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Eine kleine Geschich­te des Vegeta­ris­mus in der Schweiz

Bauern assen im 19. Jahrhundert vor allem Gschwelti, Emmentaler-Käse und tranken Milchkaffee. Fleisch stand in der Regel nicht auf dem Speiseplan.
Bauern assen im 19. Jahrhundert vor allem Gschwelti, Emmentaler-Käse und tranken Milchkaffee. Fleisch stand in der Regel nicht auf dem Speiseplan.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Eine kleine Geschich­te des Vegeta­ris­mus in der Schweiz

Vegane und vegetarische Ernährung gilt als gesund und nachhaltig. Wie der Verzicht auf Fleisch zu einem Zukunftsmarkt wurde, zeigt ein Blick auf die Geschichte des Vegetarismus in der Schweiz.
17.04.2021, 20:3819.04.2021, 15:44
Hannes Mangold / Schweizerische Nationalbibliothek
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Der Trend zur vegetarischen Ernährung ist nicht zu übersehen. In der beliebten Filiale der vegetarischen Fastfoodkette in Bahnhofsnähe, am wachsenden Sortiment von Fleischersatzprodukten im Supermarkt um die Ecke oder in der neuen veganen Bäckerei in der Innenstadt: Der Konsum von fleischlosen Nahrungsmitteln erlebt seit rund 20 Jahren ein starkes Wachstum. Wer heute vegan oder vegetarisch isst, kann sein Profil als reflektierter, umwelt-, gesundheits- und modebewusster Mensch schärfen.

Veganes Ragout.
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Veganes Ragout.Bild: Instagram @vegan.outlawzfood
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Die fleischlosen Produkte richten sich nach aktuellen Schätzungen in der Schweiz an rund ein Prozent Veganerinnen und Veganer sowie fünf Prozent Vegetarierinnen und Vegetarier. Zu diesen kommen fast 25 Prozent Flexitarierinnen und Flexitarier dazu, die zwar nicht vollständig auf Fleisch verzichten, ihren Konsum aber bewusst einschränken. Insgesamt ergibt das ein interessantes Geschäftsvolumen. Die typische Person, die heute auf Fleisch verzichtet, ist eher jung, weiblich, gut gebildet und einkommensstark. Nicht zuletzt wegen dieses Profils stehen vegetarische und vegane Produkte für einen trendigen Lebensstil. Die fleischlose Ernährung umweht ein Hauch von Avantgarde. Das hat auch historische Gründe.

Müesli-Avantgar­de

Bewusst und freiwillig auf Fleisch zu verzichten hat eine lange Tradition. Bis ins 19. Jahrhundert waren vegetarische Lebenszeiten völlig normal. Aus religiösen Gründen wurde im Frühjahr gefastet oder freitags auf Fleisch verzichtet. Die Industrialisierung und die Verstädterung brachten dann einen zunehmend gesundheitlich und ethisch motivierten Vegetarismus. Für die Gesundheit des eigenen Körpers und Geists sei das Töten und Verzehren von Tieren zu unterlassen.

Diese Haltung vertrat ab 1801 ein erster europäischer Vegetarierverein in London. Zur gleichen Zeit veränderte sich die Produktion von Fleisch fundamental. Von der Aufzucht des Viehs, über das Schlachten und Ausweiden der Tiere bis zum Verkauf und Verzehr des Fleischs etablierten sich industrielle Massstäbe und Prozesse.

Bircherraffel aus den 1950er-Jahren.
Bircherraffel aus den 1950er-Jahren.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum
Porträt von Maximilian Bircher-Benner (1867-1939).
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:4bircher.JPG
Porträt von Maximilian Bircher-Benner (1867-1939).Bild: Wikimedia

Während das Fleisch zur Massenware wurde, äusserte eine vegetarische Avantgarde immer stärkere Zweifel an dessen gesundheitlichem und moralischem Wert. Im Rahmen des Rückbezugs auf eine idealisierte Natur verbreiteten sich besonders in der Lebensreformbewegung vegetarische und vegane Ernährungsweisen. Der Schweizer Arzt und Unternehmer Maximilian Bircher-Benner übernahm dabei eine prominente Rolle. In seinem Sanatorium in Zürich und mit seinem Wendepunkt-Verlag propagierte Bircher eine fleischlose Kost. In rohen Früchten und in rohem Gemüse sah er die beste, in der toten Materie des Fleischs dagegen die schlechteste Nahrung. Vom Erfolg seiner Arbeit zeugt bis heute seine «Apfel-Diätspeise», die als Birchermüesli international Karriere gemacht hat und als Klassiker der Schweizer Küchengeschichte gelten darf.

Plakat Ausstellung "Fleisch", Schweizerisches Nationalmuseum
Bild: Schweizerisches Nationalmuseum
Fleisch – Eine Ausstel­lung zum Innenleben
04.03.2021 – 30.06.2021
Schweizerische Nationalbibliothek, Bern

In der Ausstellung «Fleisch – Eine Ausstellung zum Innenleben» nimmt die Nationalbibliothek die aktuelle Diskussion um fleischliche, vegetarische und vegane Ernährung zum Anlass, um historischen, literarischen und künstlerischen Perspektiven dieses besonderen Stoffs nachzuspüren.

Einblicke in die Ausstellung bietet die Webseite www.nationalbibliothek.ch.

Grünspei­se

Zu Doktor Birchers Patienten zählte auch ein gewisser Ambrosius Hiltl. Von der gesundheitsfördernden Wirkung der vegetarischen Ernährung war Hiltl dermassen angetan, dass er ein in Zürich bestehendes vegetarisches Hotel mit Restauration übernahm und ihm seinen Namen gab. Das «Hiltl» befindet sich bis heute in Familienbesitz. Im 21. Jahrhundert hat Hiltl die Idee des vegetarischen Restaurants über eine Beteiligung an der «Tibits»-Kette in der ganzen Schweiz verbreitet.

J.C. Müller AG, Veget. Restaurant, A. Hiltl, Vegetarierheim, Plakat, 1932.
J.C. Müller AG, Veget. Restaurant, A. Hiltl, Vegetarierheim, Plakat, 1932.Bild: Schweizerische Nationalbibliothek, © Hiltl AG

Zu den religiösen, gesundheitlichen und ethischen Gründen für den Fleischverzicht trat im 20. Jahrhundert ein steigendes Bewusstsein für die ökologischen Auswirkungen der Fleischproduktion. Die Popularisierung des Klimadiskurses führt seit den 1970er-Jahren dazu, dass sich immer mehr Menschen aufgrund von Umweltbedenken vegetarisch ernähren. Heute steht die industrialisierte und globalisierte Massenproduktion von Fleisch unter anderem in der Verantwortung für den Ausstoss beträchtlicher Mengen an Treibhausgasen und Rodungen südamerikanischer Regenwälder. Das vegetarische und vegane Leben liegt heute auch darum im Trend, weil in der Klimabewegung eine junge avantgardistische Bewegung zusammengefunden hat, die alte Gewohnheiten hinterfragt und verändert. Die fleischlose gilt heute als echte grüne Speise.

>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Eine kleine Geschich­te des Vegeta­ris­mus in der Schweiz» erschien am 14. April.

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23 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Norenthal
17.04.2021 23:08registriert September 2020
Fast Vegi und weitgehend keine Milchprodukte- mir tuts gut. Aber da muss jeder selbst schauen. Nichts nervt mehr als wenn die eigene Ernährung sektieterisch zelebriert wird. Ausser bei Omas, die dürfen ihre Lebensmittelweisheiten 24/7 predigen
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Kaoro
17.04.2021 21:37registriert April 2018
Einige Tage Vegi tut dem Körper gut, also meinem. Ich esse weniger, die Verdauung ist besser, der Nachmittag geht besser. Echte Steaks, Spareribs, Wings etc grilliere ich immer noch sehr sehr gern. Ich kann mich noch an die Kindheit erinnern, es gab aus Kostengründen nicht täglich Fleisch, nur ein bis zwei mal die Woche. Das geht schon, man überlebt es mit sehr kleinen Mengen Fleischnahrung.
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tempolibero
17.04.2021 23:31registriert August 2018
Es ist doch unglaublich, dass es scheint, als ob die Fleischlobby weltweit stärker ist, als das Risko der Ernährungsingenieure, Geld in einen CO2-ausstossarmen und tierfreundlicheren Ersatz zu investieren.
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