharina die Schuld dafür. Sie betraute ein junges Ehepaar mit der Führung des grossfürstlichen Haushaltes: Nikolaj und Maria Tschoglokow zeugten jährlich ein Kind – sie sollten dafür sorgen, dass die beiden sich wie Mann und Frau verhielten.
Fortan wurde alles haarklein der Kaiserin berichtet. Wie lange und mit wem Katharina sprach, den Palast durfte sie ohne Erlaubnis nicht mehr verlassen und in der Nacht wurden sie und Peter ins Schlafgemach gesperrt wie zwei Tiere, die sich paaren sollten.
Peter begann dann, mit seinen Spielzeugsoldaten zu spielen. Und Katharina, weil sie noch immer hoffte, ihrem Gatten auf diese Weise nahe zu kommen, spielte mit. Sie lernte die Namen der Soldaten und der Regimenter. Sie schulterte ihr Gewehr, liess sich von ihm exerzieren und stand vor seiner Tür Wache.
Seine Männchen trugen alle die blaue Uniform von Holstein, dem schönsten Land der Welt, wie Peter meinte. Seine Heimat, die ihm militärischen Drill beigebracht hatte. Und wo er nie die zärtliche Liebe einer Mutter erfahren hatte, sondern nur die Schläge seines eisernen Erziehers.
Katharina lernte reiten, damit lenkte sie sich von der Tristheit ihrer Ehe ab. Ein britischer Gesandter sagte über sie: «Es ist wirklich nicht übertrieben, wenn man sagt, dass nur wenige Männer besser reiten.» Doch auch dieses Vergnügen machte ihr die Kaiserin schlecht. Denn im Herrensitz zu reiten, galt als schädlich für eine Schwangerschaft.
Aber woher sollte sie schwanger sein? Peter wollte im Park ein Lustschlösschen bauen lassen, worin sie und ihre Dienerschaft als Nonnen und Mönche leben sollten. Ein weiterer Versuch, sich vor seiner ehelichen Pflicht zu drücken. Und wieder spielte Katharina mit, besprach mit Peter die Baupläne, auch wenn sie natürlich wusste, dass diese Verrücktheit niemals zur Ausführung gelangen würde.
Allmählich verschwanden alle ihre Vertrauenspersonen. Erst ein Kammermädchen, dann ein ihr teurer Kammerdiener. Ihr Freund Graf Lestocq, der auch als Berater der Kaiserin fungierte, wurde aufgrund eines Bestechungsvorwurfs gefoltert und nach Sibirien deportiert. Nicht einmal ihrer Mutter durfte Katharina schreiben. Vom Tod ihres Vaters erfuhr sie durch ein trockenes Botschaftsschreiben, und Elisabeth ermahnte sie, nicht länger als eine Woche zu weinen. Schliesslich sei ihr Vater kein König gewesen.
Trotz all dieser Tyrannei seitens der Kaiserin, blieb Katharina stark.
1752, Katharina ist jetzt 23 Jahre alt, gibt sie sich erstmals nach sieben Jahren ungewollter Abstinenz einem Mann hin. Sergej Saltykow, ein junger Mann mit einlandend vollen Lippen, stammte aus einer vornehmen russischen Familie. Er war mit einer Hofdame Katharinas verheiratet, deren grösstes Vergnügen darin bestand, ihren Pudel auf den Hinterbeinen gehen zu lassen, ihm Locken zu drehen und Wolljäcken zu stricken.
Wie anders muss da Katharina auf ihn gewirkt haben, eine sanfte und sehr einnehmende Persönlichkeit, die Montesquieus «Grösse und Niedergang Roms» gelesen hatte, sich mit Platons «Politeia» auskannte und Voltaires Humor teilte. Verblendet sei er gewesen, als er seine Frau wählte. Seine Liebe zu ihr sei tiefschürfend, versicherte er Katharina.
Doch sie blieb hart. Sie war im Herzen noch immer Lutheranerin, Ehebruch wurde in ihrer Heimat nicht ganz so nachsichtig behandelt wie in Russland, wo man keine Scheidung kannte. Selbst die fromme Elisabeth hatte Liebhaber.
Sie haderte noch, als ihre kinderreiche Hofdame Maria Tschoglokow ihr nahe legte, sich mit Sergej einzulassen – zum Wohle des Vaterlandes. Sie musste direkt von der Kaiserin geschickt worden sein. Elisabeth war wohl klar geworden, dass Peter seinen Mann auch in Zukunft nicht stehen würde.
Verwirrt kehrte Katharina in ihr Schlafzimmer zurück, wo ihr Gatte gerade dabei war, eine Ratte aufzuhängen. Sie war über die Wälle seiner Spielzeugfestung geklettert und hatte zwei Schildwachen aus Stärkemehl gefressen. Nach Kriegsgesetz stünde auf solch einem Vergehen die Todesstrafe.
Am 20. September 1754 brachte Katharina einen Knaben zur Welt. Peter wusste natürlich, dass der Kleine nicht sein Sohn war, doch er sagte nichts. Er hätte sonst sein Versagen als Ehemann eingestehen müssen. Das Kind wurde gewickelt und sofort zu Elisabeth gebracht. Es bekam den Namen Paul und sollte seine Mutter nur einige Male im Jahr sehen. Es gehörte nun Russland und damit der kinderlosen Kaiserin, die sich fortan Tag und Nacht um Paul kümmerte.
Auch Sergej verlor sie, er amüsierte sich lieber mit anderen Hofdamen.
Die Zarin wurde allmählich immer kränker. Sie litt an ominösen Krämpfen und wurde für Stunden ohnmächtig. Katharina bekam sie kaum mehr zu Gesicht, sie wurde unsichtbar. Doch bevor sie gänzlich verschwand, bescherte sie Russland 1756 noch den Siebenjährigen Krieg.
Elisabeth hatte während ihrer Regentschaft nicht viel getan, Unveränderlichkeit war ihre Devise. Doch den Preussenkönig Friedrich II., der alles Heilige in den Dreck zog, hasste sie wohl mit derselben Inbrunst wie es ihre österreichische Verbündete Maria Theresia tat. Und so wurde dieser Krieg zu ihrem persönlichen Kreuzzug.
Peter hingegen, der nun auf die Thronfolge vorbereitet werden sollte, verehrte den Preussen offen. Zu lange schon sei die Welt von Unterröcken regiert worden, es sei nun Zeit für den Stock Friedrichs. Und heimlich hoffte er, seine Tante, «die Hure des Nordens», wie er sie verächtlich nannte, würde den Krieg verlieren. Denn schliesslich habe Russland im Grossen Nordischen Krieg (1700-1721) Schleswig den Dänen überlassen, das früher zu seiner geliebten Heimat Holstein-Gottorp gehörte. Damit büsste das Herzogtum viel von seiner politischen Bedeutung ein.
Für Peter war Russland nichts weiter als ein verräterischer Schurkenstaat. Das war auch der Grund, weshalb er sich stets erst Herzog von Holstein-Gottorp nannte und erst in zweiter Linie Grossfürst von Russland.
Katharinas Verhältnis zu ihrem Gatten verbesserte sich allmählich. Sie übernahm seine holsteinischen Staatsangelegenheiten und erledigte sie zu seiner vollen Zufriedenheit. Sie wollte nicht mehr nur die Krone tragen, sie wollte regieren. Sie verbrachte Stunden im Staatsarchiv und studierte die russische Geschichte. Und nach neun berührungslosen Jahren geschah es endlich, dass sich das Ehepaar auch körperlich näher kam.
Doch verliebt hatte sich Katharina in den polnischen Edelmann Stanislaus Poniatowski. Sie gab ihren Gefühlen nach, auch wenn es sehr gefährlich war, sich als Grossfürstin mit einem ausländischen Diplomaten einzulassen.
Am 9. Dezember 1757 bekommt die 28-jährige Katharina ihr zweites Kind, die kleine Anna Petrowna – sie wird nur wenig älter als ein Jahr alt werden. Auch dieses Mal weiss Peter, dass er dieses Kind nicht gezeugt hat, doch er bekennt sich zur kleinen Anna. Der wahre Vater Stanislaus wird von der bettlägerigen Kaiserin zurück nach Polen geschickt.
An Heiligabend 1761 tritt der älteste Senator aus dem Krankenzimmer der Kaiserin und verkündet:
Elisabeth, am Ende furchtbar entstellt und wassersüchtig, hatte die Weltbühne verlassen.
Während sich der ganze Hof in Schwarz hüllte, begann Peter das Szepter zu schwingen. Er beendete nach sechs Jahren den unbeliebten Krieg. Er wollte fortan nicht mehr an der Seite von Österreich kämpfen und schloss eine Allianz mit Preussen, mit seinem Lieblingskönig Friedrich II.
Er ersetzte die grasgrünen und roten Uniformen, die sein Grossvater Peter der Grosse einst eingeführt hatte, durch blaue – die Farbe der Preussen. Von Friedrich erhielt er einen preussischen Orden, den er nun mit geschwellter Brust vor sich hertrug. Einer der grössten Helden aller Zeiten sei er, schrieb Peter seinem Vorbild. Doch dieser meinte nur verächtlich:
Sein Thron war unter seinem Hintern noch nicht einmal angewärmt, schon plante Peter den Krieg gegen Dänemark. Er wollte das vor über fünfzig Jahre verloren gegangene Schleswig zurückholen. Seine russischen Soldaten sollten in ihren neuen, preussisch anmutenden Uniformen ihr Blut für eine deutsche Sache vergiessen. Und unter dem Befehl seines Holsteiner Vetters kämpfen.
Viel mehr konnte Peter nicht tun, um die Russen gegen sich aufzubringen. Friedrich warnte den Zaren in einem Brief, die Männer, die ihm gefährlich werden könnten, mit auf den Kriegszug zu nehmen. Doch Peter lachte nur und meinte:
Er sollte sich täuschen. Denn als er im Schloss Oranienbaum weilte und über seinen Kriegsplänen brütete, sägte eine Handvoll Leute schon an seinem Thron. Hätte Peter Katharina aufrichtig geliebt, wäre er ihr ein Ehemann gewesen, hätte sie sich vielleicht nicht darauf eingelassen. Doch er hatte ihre Loyalität verspielt. Und Katharina wollte regieren – wenn sie jetzt nicht handelte, würde sie gemeinsam mit ihrem unfähigen Gatten untergehen.
Grigorij Orlow war seit zwei Jahren ihr neuer Geliebter. Ein gutaussehender Gardeoffizier, gross und zäh, eine wahre Kämpfernatur. Für Katharina war er wie ein römischer Held aus der goldenen Zeit der Republik, voller Mut und Grossherzigkeit. Er sollte sie beim Staatsstreich unterstützen, genauso wie sein Bruder Alexej.
Am 28. Juni 1762 fährt Katharina mit den beiden zu den Kasernen der Regimenter. Sie erzählt den Soldaten, dass Peter sie und ihren Sohn umbringen wolle. Dass sie aber nicht ihretwegen hier sei, sondern zur Rettung Russlands. Die Männer leisten Katharina den Treueeid. Umsäumt von begeisterten Gardisten fährt sie zur Kathedrale der Muttergottes von Kasan, denn sie braucht auch die Zusicherung der Kirche. Der Metropolit von St.Petersburg erwartet sie bereits. Hier wurde sie vor 17 Jahren mit Peter verheiratet. Jetzt, mit 33 Jahren, wird sie zur Alleinherrscherin Russlands ausgerufen.
Als sie zum Winterpalast zurückkehrt, begrüssen sie auch die Leibgarde und die Senatoren als neue Kaiserin. Um das Geschehen selbst leiten zu können, ernennt sie sich zum Oberhaupt der Leibgarde, steigt auf ihren Apfelschimmel und reitet den 14'000 grün-roten Männern voran nach Oranienbaum.
Peter trägt derweil die preussische Uniform, König Friedrich hatte ihn zum Obersten eines seiner Regimenter gemacht. Er sucht verzweifelt nach Katharina, die schon längst hätte da sein sollen. Er wird immer nervöser und verfällt in eine wirre Geschäftigkeit, diktiert vier Sekretären gleichzeitig mehrere belanglose Befehle. Nur seine 1000 Holsteiner Soldaten sind bei ihm, die nächste Truppe ist auf der Insel Kronstadt stationiert – fünf Meilen über der Bucht.
Drei Stunden vergehen. Peter hat inzwischen seine Uniform ausgezogen und trägt jetzt die des Leibgarderegiments. Seine Brust ziert das Andreas-Kreuz mit dem blauen Band, der höchste russische Orden, der nur dem Kaiser zusteht. Endlich bekommt er die Meldung, dass ihm Kronstadt zu Verfügung stehe. Und als er sich im milchigen Licht dem Hafen nähert, sieht er einen Marineleutnant auf dem Wall stehen: «Kehren Sie um oder ich lasse feuern!», ruft dieser ihm zu. Nun steht Peter auf, das Boot wackelt ein wenig, als er dem Mann sein Andreas-Kreuz hinstreckt und ihm versichert, dass er der Kaiser sei.
Unter dem Namen seiner Frau bricht er zusammen, der Möchtegern-Friedrich, der sechs Monate lang Kaiser spielen durfte.
Peter wird in Gewahrsam genommen und Alexej Orlow zu seinem Wärter bestimmt. Er bekam starken Durchfall, und selbst bei dieser entwürdigenden Entleerung wurde er nicht allein gelassen. Er begann furchtbar wirres Zeug zu reden, Alexej lachte über ihn. Er nannte seinen Gefangenen nur «das Ungeheuer». Und er schüttete ihm Rattengift ins Essen. Doch das Ungeheuer wollte nicht sterben und so erdrosselte man es.
In den Mord an ihrem Gatten war Katharina nicht eingeweiht. Was sollte sie nun tun? Die Wahrheit sagen und Alexej ins Gefängnis werfen? Nein. Sie hatte ihrem Land gegenüber eine Pflicht zu erfüllen. Und ihre Thronbesteigung sollte nicht durch einen solch bösen Schatten verdüstert werden.
Ein Arzt attestierte Peter eine Hämorroidalkolik. Das hatte sich Katharina ausgedacht. Selbst im Tode wollte sie ihn noch lächerlich machen.
Als die Kaiserin mit dem Senat zusammensitzt und eine Karte von Russland verlangt, ist keine zu finden. Niemand am Hof kennt dieses riesige Land, keiner weiss, wie viele Städte sich darin befinden. Katharina aber will den Staat kennenlernen, dessen Herrin sie ist – und sie will ihn in die Gegenwart führen.
Sie reformierte die Landwirtschaft, teilte ihr Land in Gouvernements ein, baute die ersten Volksschulen, Gymnasien und Ingenieurschulen.
Im Russland, das Katharina 1763 vorfand, wurden jährlich etwa zwanzig Bücher veröffentlicht – die Gebets- und Messbücher nicht mitgezählt. Sie brachte eine Art Renaissance in ihr Land. Sie gründete eine Gesellschaft zur Übersetzung von Klassikern wie Cicero und Goethe. Auch die französischen Aufklärer gelangten so in den Norden, Montesquieu und Voltaire. Mit Letzterem stand sie in regem Briefkontakt und als er starb, kaufte sie seine riesige Bibliothek.
Katharina strebte keine Europäisierung an, vielmehr wollte sie damit den russischen Schaffensdrang wecken.
Ihr grosses Ziel war es, ihrem Land die Grausamkeit auszutreiben, es ein bisschen menschlicher zu gestalten. Die Leibeigenschaft empfand sie als eine unerhörte Ungerechtigkeit und sie hätte sie gerne abgeschafft. Aber es zeigte sich bald, dass Russland noch nicht bereit dazu war.
Katharina versuchte also, die Lebensbedingungen der Leibeigenen wenigstens zu verbessern. Waisen und Findlinge sollten nicht mehr automatisch zu den Leibeigenen derer werden, die sie aufnahmen. Sie durften die staatlichen Schulen besuchen und ab 1787 sogar die Universität.
Bis zu ihrem Ende hat sie ihren Traum der Abschaffung nicht aufgegeben. In ihren nachgelassenen Papieren steht: «Bei dem Verkauf eines Landgutes an einen neuen Besitzer müssen die Leibeigenen frei erklärt werden. In hundert Jahren wird das ganze oder das meiste Land seinen Eigentümer gewechselt haben – und das Volk ist frei.»
Peters törichten Krieg gegen Dänemark brach sie sofort ab und sie schaffte es 1762 auch, die stolze Maria Theresia, die sich mit ihrem Erzfeind Friedrich II. noch immer um Schlesien und Sachsen balgte, endlich an den Verhandlungstisch zu bringen.
Dann richtete sie ihre Augen auf Polen, mit dem sie eine rund 1500 Kilometer lange Grenze teilte. 1764 verhalf sie ihrem ehemaligen Geliebten Stanislaus Poniatowski auf den Thron. Katharinas Herz gehörte schon länger Grigorij Orlow, doch der polnische König war noch immer in die Zarin verliebt.
Seine Reformversuche missbilligte sie, denn sie wollte keinen allzu eigenständigen westlichen Nachbarn. Doch Katharina hatte sich verrechnet. Polen eignete sich ganz und gar nicht für die Rolle eines russischen Marionettenstaats. Die Adligen muckten auf, rebellierten gegen Katharinas politische Einmischung – und so ging sie dazu über, den aufkeimenden polnischen Nationalismus schrittweise zu vernichten.
Sie wandte sich an Friedrich II., der noch immer unaufhörlich daran arbeitete, sein Reich zu vergrössern. Gemeinsam mit dem Preussen schmiedete sie einen teuflischen Teilungsplan, der 1773 zur Ausführung gelangt:
Friedrich erhielt das polnische Pommern, auf das er schon länger lüstern geschielt hatte, Katharina eignete sich den orthodoxen Teil des Landes an. Auch Österreich sollte nicht leer ausgehen: Maria Theresia erhielt einen Teil Galiziens. Sie habe, den Berichten Friedrichs zufolge zwar fromm geweint und ihre Zustimmung zu einem solch machiavellistischen Plan erst verweigert, «doch je mehr Tränen sie vergoss, desto mehr wollte sie ergattern».
Ergattert werden sollte noch viel mehr. 1793 wird Polen ein zweites und 1795 ein letztes Mal geteilt. Nichts wird dann von dem Land mehr übrig sein. Wegradiert von der Europakarte – für über 120 Jahre. Katharina hatte sich die Barriere zwischen Russland und Europa einverleibt, nun grenzte ihr Reich direkt an Preussen und Österreich.
Dann wandte sie sich ihrem südlichen Nachbarn zu. Bereits zum fünften Mal führte Russland nun Krieg mit dem Osmanischen Reich. Und dieses Mal, zwischen 1768 und 1774, würde Katharina die südliche Ukraine, den Nordkaukasus und die Krim unter ihre Herrschaft bringen.
An Landsiege waren sich die Russen bereits gewöhnt, doch nun galt es, die Türken auch zur See zu schlagen. Katharinas Flotte war aufgerüstet, sie hatte sie in eine ansehnliche Streitmacht verwandelt. Russlands traditioneller Meeres-Kriegsschauplatz war die Ostsee, doch als sich der türkische Krieg hinzog, fasste sie einen tollkühnen Plan:
Sie schickte die Schiffe über Westeuropa durch den Ärmelkanal und die Strasse von Gibraltar bis ins östliche Mittelmeer. Mit dem Oberkommando betraute sie niemand anderes als Alexej Orlow, den Mörder Peters. Am 7. Juli 1770 sah der türkische Admiral in den Gewässern vor dem türkischen Anatolien vierzehn schmucke Schiffe, an dessen Hecks die weisse Flagge mit dem blauen Andreaskreuz wehte. In einem fulminanten Grossangriff vernichtete Orlow die osmanische Ägäis-Flotte – nur ein einziges Schiff entkam. 9000 Türken fielen in der Seeschlacht von Tschesme, auf russischer Seite waren es nur 30.
Um alles zu schaffen, was sie schaffte, stand die Kaiserin um 7 Uhr morgens auf und arbeitete 10 Stunden pro Tag. In ihr Tagebuch notierte sie einmal den Satz:
Sie achtete darauf, rechtschaffene Menschen mit ihren Aufgaben zu betrauen. Verhielt sich einer dennoch unschicklich, so wie einer ihrer Provinzgouverneure, der hohe Bestechungsgelder einstrich, so schickte sie ihm eine leere Geldbörse zum Geburtstag. Katharinas Technik bestand darin, laut zu loben und leise zu schelten.
Tatsächlich verleitete sie ihre hohe Stellung niemals dazu, überheblich oder übermässig prunkvoll aufzutreten. Das militärische Schaugepränge ihres Gatten verabscheute sie genauso wie Perücken, die während ihrer Regierungszeit gänzlich verpönt waren. Sie trug nur wenig Kosmetika und für ihre Hofdamen und engen Freunde veranstaltete sie gerne ihr berühmtes Katzenkonzert. Katharina konnte hervorragend Tiere nachahmen.
Sie war stolz auf ein Nachthemd, das sie für einen Freund entworfen hatte, aber nicht auf ihre politischen Erfolge.
Sie las alle Arten von Büchern, denn sie glaubte an den Fortschritt. Sie ackerte sich durch landwirtschaftliche Lektüre, las Berichte von Seefahrern und einmal führte sie sich sogar ein dänisches Gesetzbuch zu Gemüte. Sie empfand es als so trocken, «dass man damit den Vesuv zuschütten und zum Erlöschen hätte bringen können».
Katharina war eine aufgeklärte Regentin und sie verteidigte die Monarchie aus praktischen Gründen:
Die Nachwelt sah die russische Zarin gern als sexbesessenes Monster. Sicherlich war sie nicht prüde und mag auch einige Liebhaber gehabt haben, elf an der Zahl, doch scheinen die meisten davon eine ziemlich zweitrangige Rolle gespielt zu haben. Katharina war nicht gern allein und sehnte sich inmitten der rauen Tagespolitik nach Zärtlichkeit. Sie bevorzugte im Alter deutlich jüngere Männer. Dies war aber kein besonderer Fetisch, denn Katharina umgab sich ganz generell lieber mit jungen Menschen. Vielleicht stillte sie damit ihre Sehnsucht nach jugendlicher Unbekümmertheit.
Russland hatte stets Vorrang vor ihren Männern, sogar vor Potemkin, den wohl wichtigsten Mann in Katharinas Leben.
Er kam, als Grigorij Orlow den Hof verliess. Die beiden kreuzten sich auf der Palasttreppe und als Potemkin Orlow fragte, was es neues gebe, antwortete dieser: «Nichts Besonderes. Der eine steigt hinauf, der andere hinab.»
Potemkin war ein hochgewachsener, stolzer Lebemann, der in Moskau studierte, aber dann die militärische Laufbahn einschlug. Katharina nannte ihn ihren «Löwen im Dschungel». Wenn er sie nachts besuchte, kam er oft in einem fleckigen Schlafrock, an einem Rettich oder einer Zwiebel kauend. Er schien immer hungrig zu sein, und hatte er nichts zur Hand, kaute er an seinen Nägeln. 34 Jahre zählte er, als er Katharinas Geliebter wurde, sie war zehn Jahre älter.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Katharina Potemkin 1774 heimlich heiratete. In ihren Briefen nennt sie ihn ihren «zärtlichen Gemahl» und dass sie mit ihm «durch die heiligsten Bande verbunden» sei. Er verlieh ihr Kraft, um ihre Reformen durchzubringen. Doch bei aller Liebe wollte sie nicht, dass er sich in die Politik einmischte. Und das war der grosse Zwist zwischen den beiden.
Potemkin wurde allmählich grausam. Und Katharina spürte, dass sie ihm eine Aufgabe geben musste, bei der er sich als Mann selbst verwirklichen konnte. Er ertrug es nicht, in ihrem Schatten zu stehen. Um die Liebe zu retten, schickte die Kaiserin Potemkin in die durch den Türkenkrieg neu erworbenen Gebiete in der südlichen Ukraine. Er sollte sie entwickeln und verwalten.
Innerhalb von sieben Jahren machte Potemkin aus dem von Piraterie und Gaunerei verseuchten Grenzgebiet eine friedliche russische Provinz. 1783 schuf er auch Ordnung auf der Krim, die nun vollends von Katharina annektiert wurde. Er nannte die Halbinsel etwas verächtlich «die Warze an der Nase Russlands». Die Bevölkerung war ein buntes Gemisch aus moslemischen Tataren, Kalmücken, Griechen, Armeniern und Georgiern.
1787 reist Katharina zu ihrem Geliebten, um sein Werk zu betrachten. Ein sächsischer Gesandter, der Potemkin hasste, liess das bösartige Gerücht verbreiten, das bis heute im sprichwörtlichen «potemkinschen Dorf» weiterlebt: Um die Kaiserin zu beeindrucken, habe Potemkin auf deren Wegstrecke Pappdörfer aufgebaut und sie mit sauber gekleideten Bauern bevölkert, die man jeweils von einem Ort zum anderen trieb. Potemkin mag in seinen Briefen an die Kaiserin seine Erfolge übertrieben dargestellt haben, doch er gründete in Neurussland richtige Städte wie Odessa und Sewastopol, Nikolajew und Jekaterinoslaw, er sorgte dort für Sicherheit und baute die Schwarzmeerflotte auf der Krim auf.
Als er nach St.Petersburg zurückkommt, ist er nicht mehr länger Katharinas Liebhaber. Er liebte sie noch immer, aber als seine Kaiserin. Das war wohl ihr Los als Regentin. Selbst die Männer, die sie von tiefstem Herzen liebte, verlor sie.
«Alles, was ich für Russland tun konnte, war nicht mehr als ein Tropfen in einem Ozean», sagte die Kaiserin einmal. Dabei wollte sie noch so viel mehr tun:
Leider wurde sie nicht so alt. Am Morgen des 17. November 1796 stand die 67-jährige Katharina auf. Sie hatte wunderbar geschlafen und fühlte sich zwanzig Jahre jünger. Im Morgenrock suchte sie die Toilette auf, in der sie für gewöhnlich nicht länger als zehn Minuten aufwandte. Doch als sie nach einer halben Stunde noch immer nicht herausgetreten war, öffnete der Kammerdiener die Tür. Katharina lag am Boden. Ihr Gesicht war dunkelrot angelaufen. Aus ihrer Kehle drang ein Röcheln.
Die Kaiserin beteuerte einst: «Wenn meine Zeit kommt, will ich keine Klageweiber und Tränensusen um mich haben, sondern standhafte Seelen und frohe Gesichter.» Ihr Traum sollte ihr verwehrt bleiben. Angehörige und Freunde – sie alle weinten. Ihr Röcheln wurde immer lauter, man konnte es bald zwei Zimmer weiter hören. Doch als die Uhr viertel nach Elf schlug, war alles still.