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Analyse

Wie die Bauern die Session dominierten: Eine Schadensbilanz

Die neu gewaehlten Bundesraete Elisabeth Baume-Schneider SP-JU, links, und Albert Roesti, SVP-BE, freuen sich zusammen nach der Ersatzwahl in den Bundesrat durch die Vereinigte Bundesversammlung, am M ...
Zwei Neue mit Stallgeruch: Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti.Bild: keystone
Analyse

Wie die Bauern die Session dominierten: eine Schadensbilanz

Die Bauern haben in der Wintersession einen Erfolg nach dem anderen gefeiert, angefangen bei der Bundesratswahl. Verlierer sind die Natur und die Schweiz als Ganzes.
17.12.2022, 09:5717.12.2022, 12:04
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In den Köpfen vieler Menschen ist die Schweiz noch immer ein Bauernland. In der Realität ist die Landwirtschaft eine relativ kleine Nummer. Sie trägt weniger als ein Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Der Wohlstand der Schweiz basiert nicht auf Kraut und Rüben, sondern auf exportstarken und innovativen Unternehmen, viele davon KMU.

Das soll die Bedeutung der Landwirte für die Landesversorgung nicht schmälern. Dennoch ist es absurd, welchen Einfluss der Bauernstand in Bundesbern gemessen an seinem wirtschaftlichen Gewicht besitzt. Bauernverbands-Präsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter aus St. Gallen gilt nicht umsonst als schlauster Lobbyist im Parlament.

Markus Ritter, Mitte-SG, spricht waehrend der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 29. September 2022 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Markus Ritter hat der Session seinen Stempel aufgedrückt.Bild: keystone

Man staunt immer wieder, wie er es schafft, die bürgerlichen Fraktionen auf Linie zu bringen. Selten aber gelang ihm das so gut wie in der abgelaufenen Wintersession 2022. Zu Ritters eigentlichem Meisterstück wurde die Bundesratswahl am 7. Dezember. Es begann damit, dass seine «Bauernfraktion» die Hearings mit den Kandidierenden zuerst durchführte.

Bauern im Bundesrat

Am Ende erhielt die Landesregierung zwei neue Mitglieder mit bäuerlichem Hintergrund. Albert Rösti (SVP) ist in einer Bauernfamilie aufgewachsen und ETH-Agronom. Neben seinem Einfamilienhaus in Uetendorf steht ein Pferdestall. Elisabeth Baume-Schneider (SP) ist eine jurassische Bauerntochter und Halterin von … ihr wisst schon was.

Nicht mehr im Bundesrat vertreten sind die urbanen und die finanzstarken Regionen. Dafür ist er nun stark bäuerlich geprägt, wenn man den Waadtländer Winzer Guy Parmelin (SVP) einbezieht. Man könnte meinen, Wohl und Wehe des Landes hingen von jenem der Landwirtschaft ab. Dafür stehen auch andere Entscheide des Parlaments.

Werbung für Wein

So hat die Bauernlobby im Bundesbudget 2023 mal wieder ein paar Subventiönchen untergebracht. Der Betrag für die Absatzförderung des Schweizer Weins wurde um sechs Millionen Franken aufgestockt. Selbst Branchenvertreter schütteln den Kopf. Die Winzer sollten lieber die Qualität fördern, statt mehr Werbung für Durchschnittsgesöffe zu betreiben.

In der Agrarpolitik gab es Beschlüsse zum Nachteil von Natur und Umwelt. So lehnte der Ständerat die Verankerung von Klimazielen im Landwirtschaftsgesetz ab. Dafür wurde eine Jagdgesetz-Revision verabschiedet, die den Abschuss von Wölfen erleichtern soll. Zuvor hatte der Bauernverband einen Kompromiss mit den Naturschützern aufgekündigt.

«Keine Kompetenzwahl»

Aus Rücksicht auf die Viehhalter wurde eine Motion durchgewinkt, die das vom Bundesrat schon beschlossene Reduktionsziel beim Stickstoffverlust abschwächen will. Ganz knapp und wohl nur vorläufig abgewehrt wurde ein Angriff auf die Biodiversitätsvorgaben, obwohl die Schweiz im Hinblick auf die Artenvielfalt zu den Schlusslichtern in Europa gehört.

Die Macht der Landwirtschaft in Bundesbern ist beeindruckend und in gewisser Weise erschreckend. Das zeigte sich gerade bei der Bundesratswahl. Markus Ritter liess sich in den Tamedia-Zeitungen mit einer bemerkenswerten Aussage zitieren: «Die Bundesratswahl ist keine Kompetenzwahl. Elisabeth Baume-Schneider hat unsere Herzen berührt.»

Besseres Klima im Bundesrat

So viel Unverfrorenheit ist beinahe bewundernswert. Der Bauernpräsident erklärte ungeniert, dass nicht die Fähigsten in den Bundesrat gehören, sondern die «Gmögigsten». Es kann sein, dass die Frohnaturen Baume-Schneider und Rösti das in letzter Zeit eher «schittere» Klima im Bundesrat verbessern können. Aber führt das auch zu besseren Entscheiden?

Zweifel sind angebracht. Natürlich ist die Baslerin Eva Herzog auch an sich selbst gescheitert. Sie hatte sich miserabel verkauft, selbst bei potenziellen Verbündeten wie den Grünen. Das hat ihr wohl die entscheidenden Stimmen gekostet. Baume-Schneider verhielt sich weitaus schlauer, etwa indem sie professionelle Beratung in Anspruch nahm.

Strategische Schwächen

Das ist bedauerlich, denn Eva Herzog aus dem traditionell weltoffenen Grenzkanton und Pharma-Standort Basel-Stadt versteht die internationalen Abhängigkeiten der Schweiz. Beim ehemaligen Milchverbands-Direktor Albert Rösti und bei Elisabeth Baume-Schneider, der früheren Bildungsdirektorin im strukturschwachen Jura, ist man sich nicht sicher.

Dabei hat der Bundesrat gerade in diesem Bereich enormen Nachholbedarf. Seine strategischen Schwächen sind alarmierend. So fand 2014 eine Sicherheitsverbundsübung statt, basierend auf dem Szenario «Pandemie und Strommangellage». Doch als der Ernstfall eintrat, stand der Bund mit leeren Händen da. Er musste hektisch Notfallpläne entwerfen.

Trauerspiel Europapolitik

Beim Ukraine-Krieg zeigte sich das gleiche Bild. Verteidigungsdepartement und Armee seien «keineswegs unvorbereitet» gewesen, behauptete Viola Amherd im Frühjahr. Das mag sein, dennoch reagierte der Bundesrat nach dem russischen Überfall wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Oberpeinlich war sein Slalomlauf bei der Übernahme der EU-Sanktionen.

Der neuzusammengesetzte Bundesrat, von links, Bundespraesident Ignazio Cassis, Alain Berset, Guy Parmelin, Viola Amherd, Karin Keller-Sutter, die neugewaehlten Albert Roesti und Elisabeth Baume-Schnei ...
Vielleicht harmoniert der neue Bundesrat besser als der alte, aber das garantiert keine besseren Entscheide.Bild: KEYSTONE

Die Europapolitik ist ohnehin ein Trauerspiel. Letzte Woche verabschiedete der Bundesrat den Entwurf seines Europaberichts. Darin steht, was man eigentlich immer wusste: Der Bundesrat hatte nach der Beerdigung des Rahmenabkommens mit der EU keinen Plan B. Er betrachtet den bilateralen Weg im Gegenteil nach wie vor als alternativlos.

Sägen am eigenen Ast

Man könnte weitere Beispiele erwähnen. Der Bauernlobby mag das egal sein. Sie verfolgt nur ihren eigenen Vorteil. Markus Ritter wird wohl nicht ruhen und rasten, ehe alle sieben Bundesräte über «Stallgeruch» verfügen. Langfristig aber sägen die Bauern am Ast, auf dem sie sitzen. Denn das Geld, das sie einsacken, muss irgendwie verdient werden.

Vielleicht ist diese Einschätzung zu negativ. Vielleicht werden Rösti und Baume-Schneider alle Erwartungen übertreffen und hervorragende Bundesräte. Allerdings weht der neuen Justiz- und Asylministerin schon jetzt ein scharfer Wind aus der SVP entgegen, auch von Bauernvertretern, die ihr gerade noch zugejubelt hatten.

Im Interesse des Landes sollte die Bundesratswahl eine Kompetenzwahl sein. Aber die Mitglieder der Bundesversammlung lassen sich lieber von Gefühlen leiten, oder von Partikularinteressen aller Art. Das erleichtert es der Bauernlobby, ihr Spiel zu spielen. Den Preis dafür zahlt das Land, denn die nächste Krise kommt bestimmt.

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172 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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M.Ensch
17.12.2022 11:04registriert März 2020
Die Schadenbilanz im Parlament wird sehr viel breiter als nur von den Bauern verursacht. Geringer Verdienende sollten endlich aufwachen. Die Parlamentsmehrheit ist alles Andere als auf ihrer Seite.
20118
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Fairness
17.12.2022 10:19registriert Dezember 2018
Solange all die Pestizide nicht verboten werden, kommen trotz allen Bemühungen weder die Vögel noch die Biodiversität allgemein zurück. Da nützen verwilderte Grünstreifen voll Abzug null, weil alles Geld an die Bauern fliesst.
15225
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sweeneytodd
17.12.2022 13:26registriert September 2018
Peter Blunschi diskualifiziert sich mit seinem EBS und Bauern bashing von Artikel zu Artikel immer mehr. 1. Ja es hat nicht viele Städter, aber die Städter sind selber schuld, wählt doch Politiker ins Parlament weöche euch vertreten. 2. Gibt doch EBS immerhin (genauso wie Rösti im UVEK) 100 Tage Zeit und seht wie sie sich schlagen, dann, und erst dann, kann man eine Bilanz daraus ziehen.
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