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Russland-Sanktionen: Der Bundesrat hatte keine andere Wahl

Die Bundesraete Ueli Maurer, Viola Amherd, Bundespraesident Ignazio Cassis und Karin Keller Sutter, von links, sprechen an einer Medienkonferenz ueber die Ukraine Krise, am Montag, 28. Februar 2022, i ...
Zu viert trat der Bundesrat am Montag vor die Medien.Bild: keystone
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Schluss mit Wegducken: Der Bundesrat fügt sich in das Unvermeidliche

Der Bundesrat übernimmt nun doch die EU-Sanktionen gegen Russland. Er tut es nicht nur aus Überzeugung: Die Dynamik innerhalb der Europäischen Union liess ihm keine Wahl.
28.02.2022, 19:2228.02.2022, 20:07
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Die Wahl der Worte lässt oft tief blicken. So spricht die SVP in einer Mitteilung vom «Krieg zwischen Russland und der Ukraine». In ihrem Verständnis von Neutralität handelt es sich bei den Ereignissen in Osteuropa demnach um einen Krieg «zwischen» zwei Ländern. Und nicht um den brutalen, völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf seinen Nachbarn.

Umso erfreulicher, dass Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis am Montag vor den Medien für einmal nicht vorgestanzte Floskeln herunterleierte. Sondern Klartext sprach: «Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist ein Angriff auf die Souveränität, die Freiheit, die Demokratie, die Zivilbevölkerung und die Institutionen eines freien Landes.»

Na also. Geht doch.

In einer solchen Situation kann es keine Eunuchen-Neutralität à la SVP geben. Das hat der Bundesrat kapiert. Nach der peinlichen Medienkonferenz vom letzten Donnerstag, als er überforderte Chefbeamte ins Messer laufen liess, verkündete er zu viert das Unvermeidliche: Die Schweiz übernimmt vollumfänglich die EU-Sanktionen gegen Russland.

Die Tabubrüche der EU

Ohne einen gewissen Druck von aussen ging es jedoch nicht. Der Kurs der Schweiz sorge für grosse Frustration, zitierte die Agentur Keystone-SDA am Montag einen nicht näher genannten EU-Diplomaten. Markus Preiß, der ARD-Studioleiter in Brüssel, verwies auf Twitter maliziös auf den Schweizer Alleingang bei den Finanzsanktionen gegen Russland.

Die Leisetreterei und das Wegducken des Bundesrats waren von Anfang an ein Ärgernis. Allerdings muss man anerkennen, dass er wie viele andere wohl von der Dynamik innerhalb der Europäischen Union überrumpelt wurde. Sie hat am Wochenende mehrere Tabus gebrochen und Massnahmen beschlossen, die bis vor Kurzem undenkbar schienen:

  • Die EU finanziert Waffenlieferungen an die Ukraine mit einer halben Milliarde Euro. Deutschland liefert erstmals direkt Waffen in ein Kriegsgebiet. Das neutrale Schweden schickt 5000 Panzerabwehrraketen, tausende Helme und andere Schutzausrüstung. Auch andere EU-Länder unterstützen die Ukrainer mit Waffen und anderem Material.
  • Die EU sanktioniert die russische Zentralbank durch das Einfrieren ihrer Vermögenswerte und ein Verbot von Transaktionen. Ausserdem werden russische Finanzinstitute aus dem Bankennetzwerk Swift geworfen. Solche Massnahmen dürften nicht nur das Regime, sondern auch die Zivilbevölkerung hart treffen. Auch dies ist ein Tabubruch.
Video: watson

Es ist auch ein wesentlicher Grund für die Übernahme der Sanktionen. Wenn die EU selbst «gewöhnliche» Russinnen und Russen nicht verschont, kann die Schweiz unmöglich Oligarchen und andere Profiteure des Putin-Regimes mit Samthandschühchen anfassen. Oder Wladimir Putin selbst und seine Handlanger von Sanktionen verschonen.

Glaubwürdigkeit gefährdet

Wenn Finanzminister Ueli Maurer die Integrität des Schweizer Finanzplatzes betont, verbirgt sich dahinter die Furcht, selber zum Ziel westlicher Massnahmen zu werden. Man hat damit beim Thema «Steuerflucht» leidvolle Erfahrungen gemacht. Dies relativiert auch mögliche Folgen für die Guten Dienste, die man ohnehin nicht überbewerten darf.

So begründete die «Sonntagszeitung» die Zurückhaltung der Schweiz bei den Sanktionen mit einer möglichen «Friedenskonferenz» in Genf. Dieses Thema hat sich fürs Erste erledigt, denn nun verhandeln Russen und Ukrainer direkt miteinander, an der Grenze zu Belarus.

Ohnehin wäre es fatal für die Glaubwürdigkeit der Schweiz, wenn sie sich aus Sicht der Ukraine und der westlichen Staaten dem Verdacht aussetzen würde, eine «Kollaborateurin» Moskaus zu sein, der die Gschäftlimacherei wichtiger ist als die Moral. Dies würde ihre Vermittlerrolle weit mehr kompromittieren als die Übernahme der EU-Sanktionen.

Die «New York Times» hat diesen Schritt als Breaking News vermeldet, was einiges aussagt über das Image der Schweiz. Sie hat den Totalschaden knapp vermieden. Und auch wenn viele in den letzten Tagen eine steile Lernkurve durchlebt haben, fragt man sich einmal mehr, wie es um die strategischen und taktischen Fähigkeiten der offiziellen Schweiz bestellt ist.

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Krieg in der Ukraine
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quelle: keystone / will oliver
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Die russischen Angriffe auf die Ukraine
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63 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Liebu
28.02.2022 19:42registriert Oktober 2020
Und jetzt Liebe SVP erklärt mir mal bitte Neutralität.
Auch Schweden ist Neutral, duldet aber keine Völkerrechtsverletzungen.
Dies ist das Mindeste, was man tun kann.
Muss man wirklich von jedem Krieg profitieren?
Danke. Ihr habt mir extrem geholfen auf die nächsten Wahlen.
Ihr seid unglaublich, zum k…….
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Rethinking
28.02.2022 19:31registriert Oktober 2018
Besser spät als nie…

Gschämmig ist es trotzdem!
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Steibocktschingg
28.02.2022 19:49registriert Januar 2018
"Und auch wenn viele in den letzten Tagen eine steile Lernkurve durchlebt haben, fragt man sich einmal mehr, wie es um die strategischen und taktischen Fähigkeiten der offiziellen Schweiz bestellt ist."

Nicht vorhanden, von unten bis oben.
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