Er hat einst Bomben gebastelt, er war inhaftiert in Israel, er betreibt das Terrorgeschäft seit Jahrzehnten und trotzdem gibt es nur ein einziges Bild von ihm: Mohammed Deif ist der Kopf des militärischen Flügels der Hamas, und obwohl er mittlerweile in einem Rollstuhl sitzt und einen Arm und ein Bein verloren hat, ist er nach wie vor brandgefährlich. Bisher ist es ihm gelungen, allen Versuchen der Israelis, ihn auszuschalten, zu entgehen.
Gemäss der «Financial Times» ist es auch Deifs Stimme, die auf einem Video zu hören ist, das den Terroranschlag zu rechtfertigen versucht. «Angesichts der andauernden Verbrechen gegen unser Volk, angesichts der Besatzungs-Orgie und der Verweigerung des internationalen Rechts und der Unterstützung der Amerikaner und des Westens, haben wir beschlossen, dem ein Ende zu setzen», verkündet Deif mit ruhiger Stimme im Video. «Nur so begreift der Feind, dass er sich nicht weiter in Sicherheit wiegen kann, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.»
Deifs Plan ist aufgegangen. Bisher sind 700 Israelis und über 400 Palästinenser getötet werden. Tausende wurden verletzt, möglicherweise Hunderte entführt. Der Terroranschlag wird bereits mit dem Angriff aus das World Trade Center am 11. September 2001 in New York verglichen. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hat den Kriegszustand ausgerufen.
Die Hamas hat damit genau das erreicht, was sie beabsichtigt hat. Ein Frieden im Nahen Osten soll auf jeden Fall verhindert werden, koste es, was es wolle. Deif ist der charismatische Anführer, der dieses Ziel erreichen will. «Er ist so etwas wie eine heilige Figur und innerhalb der Hamas und bei den Palästinensern sehr respektiert», sagt Mkhaimaar Abusada, Politologie-Professor an der Al-Azhar University in Gaza.
Der Kopf des militärischen Flügels verfolgt dieses Ziel ohne Rücksicht auf Verluste. Das in den Neunzigerjahren ausgehandelte Friedensabkommen von Oslo – es sieht eine Zweistaaten-Lösung vor – ist in seinen Augen Verrat. «Deif hat versucht, eine Art zweiten Krieg gegen Israel zu entfachen» erklärt Eyal Rosen, ein General der israelischen Armee gegenüber der «Financial Times». «Er will Israel in kleinen Schritten vernichten. Das ist der erste Schritt.»
Ohne Hilfe des Irans wäre dieser Schritt nicht möglich gewesen. Das «Wall Street Journal» meldet, dass iranische Sicherheitsexperten bei der Planung des Anschlags geholfen und die Ayatollahs in Teheran ihn abgesegnet haben. Offiziell wird dies von der Hamas und der iranischen Regierung zwar dementiert, doch das «Wall Street Journal» will erfahren haben, dass Mitglieder der Revolutionsgarde schon seit dem August die Hamas-Kämpfer geschult haben. «Ein Anschlag von diesen Ausmassen durchzuführen, war nach monatelangem Drill und in Zusammenarbeit mit dem Iran möglich», erklärt Lina Khatib von der University of London.
Der Iran ist der Todfeind Israels. Wie die Hamas will er die Vernichtung des jüdischen Staates. Deshalb war die Entwicklung im Nahen Osten der letzten Jahre alles andere als im Sinn der Ayatollahs. Die Region war so friedlich wie schon lange nicht mehr. Mit dem Abraham-Abkommen, einem Friedensvertrag zwischen Israel und vier arabischen Ländern, wurde ein wichtiger Schritt hin zu einer Normalisierung unternommen.
Noch vor einem Monat war dem «Economist» die wundersame Friedensentwicklung im Nahen Osten eine Titelgeschichte wert. Jake Sullivan, der amerikanische Sicherheitsberater, erklärte vor einer Woche: «So ruhig wie heute war die Region des Nahen Ostens seit Jahren nicht.»
Und es hätte noch viel besser kommen können. Unter amerikanischer Führung verhandelten Israel und Saudi-Arabien einen Friedensvertrag, der im besten Fall gar die leidige Palästinenserfrage hätte lösen können. Thomas Friedman schreibt dazu in der «New York Times»: «Ein US-Saudi-Israel-Deal wäre ein diplomatisches Erdbeben gewesen. Es hätte mit grösster Wahrscheinlichkeit Netanjahu gezwungen, sich von den extremsten Mitgliedern seiner Regierung zu trennen. Im Gegenzug hätte er eine Allianz des jüdischen Staates und den von Sunniten regierten Staaten im Persischen Golf gegen den Iran erhalten.»
Der Saudi-Deal ist nun auf Eis gelegt. Dabei hätte er auch die Extremisten in der israelischen Regierung ins Abseits gestellt, vor allem die beiden jüdischen Hassprediger Itama Ben-Gvir – er ist Minister für nationale Sicherheit – und Finanzminister Bezalel Smotrich. Beide fordern einen jüdischen Apartheid-Staat und die Vertreibung der Palästinenser von der Westbank.
Der Terroranschlag der Hamas hat die Karten wieder neu gemischt. Gewinner sind die Extremisten in allen Lagern. Ein Deal mit den Saudis ist in weite Ferne gerückt, eine Aussöhnung mit den Palästinensern undenkbar geworden. «Es wird keinen Waffenstillstand geben, nur Vergeltung», erklärt ein hoher israelischer Beamter.
Und das wirklich erschreckende daran: Genau dies ist im Sinne der Führung auf beiden Seiten.
Wahnsinn.
Iranische Zuschauer haben übrigens gestern an einem Fussballspiel, wo Flaggen Palästinas präsentiert wurden, mit Sprechchören reagiert: „Steckt euch die palästinensischen Flaggen in den Hintern“.
WTF, SVP?!