Hans Jürg
Nennt mich paranoid, aber bei chinesischen Herstellern bin ich da äusserst skeptisch.
Huaweis Klapp-Handy ist alles, nur kein durchschnittliches Mobiltelefon: Das Design ist extravagant, das faltbare Display beeindruckend, der Preis abgehoben. 1599 Franken möchte Huawei für das P50 Pocket im zart schimmernden Goldton, das ich die letzten Wochen im Alltag testen konnte. Zum Vergleich: Das sehr ähnliche und erfreulich gute Klapp-Smartphone Galaxy Z Flip 3 von Samsung von 2021 bekommt man inzwischen ab 675 Franken. Dass man bei Huawei auf Googles Play Store verzichten muss – ja, die US-Sanktionen sind nach Donald Trumps Abgang weiterhin in Kraft – macht's nicht besser.
Lassen wir den unverschämten Preis zunächst aussen vor, ist Huaweis faltbares Smartphone ein faszinierendes Stück Technik, das Design-Fans, Technik-Enthusiasten und Nostalgiker gleichermassen ansprechen könnte. Warum die Realität nicht ganz so rosig aussieht, zeigt der ausführliche Testbericht.
Das für meinen Geschmack etwas zu gross geratene Klapp-Handy zieht die Blicke magisch an. Das liegt nicht zuletzt am auffälligen Design – das man liebt oder hasst. In der goldfarbenen Premium-Edition – das Standard-Modell wird bei uns offiziell nicht verkauft – zieht sich über die gesamte Rückseite ein Relief, das «die natürlichen Texturen der Erde» repräsentieren soll, wie ich gelesen habe. Für mich persönlich etwas zu verspielt, aber viele Mitmenschen reagierten auffallend positiv auf das noble Erscheinungsbild. Die verschnörkelte Rückseite fühlt sich hochwertig an, leider ist sie auch ausgesprochen rutschig.
Zusammengeklappt liegen die beiden Display-Hälften flach aufeinander. Anders als bei Samsungs Klapp-Handy bleibt also kein Spalt sichtbar. Trotz dieser optisch gelungenen Konstruktion ist das Gerät zugeklappt mit rund 1,5 cm etwas klobig. Geöffnet ist es so dick bzw. dünn wie andere Smartphones.
Das Auf- und Zuklappen funktioniert äusserst geschmeidig, vor allem das Öffnen geht aber beidhändig weit einfacher. Dafür erhält man beim Zuklappen diesen satten und gleichzeitig leicht gedämmten Ton, der Premium-Qualität signalisiert.
Weniger Premium: Anders als bei Samsungs Galaxy Z Flip 3 lässt sich das Display nicht so leicht stufenlos in beliebigen Winkeln öffnen. Das Gerät halb aufgeklappt vor sich hinstellen, um beispielsweise ein Video zu schauen und dabei die Hände freizuhaben, kann leicht fummelig werden. Insgesamt ist Huaweis Scharnier-Lösung ohne Spalt zwischen den Display-Hälften zweifellos formvollendeter, wirkt für mich aber weniger stabil.
Das Gewicht von 190 Gramm geht für ein derart grosses Smartphone mehr als in Ordnung.
Wer auf sehr grosse Displays steht, liegt hier goldrichtig. Aufgeklappt schaut man auf ein 6,9 Zoll grosses, gestochen scharfes Full-HD-Plus-Display. Es ist zwar ausreichend hell, im prallen Sonnenlicht kann das Ablesen trotzdem schwierig werden, da es ziemlich stark spiegelt. Insgesamt ist das OLED-Display sehr hochwertig und sorgt mit einer flexiblen Bildwiederholrate von bis zu 120 Hertz (Hz) für einen flüssigen Bildeindruck.
Fühlten sich die Displays der ersten Falt-Handys vor zwei, drei Jahren noch stark nach weichem Plastik an, spürt man nun kaum mehr einen Unterschied zu herkömmlichen, harten Glas-Displays. Kratzer muss man daher kaum befürchten – zumal das Display zugeklappt geschützt ist.
Der unvermeidbare Falz im Display ist nur von der Seite oder allenfalls bei dunklen Inhalten sichtbar, im Alltag fiel er mir gar nicht auf. In den ersten Stunden spürt man den Falz allerdings ständig, was natürlich irritiert. Spätestens nach ein paar Tagen gewöhnt man sich daran und nimmt ihn nicht mehr wahr.
Grosse Displays in Ehren, aber mit 75,5 mm ist das Gerät sehr breit ausgefallen und für kleine Hände schlecht zu halten. Bei Samsungs Klapp-Handy ist das Display nur 0,2 Zoll kleiner, das Gerät aber spürbar schmaler und handlicher.
Das Handy hat auf der Aussenseite ein zweites, kreisrundes Mini-Display. Das 1 Zoll grosse Touch-Display kann Informationen wie Zeit, Wetter, Kalender und neue Benachrichtigungen anzeigen. Auch Funktionen wie Musikwiedergabe steuern, Wecker ausschalten etc. lassen sich darüber regeln, ohne dass das Handy geöffnet werden muss.
Im Verbund mit dem ebenfalls runden Kamera-Design sieht das prächtig aus, ist aber wenig nutzerfreundlich. Ein rundes Display ist einfach nicht optimal, um Text anzuzeigen. Davon abgesehen ist es arg klein und der Nutzen eingeschränkt. Um einen raschen Blick auf neue Benachrichtigungen zu werfen, ohne das Handy öffnen zu müssen, reicht es knapp. Das kann den Vorteil haben, dass man den Smartphone-Konsum etwas reduziert und vielleicht weniger oft planlos durch Social-Media-Feeds scrollt.
Das Cover-Display hat eine zweite zentrale Funktion: Es kann als Sucher benutzt werden, um mit der Hauptkamera Selfies zu knipsen. Das P50 Pocket hat zwar auch eine normale Selfie-Kamera, aber mit der etwas besseren Hauptkamera werden sie besonders schön.
Im rechten Winkel geöffnet wird das P50 Pocket zudem zum Stativ, was beispielsweise für Selbstauslöser-Fotos oder Zeitraffer-Videos praktisch ist.
Die Kamera macht gute bis sehr gute Aufnahmen. Einzig vom Zoom hätte ich mir etwas mehr erhofft, ansonsten gibt es wenig zu meckern. Die folgende Slideshow vermittelt einen Eindruck von der Fotoqualität.
Ich habe das schmucke Klapp-Handy vier Kolleginnen und Kollegen bei watson in die Hand gedrückt und um eine spontane und ehrliche Meinung gebeten. Das kam dabei heraus:
Wer rund 1500 Franken für ein Handy bezahlt, erwartet den neusten Prozessor. Im P50 Pocket steckt aber mit dem Snapdragon 888 «nur» der Top-Prozessor für Android-Geräte vom letzten Jahr. In der Praxis merkt man davon nichts. Das Klapp-Handy mit satten 12 GB Arbeitsspeicher (RAM) läuft wie eine Rakete.
Bei Samsungs Klapp-Handy war der viel zu kleine Akku (3300 mAh) meine Hauptkritik. Huawei ist es gelungen, einen deutlich grösseren Akku (4000 mAh) zu verbauen. Damit kommt man in der Regel durch den Tag. Für viel mehr reicht's nicht, da das sehr grosse Display im 120-Hz-Modus reichlich Energie konsumiert. Wer die Laufzeit optimieren möchte, kann die Bildwiederholrate auf 60 Hz begrenzen.
Der Akku lädt mit dem mitgelieferten Netzteil in 60 Minuten von 0 auf 96 Prozent. Ein guter Wert und rund doppelt so schnell wie beim ähnlichen Galaxy Z Flip 3 von Samsung. Umgekehrt kann das P50 Pocket, anders als der nur halb so teure Rivale, nicht kabellos laden.
Der üppige Speicherplatz (512 GB) lässt sich mit Huaweis Nano Memory Card erweitern. Dafür muss man aber einen der beiden Nano-SIM-Steckplätze opfern.
Die Gesichtserkennung sowie der Fingerabdruck-Sensor auf der Seite im Power-Button funktionieren tadellos. Die Stereo-Lautsprecher klingen verblüffend satt und die Gesprächsqualität beim Telefonieren ist sehr gut. Einzig auf 5G muss man aufgrund der US-Sanktionen verzichten.
Zur Erinnerung: Huawei muss aufgrund der US-Sanktionen auf Google-Dienste und Apps wie Google Maps, YouTube, Chrome etc. verzichten. Das schmälert zumindest meine Freude am Luxus-Smartphone beträchtlich und macht es nutzlos für alle, die beruflich Google-Dienste nutzen müssen. Besonders schwer wiegt, dass das P50 Pocket ohne Googles Play Store kommt. Huawei liefert deshalb einen eigenen App-Store als Ersatz mit. Diese AppGallery kann die App-Lücke aber bei Weitem nicht füllen.
Ist eine App in Huaweis App-Store nicht vorhanden – was sehr oft vorkommt –, wird man zu alternativen App-Stores geleitet, aus denen man Apps wie SBB, Netflix, Spotify etc. installieren kann. Als User bleibt einem also nichts anderes übrig, als sich seine Apps aus anderen App-Stores zusammenzusuchen, die teils mit Werbebannern zugemüllt sind. Aber auch so wird man nicht jede App finden und insbesondere meine E-Banking-App würde ich nie aus einem nicht-offiziellen App-Store installieren.
Kurzum: Erfahrene User können sich die meisten Apps irgendwie zusammenklauben. Für Durchschnittsuser, die nur den Play Store kennen, ist dies aber gewöhnungsbedürftig und auch nicht gänzlich ungefährlich. Wer sich verklickt, landet rasch bei einer dubiosen Abo-Falle. 👇
Da Huawei Googles Android-Version nicht mehr nutzen darf, kommt das Handy mit der Open-Source-Version von Android 11 und Huaweis eigener Benutzeroberfläche namens EMUI. Das wäre alles okay, aber wer in der Google-Welt zuhause ist, wird leiden: Statt Google Maps gibt es plötzlich Petal Maps, statt Google-Suche Petal Search oder Bing ...
Was man auch beachten sollte: Manche Apps, die auf Google-Dienste angewiesen sind, etwa bestimmte E-Banking- oder Twint-Apps, werden nicht auf dem Huawei-Gerät laufen, auch wenn man sie möglicherweise installieren oder vom alten Smartphone transferieren kann.
Huawei versucht, so scheint es, das App-Problem zu kaschieren, indem diverse Apps vorinstalliert werden. Meiner Meinung nach eine denkbar schlechte Idee. Glücklicherweise lassen sich die vorinstallierten Apps fast alle wieder löschen.
Und wie lange gibt es Updates für das Betriebssystem? Die Medienstelle schreibt auf Anfrage: «Huawei EMUI wird jedes Jahr aktualisiert und Versions-Updates werden für mindestens zwei Jahre garantiert.» Sicherheits-Updates sichert man für drei Jahre ab Marktstart zu. Zum Vergleich: Samsung unterstützt viele Modelle neu mit vier Generationen Android-Updates und Sicherheits-Updates für fünf Jahre.
Positiv sei erwähnt, dass Huawei in seiner Android-Version zusätzliche Datenschutz-Optionen integriert hat: So lässt sich in den Einstellungen der «Super-Datenschutzmodus» aktivieren, der Mikrofon, Kamera und Standortfreigabe (GPS) ausschaltet, wenn das P50 Pocket zusammengeklappt ist.
Für die Hardware muss man Huawei ein Kränzchen winden. Das Auf- und Zuklappen funktioniert einwandfrei. Die Performance ist top, die Kamera ebenso und der Akku zumindest besser als bei Samsungs aktuellem Klapp-Handy.
Doch das zugegeben schmucke Falt-Smartphone kann noch so elegant auf- und zuklappen. Der überrissene Preis (Stand Mai 2022 ab 1439 Franken im Online-Handel) und die fehlenden Google-Dienste brechen ihm das Genick. Natürlich kann man viele Apps über Umwege nachrüsten, aber das ist nicht jedermanns Sache.
Trotz allem würde ich lügen, würde ich behaupten, dass ich mit Huaweis Luxus-Gadget keinen Spass hatte. Das Gefühl, etwas Spezielles in den Händen zu halten, ist zweifellos da. Kaufen würde ich es dennoch nicht, selbst wenn es nur die Hälfte kosten würde. Persönlich habe ich einfach keinen Bezug zu Klapp-Handys. Ich besass früher keins und sehe auch jetzt keinen triftigen Grund, warum ich eins bräuchte.
Wer sich hingegen «etwas Besonderes» leisten will und ein Smartphone sucht, das garantiert auffällt, liegt goldrichtig. Für die allermeisten User ist ein gewöhnliches Smartphone aber die klar bessere Wahl.
Wer unbedingt ein Klapp-Smartphone möchte, sollte sich auch das sehr ähnliche und nur etwa halb so teure Galaxy Z Flip 3 von Samsung anschauen.