Als Fritz Schoellhorn am 2. Februar 1933 starb, war er weit mehr als ein lokaler Bierbrauer. In einem Nachruf in der NZZ vom 5. Februar jenes Jahres wird er gewürdigt – da ist von ihm als einem «erfolgreichen Industriellen, verdienten Förderer der Wissenschaften, glänzenden Organisator, Mehrer des Ansehens des Schweizerischen Braugewerbes, gerechten Arbeitgeber» die Rede.
Unter den Rednern an der Abdankung im Kirchgemeindehaus Winterthur war auch Heinrich Hürlimann, Direktor der gleichnamigen Zürcher Brauerei und wohl auch ein Konkurrent, dazu ein Maschinist aus dem Betrieb von Haldengut, aber auch Emil Bosshard (1860-1937), ehemaliger Rektor der ETH Zürich. Diese Hochschule hatte Fritz Schoellhorn 1928, fünf Jahre vor seinem Tod, einen Ehrendoktor verliehen und Emil Bosshard war eine treibende Kraft hinter dieser Ehrung.
Die Brauerei Haldengut ist Geschichte. Sie wurde 1994 von Heineken übernommen, 2002 wurde der Braubetrieb in Winterthur eingestellt. Nur wenige hundert Meter vom «Haldengut» entfernt lebt ein Urenkel des ehemaligen Patrons, Andreas Schoellhorn. Er hat bei der Übernahme und späteren Stilllegung der Brauerei dafür gesorgt, dass das umfangreiche Firmenarchiv in sichere Hände kam. Wichtige Zeugnisse des Schaffens seines Urgrossvaters stehen aber weiterhin auch in seiner Bibliothek. Sie erzählen von den Herausforderungen eines wachsenden Betriebs und vermitteln Eindrücke in das Leben eines Industriellen und seiner Familie an der Wende zum 20. Jahrhundert.
Johann Georg Schoellhorn (1837–1890), der Vater von Fritz Schoellhorn, kam 1875 von Bad Waldsee auf der anderen Seite des Bodensees in die Schweiz. Er war Lieferant von Malz, Braugerste und Hopfen und beteiligte sich an der schwächelnden Winterthurer Brauerei. Als er 1890 starb, musste sein Sohn Fritz, gerade mal 27-jährig, die Geschäfte weiterführen, die mittlerweile als Vereinigte Schweizer Brauereien AG die Brauereien Tivoli in Genf, Bavaria in St. Gallen und Haldengut in Winterthur umfasste. Die Betriebe in St. Gallen und Genf wurden aufgegeben. Ab 1904 konzentrierte sich Schoellhorn auf die schon 1842 gegründete Brauerei Haldengut in Winterthur.
Eines der grössten Probleme der Brauer Mitte des 19. Jahrhunderts waren die grossen Qualitätsschwankungen. Die wichtigsten Ursachen waren mangelndes Wissen über Hefen und das Fehlen wirksamer Kühlungstechnologien. Fritz Schoellhorn machte sich technische Entwicklungen im Maschinenbau und neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse zunutze. Nicht zuletzt für diese wissenschaftliche Arbeit erhielt er den Ehrendoktor der ETH.
Für die technische Ausstattung der Brauerei Haldengut war die lokale Zusammenarbeit mit der Maschinenfabrik der Gebrüder Sulzer eine ideale Situation, zum Beispiel für die Nutzung der 1876 patentierten Kältemaschinen. Zuvor wurde mit Natureis gearbeitet und das kam teilweise von sehr weit her, zum Beispiel aus dem 80 Kilometer entfernten Klöntalersee.
Fritz Schoellhorn arbeitete sich akribisch durch die schon damals beträchtliche weltweite Literatur zum Bierbrauen und besuchte die Brauakademie in Weihenstephan in Bayern. Das Zusammentragen von Büchern überstieg bald seine Kapazitäten, worauf er 1913 in Berlin die noch heute existierende Gesellschaft für die Geschichte und Bibliographie des Brauwesens gründete und die Herausgabe einer umfassenden Bibliographie selbst an die Hand nahm. Diese Arbeit schloss er 1928 ab. Sie spiegelte den Stand des damaligen Wissens in vielen Sprachen.
Bier wurde erst im Lauf der Industrialisierung zu einem volkstümlichen Getränk, zuvor trank man hierzulande vor allem Most und Wein. Die Brauerei Haldengut hatte dann auch ihren Namen vom Gut der Familie Ernst in den Weinhalden des Lindbergs von Winterthur. In einer 1922 veröffentlichten Studie über das Braugewerbe im Kanton Zürich dokumentierte Fritz Schoellhorn die Geschichte von nicht weniger als 57 Brauereien, davon sechs in Winterthur.
In der schwierigen Zeit nach der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg wurde Fritz Schoellhorn auch zum Vater des späteren Bierkartells: Im Rahmen einer Kundenschutzvereinbarung verpflichteten sich die Brauereien, gegenseitig, keine Absatzstellen abzuwerben. Weit über 90 Prozent allen Bieres wurde damals über Gaststätten verkauft, und neue Gaststätten durften zum Schutze gegen Alkoholismus keine eröffnet werden. Marketing war weder nötig noch erlaubt, man warb gemeinsam für Schweizer Bier. Das sogenannte Bierkartell bestand 1935 bis 1991, beschränkte gegenseitig die Konkurrenz, war aber kein eigentliches Preiskartell. Den Brauereien wurde vielmehr vorgeworfen, mit billigem Bier Landwirtschaft und Volksgesundheit zu gefährden.
Im Büchergestell seines Urenkels befinden sich auch zwei grossformatige Fotoalben: Sie enthalten rund 90 Fotografien, die Fritz Schoellhorn beim ersten Fotografen am Platz vor dem Ersten Weltkrieg anfertigen liess: bei Hermann Linck. Dessen Vater war wie er selber Ende des 19. Jahrhunderts in die Schweiz eingewandert und hatte ein Fotografie-Geschäft aufgebaut, das von Aufträgen der wachsenden Industrie von Winterthur und Zürich, aber auch vom Bedürfnis nach Selbstdarstellung des prosperierenden Bürgertums lebte.
Diese Fotos sind ein einmaliges Zeugnis, denn sie dokumentieren Schritt für Schritt den Brauprozesses mit der Technologie der damaligen Zeit. Natürlich zeigen sie die Brauerei von ihrer besten Seite. Abgebildet ist nicht nur der Brauprozess von der Mälzerei über das Sudhaus bis zur Fassfüllerei, zu sehen sind auch Pferdefuhrwerke, die ersten Motorwagen, der Speisesaal, das Krankenzimmer oder das Direktionsbüro – und als Kuriosum ein Schwimmbad für die Arbeiter, das die Abwärme des Brauprozesses nutzte.
Hermann Linck machte aber auch Familienfotos: Auf einem Bild sehen wir Fritz Schellhorn hoch zu Pferd vor dem Geschäftseingang. Zwei andere Bilder zeigen den Vater mit den drei Söhnen in Uniform und seine Frau Lilly Schoellhorn-Sträuli (1868-1933) mit ihren beiden Töchtern.
Hinter der teilweise etwas schroff wirkenden Fassade des Unternehmers und Obersten der Kavallerie verbarg sich ein feinfühliger und offener Mensch. Fritz Schoellhorn veröffentlichte für seinen Freundeskreis auch Gedichte, so etwa im 1913 erschienen Bändchen An des Lebensherbstes Schwelle: «Das Leben rollt so schnell vorbei, kein Rasten gibt’s und keine Ruh: Du staunst, wie Deine Freunde altern; Dein Spiegel sagt Dir kalt: ‹Auch Du›.»