Wirtschaft
Schweiz

SGS-Konzern will von Genf in den Kanton Zug umsiedeln

Auch optisch eine Institution: SGS-Hauptsitz an der Place des Alpes in Genf.
Auch optisch eine Institution: SGS-Hauptsitz an der Place des Alpes in Genf.

Bequem und günstig für hochbezahlte Manager: Der Steuerwettbewerb 2.0 ist lanciert

Der SGS-Konzern will nach über 110 Jahren in Genf nach Zug umsiedeln. In der Rhonestadt ist von einem Erdbeben die Rede. In der Schweiz könnte der Fall Schule machen.
23.02.2025, 12:2323.02.2025, 12:23
Daniel Zulauf / ch media
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SGS, ein multinationaler Konzern, der seit 110 Jahren in Genf ansässig ist und dort auch optisch die Präsenz einer Institution geniesst, will offenbar noch in diesem Jahr die Koffer packen und nach Baar in den Kanton Zug umziehen. Zwei Wochen seitdem lokale Medien die Pläne des Unternehmens bekannt gemacht haben, reibt man sich in der Rhonestadt noch immer die Augen.

Wie kommt es, dass diese Firma ihre historische Verbindung zu Genf einfach kappen will? Immerhin ist SGS als unparteiische Handelsmittlerin und neutrale Inspektorin französischer Getreideexporte gross geworden und deshalb während des Ersten Weltkriegs auch von Le Havre in die neutrale Schweiz nach Genf umgezogen. Die SGS hat einen nicht unwesentlichen Anteil am Aufstieg Genfs zu einem der bedeutendsten Rohstoffhandelsplätze – namentlich auch für Agrarrohstoffe.

Historische Verbindung einfach kappen

CEO Géraldine Picaud sagte den Finanzanalysten vergangene Woche auf einer Konferenz zu den Jahresergebnissen: «Die Realität ist, dass unser Hauptsitz in Genf nicht zweckmässig ist. Er ist überdimensioniert.» Man habe eine Umzugsmöglichkeit identifiziert, «möglicherweise in Zug», sagte die Managerin. Die Pläne befänden sich aber noch in der Entwicklung. Die Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegenüber CH Media liess SGS in der vorgegebenen Zeitlimite ungenutzt verstreichen.

SGS-Chefin Géraldine Picaud.
SGS-Chefin Géraldine Picaud.Bild: zvg

Tatsächlich scheinen die Umzugspläne schon ziemlich ausgereift zu sein. Aus gut informierter Quelle weiss CH Media, dass SGS die Anmietung von zwei Stockwerken im ehemaligen Hauptsitzgebäude der Investmentfirma Partners Group in Baar ins Auge gefasst hat. Zudem sei der alte SGS-Sitz in Genf, der vor 25 Jahren noch für 45 Millionen Franken erneuert und erweitert worden war, zum Preis von 125 Millionen Franken bereits auf dem Markt.

Was Géraldine Picaud verschweigt

Und Géraldine Picaud scheint noch mehr zu verschweigen. Die frühere Holcim-Finanzchefin, die erst im Dezember 2023 als Finanzchefin zur SGS gestossen und kurz darauf zum CEO befördert worden war, hat offenbar auch handfeste fiskalische Motive für den Umzug.

Gemäss Dejan Nikolic, Sprecher der Genfer Staatsrätin und Finanzdirektorin Nathalie Fontanet, seien in den Gesprächen mit SGS in den vergangenen Wochen und Monaten auch steuerliche Aspekte erörtert worden. Genauer konnte oder wollte Nikolic nicht werden. Klar ist indessen, dass unterschiedlich hohe Gewinnsteuersätze zwischen den Kantonen kein zugkräftiges Argument im Wettbewerb um Firmenstandorte mehr darstellen. Seit Anfang 2024 gilt in der Schweiz der OECD-Mindestgewinnsteuersatz von 15 Prozent, der entweder ganz von den Kantonen selbst oder teilweise vom Bund abgeschöpft wird.

Die fiskalischen Diskussionen dürften sich somit nicht zuletzt um die private Einkommensbesteuerung der hochbezahlten SGS-Konzernleitungsmitglieder gedreht haben. Géraldine Picaud verdiente im vergangenen Jahr 4,2 Millionen Franken und die übrigen 13 Mitglieder des Exekutivkomitees zusammen 18,3 Millionen Franken.

Zwar bewege sich Genf nach der im November per Volksentscheid beschlossenen Senkung der Einkommenssteuern um bis zu 11,7 Prozent auf das schweizerische Mittelfeld zu, sagt Nikolic. Doch gegen Zug, den sowohl für Unternehmen als auch für Privatpersonen mithin steuergünstigsten Kanton im Land, sei man chancenlos.

Vincent Subilia, Direktor der Genfer Handelskammer, spricht gegenüber der Zeitung «Tribune de Genève» von einem ökonomischen Erdbeben. Und er macht deutlich, dass dieses den Wettbewerb um die niedrigsten Einkommenssteuern zur Ursache habe. Subilia rechnet der Zeitung vor, dass eine Managerin oder ein Manager mit einem Gehalt von einer Million Franken und zwei Kindern in Genf 350'000 Franken und in Zug nur 180'000 Franken an den Fiskus abliefere.

Picaud, Mutter von drei Kindern, lebt schon länger in Zug, wie dem Handelsregister zu entnehmen ist. Auch ihre Finanzchefin, die frühere Sandoz-Managerin Marta Vlatchkova – seit Mai 2024 bei SGS – hat ihren steuergünstigen Wohnsitz in Freienbach im Kanton Schwyz behalten und den Umzug nach Genf vermieden. Auch Generalsekretär Martin Oesch, ebenfalls erst seit Mai 2024 bei SGS, ist gemäss Handelsregister in der Zürcher Gemeinde Urdorf wohnhaft geblieben.

Ob das SGS-Management mit der geplanten Hauptsitzverlegung nicht zuletzt auch Steueroptimierung in eigener Sache betreibt, muss vermutet werden, lässt sich aber nicht beweisen. Offensichtlich ist immerhin, dass Picaud bei SGS die gleichen Rezepte anwendet, wie sie das bereits bei Holcim getan hatte.

Rezyklierte Holcim-Rezepte

Die Französin war auf ihrem wechselhaften Karriereweg 2018 zurück in die Schweiz zu Holcim gekommen, um gleich mitzuhelfen, den Konzernsitz des Zementherstellers von Zürich nach Zug zu verschieben. 2021 wurde auch das Steuerdomizil von St. Gallen nach Zug verlegt, und seit dem vergangenen Jahr sind auch die Tage des historischen Hauptsitzes im aargauischen Holderbank gezählt. Holcim verfolgt einen harten Optimierungskurs zur Steigerung des Aktionärsnutzens, und die Konzentration der Aktivitäten auf Zug scheint man dabei als hilfreich zu erachten. Auf diesen Kurs hat Picaud nun auch SGS gelenkt.

Weniger mondän, aber zweckmässiger? An dieser Adresse in Baar will SGS offenbar den neuen Hauptsitz einrichten.
Weniger mondän, aber zweckmässiger? An dieser Adresse in Baar will SGS offenbar den neuen Hauptsitz einrichten.Bild: screenshot

Die Umzugspläne von SGS über den Röstigraben hinweg sind ein deutliches Indiz dafür, dass der Steuer- beziehungsweise Standortwettbewerb innerhalb der Schweiz auch mit der faktischen Plafonierung der Unternehmensgewinnsteuersätze nicht zum Stillstand gekommen ist. «Der Wettbewerb ist so intensiv wie eh und je, er hat sich einfach auf andere Felder verlagert», sagt René Matteotti, Professor für Steuerrecht an der Universität Zürich.

Martin Hess, Leiter Steuern und Steuerpolitik von SwissHoldings, einem Interessenverband von Grossunternehmen in der Schweiz, sagt, «der Fall SGS könnte Schule machen, je nachdem, wie sich die einzelnen Kantone auf den neuen Standortwettbewerb einstellen». Die Bedeutung der Einkommenssteuern für hochbezahlte Manager habe im Standortwettbewerb klar an Gewicht gewonnen.

Doch der Wettbewerb um Firmenhauptsitze und das Steuersubstrat von Grossunternehmen tobt nicht nur innerhalb der Schweiz, sondern weltweit. Er werde «so hart wie noch nie» geführt, sagt Hess und hat damit vielleicht nicht unrecht. Donald Trump unterschrieb schon am ersten Tag als US-Präsident ein Dekret, mit dem sich die USA von einer Umsetzung der OECD-Mindeststeuer distanzierten, und drohte, gegen Länder vorzugehen, die diese Steuer auf US-Unternehmen anwenden würden.

Die Schweiz und Zug im Speziellen dürften die Drohung nicht überhört haben. In der Schweiz und in Zug gibt es viele US-Unternehmen, deren Gewinnsteuersätze teilweise tief unter dem Mindestsatz von 15 Prozent liegen. Wie Bund und Kantone unter diesen Umständen mit der Umsetzung der OECD-Mindestbesteuerung verfahren wollen, ist unklar.

Klar ist aber, dass die USA im internationalen Wettbewerb um Firmenhauptsitze und tiefe Unternehmensgewinnsteuern nun ein gewichtiges Wort mitreden wollen, obschon das Land allein durch seinen immensen Binnenmarkt über einen grossen natürlichen Vorteil verfügt. Vom angeblichen Ziel einiger EU-Hochsteuerländer wie Frankreich, mithilfe einer internationalen Plafonierung der Unternehmensgewinnsteuern den Steuerwettbewerb zu bremsen und die Steuergerechtigkeit zu erhöhen, sind die Welt und die Schweiz jedenfalls noch sehr weit entfernt.

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36 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Krämer Ochsenknecht
23.02.2025 12:55registriert März 2022
Es wäre am der Zeit in der schweiz einheitliche Steuersätze festzulegen.
Das Beispiel mit der SGS zeigt eimal mehr dasd steuerdumper wie Baar der Restschweiz Steuersubstrat abgraben, um dann vom hohen Ross herunter anderen Gemeinden und Kantonen vorzuwerfen sie würden nicht gut genug haushalten und Geld verschwenden. Das bisschen Ausgleichszahlung sei schon fast unzumutbar. Meiner Meinung nach ist Steuerwerbewerb asozial und einem so kleinen und vernetzten Land wie der Schweiz unwürdig.
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Händlmair
23.02.2025 13:44registriert Oktober 2017
Da verdienen die Manager Löhne und Boni die weit weg von Normal sind und dann sind diese Personen noch zu geizig, um in ihrem Wohnort die fälligen Steuern zu entrichten. Für mich sind das einfach nur anstandslose und egoistische Personen.

Es ist an der Zeit, das entweder die Kantone die Einkommenssteuern planieren oder den Lastenausgleich muss dringend überarbeitet werden, so dass diese Ungerechtigkeiten zwischen den Gemeinden ausgeglichen wird.
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