In der Nacht vom 8. auf den 9. Juli 2021 kam es in der Schweiz wegen einer technischen Panne zu einem potenziell lebensgefährlichen Ausfall der Notrufdienste. Dieser Beitrag dreht sich um die Lehren, die wir daraus ziehen sollten, wobei auch die verantwortlichen Akteure ausführlich zu Wort kommen. Das ist neben der Netzbetreiberin Swisscom der Bund, im Speziellen das Bundesamt für Kommunikation (Bakom).
... die Swisscom muss sich an den öffentlichen Versprechungen Äusserungen ihrer obersten Bosse und hochrangigen Wirtschaftsvertreter messen lassen.
Zur Erinnerung: Die Notrufdienste waren schon im Januar und Februar 2020 von Swisscom-Pannen betroffen. Das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) kündigte daraufhin eine vertiefte Abklärung an und veröffentlichte schliesslich im Juli 2020 einen Bericht zuhanden des Parlaments.
Nun braucht es eine schonungslose Aufklärung der jüngsten Vorkommnisse und eine transparente Kommunikation seitens Swisscom und der beaufsichtigenden Behörden. Dafür ist den Verantwortlichen die nötige Zeit einzuräumen.
Das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) war am Freitag nicht in der Lage, einen ausführlichen Fragenkatalog von watson zu beantworten. «Aufgrund der grossen Anzahl von Anfragen», schreibt Kommunikationschefin Caroline Sauser.
In einer allgemeinen Stellungnahme zuhanden der Medien teilt die Bundesbehörde mit, man stehe mit der Swisscom im Kontakt bezüglich der Ursachen der Störungen und den Schlussfolgerungen, die daraus zu ziehen seien.
Im Rahmen seiner Aufsichtstätigkeit könne das Bakom die Ursachen der Störungen und die getroffenen Massnahmen untersuchen, heisst es weiter. Wegen der «hohen Komplexität» könne «die Eingrenzung der Fehler» aber eine längere Zeit in Anspruch nehmen. Soll heissen: Die Öffentlichkeit wird sich noch etwas gedulden müssen, bis ein Bericht vorliegt.
Zum Auslöser der Panne schreibt Swisscom am Freitagnachmittag: «Nach Wartungsarbeiten an einer Plattform in einem Rechenzentrum» sei «ein unvorhergesehenes Fehlverhalten aufgetreten.» Durch die Isolation der betroffenen Netzwerkkomponente konnte die Störung behoben werden.
Im oben erwähnten 8-seitigen Bakom-Bericht vom Sommer 2020 (Titel: «Jüngste Netzunterbrüche bei Swisscom, Grundversorgung und Notrufdienste») sticht angesichts der jüngsten Swisscom-Panne ein Satz ins Auge, der sich um die Ausfallsicherheit der Notrufinfrastruktur drehte. Sinngemäss schreibt die Aufsichtsbehörde, es sei zu prüfen, ob es Vorgaben bezüglich «redundanter Infrastrukturen» brauche.
Redundanz meint in diesem Zusammenhang, dass ein zweites Notrufsystem vorhanden sein sollte, das bei einer technischen Panne sofort und nahtlos «einspringen» kann.
Dies hat im aktuellen Fall offensichtlich nicht funktioniert.
Warum, ist laut Swisscom noch unklar.
Die Notrufzentralen in den Kantonen sollten eigentlich auf eine Notumleitung zählen können – im Fachjargon «Dynamische Leitweglenkung» (DLWL) genannt. Sie soll gewährleisten, dass Notrufe bei einer Panne automatisch weitergeleitet werden. Doch scheint ausgerechnet dieser Mechanismus nicht reibungslos funktioniert zu haben, wie es Swisscom darstellt. Dies werde nun «vertieft analysiert».
Auch hier gilt es an die Äusserungen des im Frühjahr abgetretenen Swisscom-Verwaltungsratspräsidenten Loosli zu erinnern. In einem Interview im Juli 2020 versprach er, dass die Unternehmensleitung dafür sorgen werde, dass die Netzinfrastruktur einfacher und noch redundanter werde. Und:
Dies wird auch in der aktuellen Stellungnahme des Bakom betont. Swisscom habe im letzten Jahr als Folge der Störungen diverse Massnahmen beschlossen, um die Netzstabilität zu verbessern. Dabei seien Sofortmassnahmen umgehend umgesetzt und langfristige strukturelle Anpassungsmassnahmen «aufgegleist» worden. Dank diesen ersten Anpassungen hätten sich die Folgen der aktuellen Störung bei der Swisscom in Grenzen gehalten, bzw. seien reduziert worden.
Das Bakom weiter:
Was lernen wir daraus?
Als die offiziellen Notrufnummern nicht mehr funktionierten und Notrufe ins Leere zu gehen drohten, reagierten die Verantwortlichen in den Kantonen. Es ging darum, möglichst schnell Ersatz-Telefonnummern zu kommunizieren.
Man stelle sich vor, in einer solch schwierigen Lage – mit heftigen Unwettern und Überschwemmungen – würde auch noch das Mobilfunknetz zusammenbrechen. Wenn wir Murphys Gesetz als Ausgangspunkt für ein Worst-Case-Szenario nehmen, dann würde genau in einer solch schwierigen Situation auch noch die Stromversorgung ausfallen.
Immerhin ist das auch den Fachleuten beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) und weiteren Fachleuten bewusst und im Dezember 2020 reagierte der Bundesrat.
Um dem Risiko eines Blackouts Rechnung zu tragen, hat die Landesregierung Folgendes entschieden:
Bis in etwa fünf Jahren!?
Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz hat die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) im Frühjahr Zugang zu einem Bakom-Bericht erhalten. Demnach schlagen die Fachleute des Bundes vor, bei Hunderten oder Tausenden von Mobilfunkanlagen Dieselaggregate zu installieren. Um die Zeit bis zu deren Inbetriebnahme zu überbrücken, sollten zusätzlich Akkus verbaut werden. Kostenpunkt: 26'000 Franken pro Standort.
Laut Bakom werde der Betrieb der Notstromaggregate in einer Krise Swisscom und Co. überfordern: «Die Netzbetreiber werden diese Aufgabe mit ihren bestehenden Ressourcen nicht bewältigen können.» Das Bundesamt erwähnte die Möglichkeit, dass die Krisenorganisationen die Netzbetreiber operativ unterstützen könnten. «Soldaten oder Zivilschützer könnten also beispielsweise Dieselkanister schleppen, Aggregate betanken oder die Standorte beschützen.»
Auch hier gibt es also noch einiges zu tun für Swisscom.
Damit zurück zu den Bürgerinnen und Bürgern...
Zum Glück hatte das nächtliche Schlamassel keine tragischen Folgen. Der Ausfall der Notrufdienste hielt zwar Berufsleute und Freiwillige vom Schlaf ab, verschlimmerte aber nach den vorliegenden Informationen keine akuten Notfälle.
Alle Bürgerinnen und Bürger sollten sich überlegen, wie sie sich bei einem erneuten Ausfall verhalten würden. Dazu gehört auch, sich zu informieren, ob es in der Wohngemeinde ein spezielles Prozedere in Notsituationen gibt.
Ein Beispiel: Die Kantone Aargau, Bern, Nidwalden, Schaffhausen und Solothurn sowie die Stadt Zug machen bei der Informations-Plattform notfalltreffpunkt.ch mit. Dort informieren die Behörden über Notfalltreffpunkte und weitere Massnahmen.
Die Alert-Swiss-App hat beim aktuellen Vorfall funktioniert und gezeigt, dass rasche Information per Handy und Computer möglich ist. Allerdings wurden diverse User wegen der Alarmfunktion unsanft aus dem Schlaf gerissen.
Weil der Beitrag sowieso schon extralang ist, fasse ich mich zumindest beim letzten Punkt kurz.
Krisenkommunikation per Smartphone und Notfall-Apps werden immer wichtiger, ja unverzichtbar. In gewissen Notsituationen ist es nicht möglich oder ineffizient, einen Sprachanruf zu tätigen und einer Notrufzentrale zu erzählen, was passiert ist. Denken wir nur an medizinische Notfälle oder an Menschen mit einer schweren Hörbehinderung.
PS: Ab dem 17. März 2022 soll die Standort-Identifikation eines Notrufes über ein Smartphone laut Bakom genauer funktionieren. Dann werden die Mobilgeräte beim Aufbau des Notrufes automatisch ihre Position übermitteln.
Wie beurteilst du die Vorkommnisse? Was soll getan werden, um vergleichbare Pannen in Zukunft zu verhindern? Schreib uns via Kommentarfunktion, aber bitte gesittet! 😉
Was soll das den nützen, wenn das Problem in den Zentralen liegt? Wenn die Rechner nicht mehr funktionieren. Die Sender senden wohl, aber trotzdem keine Verbindung von A nach B.