In den Köpfen vieler Menschen ist die Schweiz noch immer ein Bauernland. In der Realität ist die Landwirtschaft eine relativ kleine Nummer. Sie trägt weniger als ein Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Der Wohlstand der Schweiz basiert nicht auf Kraut und Rüben, sondern auf exportstarken und innovativen Unternehmen, viele davon KMU.
Das soll die Bedeutung der Landwirte für die Landesversorgung nicht schmälern. Dennoch ist es absurd, welchen Einfluss der Bauernstand in Bundesbern gemessen an seinem wirtschaftlichen Gewicht besitzt. Bauernverbands-Präsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter aus St. Gallen gilt nicht umsonst als schlauster Lobbyist im Parlament.
Man staunt immer wieder, wie er es schafft, die bürgerlichen Fraktionen auf Linie zu bringen. Selten aber gelang ihm das so gut wie in der abgelaufenen Wintersession 2022. Zu Ritters eigentlichem Meisterstück wurde die Bundesratswahl am 7. Dezember. Es begann damit, dass seine «Bauernfraktion» die Hearings mit den Kandidierenden zuerst durchführte.
Am Ende erhielt die Landesregierung zwei neue Mitglieder mit bäuerlichem Hintergrund. Albert Rösti (SVP) ist in einer Bauernfamilie aufgewachsen und ETH-Agronom. Neben seinem Einfamilienhaus in Uetendorf steht ein Pferdestall. Elisabeth Baume-Schneider (SP) ist eine jurassische Bauerntochter und Halterin von … ihr wisst schon was.
Nicht mehr im Bundesrat vertreten sind die urbanen und die finanzstarken Regionen. Dafür ist er nun stark bäuerlich geprägt, wenn man den Waadtländer Winzer Guy Parmelin (SVP) einbezieht. Man könnte meinen, Wohl und Wehe des Landes hingen von jenem der Landwirtschaft ab. Dafür stehen auch andere Entscheide des Parlaments.
So hat die Bauernlobby im Bundesbudget 2023 mal wieder ein paar Subventiönchen untergebracht. Der Betrag für die Absatzförderung des Schweizer Weins wurde um sechs Millionen Franken aufgestockt. Selbst Branchenvertreter schütteln den Kopf. Die Winzer sollten lieber die Qualität fördern, statt mehr Werbung für Durchschnittsgesöffe zu betreiben.
In der Agrarpolitik gab es Beschlüsse zum Nachteil von Natur und Umwelt. So lehnte der Ständerat die Verankerung von Klimazielen im Landwirtschaftsgesetz ab. Dafür wurde eine Jagdgesetz-Revision verabschiedet, die den Abschuss von Wölfen erleichtern soll. Zuvor hatte der Bauernverband einen Kompromiss mit den Naturschützern aufgekündigt.
Aus Rücksicht auf die Viehhalter wurde eine Motion durchgewinkt, die das vom Bundesrat schon beschlossene Reduktionsziel beim Stickstoffverlust abschwächen will. Ganz knapp und wohl nur vorläufig abgewehrt wurde ein Angriff auf die Biodiversitätsvorgaben, obwohl die Schweiz im Hinblick auf die Artenvielfalt zu den Schlusslichtern in Europa gehört.
Die Macht der Landwirtschaft in Bundesbern ist beeindruckend und in gewisser Weise erschreckend. Das zeigte sich gerade bei der Bundesratswahl. Markus Ritter liess sich in den Tamedia-Zeitungen mit einer bemerkenswerten Aussage zitieren: «Die Bundesratswahl ist keine Kompetenzwahl. Elisabeth Baume-Schneider hat unsere Herzen berührt.»
So viel Unverfrorenheit ist beinahe bewundernswert. Der Bauernpräsident erklärte ungeniert, dass nicht die Fähigsten in den Bundesrat gehören, sondern die «Gmögigsten». Es kann sein, dass die Frohnaturen Baume-Schneider und Rösti das in letzter Zeit eher «schittere» Klima im Bundesrat verbessern können. Aber führt das auch zu besseren Entscheiden?
Zweifel sind angebracht. Natürlich ist die Baslerin Eva Herzog auch an sich selbst gescheitert. Sie hatte sich miserabel verkauft, selbst bei potenziellen Verbündeten wie den Grünen. Das hat ihr wohl die entscheidenden Stimmen gekostet. Baume-Schneider verhielt sich weitaus schlauer, etwa indem sie professionelle Beratung in Anspruch nahm.
Das ist bedauerlich, denn Eva Herzog aus dem traditionell weltoffenen Grenzkanton und Pharma-Standort Basel-Stadt versteht die internationalen Abhängigkeiten der Schweiz. Beim ehemaligen Milchverbands-Direktor Albert Rösti und bei Elisabeth Baume-Schneider, der früheren Bildungsdirektorin im strukturschwachen Jura, ist man sich nicht sicher.
Dabei hat der Bundesrat gerade in diesem Bereich enormen Nachholbedarf. Seine strategischen Schwächen sind alarmierend. So fand 2014 eine Sicherheitsverbundsübung statt, basierend auf dem Szenario «Pandemie und Strommangellage». Doch als der Ernstfall eintrat, stand der Bund mit leeren Händen da. Er musste hektisch Notfallpläne entwerfen.
Beim Ukraine-Krieg zeigte sich das gleiche Bild. Verteidigungsdepartement und Armee seien «keineswegs unvorbereitet» gewesen, behauptete Viola Amherd im Frühjahr. Das mag sein, dennoch reagierte der Bundesrat nach dem russischen Überfall wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Oberpeinlich war sein Slalomlauf bei der Übernahme der EU-Sanktionen.
Die Europapolitik ist ohnehin ein Trauerspiel. Letzte Woche verabschiedete der Bundesrat den Entwurf seines Europaberichts. Darin steht, was man eigentlich immer wusste: Der Bundesrat hatte nach der Beerdigung des Rahmenabkommens mit der EU keinen Plan B. Er betrachtet den bilateralen Weg im Gegenteil nach wie vor als alternativlos.
Man könnte weitere Beispiele erwähnen. Der Bauernlobby mag das egal sein. Sie verfolgt nur ihren eigenen Vorteil. Markus Ritter wird wohl nicht ruhen und rasten, ehe alle sieben Bundesräte über «Stallgeruch» verfügen. Langfristig aber sägen die Bauern am Ast, auf dem sie sitzen. Denn das Geld, das sie einsacken, muss irgendwie verdient werden.
Vielleicht ist diese Einschätzung zu negativ. Vielleicht werden Rösti und Baume-Schneider alle Erwartungen übertreffen und hervorragende Bundesräte. Allerdings weht der neuen Justiz- und Asylministerin schon jetzt ein scharfer Wind aus der SVP entgegen, auch von Bauernvertretern, die ihr gerade noch zugejubelt hatten.
Im Interesse des Landes sollte die Bundesratswahl eine Kompetenzwahl sein. Aber die Mitglieder der Bundesversammlung lassen sich lieber von Gefühlen leiten, oder von Partikularinteressen aller Art. Das erleichtert es der Bauernlobby, ihr Spiel zu spielen. Den Preis dafür zahlt das Land, denn die nächste Krise kommt bestimmt.