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Israel: Augenzeugen berichten über Hamas-Massaker an Musikfestival

«Als wäre es ein Schiessstand»: Augenzeugen berichten über Hamas-Massaker an Musikfestival

Mindestens 260 Menschen wurden beim Hamas-Angriff auf ein Musikfestival in Israel getötet. Augenzeugenberichte und neue Drohnenaufnahmen verdeutlichen die schockierenden Dimensionen des Terrors.
09.10.2023, 11:5009.10.2023, 14:50
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Kein Ereignis versinnbildlicht den überraschenden Grossangriff der radikalislamischen Hamas und die Überrumplung Israels bisher so wie die Attacke auf das Nova-Musikfestival, das in Grenznähe zu Palästina stattfand: Tausende junge Menschen feierten und tanzten, zelebrierten den jüdischen Feiertag Sukkot – und wurden dann aus dem Nichts Opfer von tödlichen Schüssen.

In den sozialen Medien kursieren zahlreiche Videos, die eine Vorstellung davon geben, was sich am Samstag in den frühen Morgenstunden zugetragen hat. Mehrere Augenzeugen haben zudem mittlerweile mit verschiedenen Medien über das Erlebte gesprochen. Eine Übersicht über die schockierenden Schilderungen.

«Als wäre es ein Schiessstand»

Eine Festival-Besucherin beschrieb gegenüber dem US-Sender CNN die Geschehnisse. Laut Tal Gibly habe der Raketenbeschuss um 6.30 Uhr in der Früh begonnen. Rund dreissig Minuten später rannten sie und Hunderte andere Besucher um ihr Leben, als die bewaffneten Angreifer auftauchten. Die Besuchenden seien daraufhin in Panik geraten und hätten versucht, Hals über Kopf zu flüchten, so Gibly.

«Wir konnten uns nicht einmal verstecken, weil wir uns auf einem offenen Platz befanden.»

Weil viele Teilnehmer mit ihren Autos zu flüchten versuchten, hätten sich die Strassen verstopft und niemand sei mehr fortgekommen, so Gibly. Ab da seien die ersten Schüsse gefallen.

In diesem Moment, so Gibly, gerieten sie und ihre Freunde in Panik, verliessen das Auto und begannen zu rennen. Sie sei in den Wald gerannt und schliesslich in ein anderes Auto gestiegen, das vorbeigefahren sei, so die junge Frau.

Videos zeigen, wie die Besucherinnen und Besucher flüchten, während im Hintergrund bereits Schüsse zu hören sind:

Gibly berichtet weiter, sie habe am Strassenrand zahlreiche Tote und Verletzte gesehen. Eine Szene sei ihr besonders im Gedächtnis geblieben: ein Konzertbesucher, der ausserhalb eines Lieferwagens erschossen worden sei, und ein weiterer Toter auf dem Beifahrersitz des Fahrzeugs.

«Es war so schrecklich und wir wussten nicht, wohin wir fahren sollten, um nicht auf diese bösen (...) Menschen zu treffen», sagte sie. Und weiter:

«Ich habe viele Freunde, die sich stundenlang im Wald verirrt haben und dann erschossen wurden, als wäre es ein Schiessstand.»

Gibly versuche immer noch, mit ihren Freunden, die ebenfalls auf dem Konzert waren, in Kontakt zu kommen. Sie sagt, sie wisse nicht, ob andere überlebt hätten, gefangen genommen worden seien oder Schlimmeres.

Zeitgleich mit dem Angriff auf das Festival wurden auch israelische Streitkräfte, die nur gut drei Kilometer vom Festivalgelände entfernt stationiert waren, von den Hamas-Kämpfern angegriffen. Auf Videos, die Gibly aufgenommen hat, ist gemäss CNN ein israelisches Militärfahrzeug zu sehen, das gegen den Verkehrsfluss fährt. Israelische Soldaten sind wenige Kilometer entfernt ebenfalls angegriffen worden. Im Video ist jemand zu hören, der schreit: «Vorwärts! Vorwärts! Fahr vorwärts!»

«Sie fingen an, in die Büsche zu schiessen»

Eine andere Besucherin schilderte gegenüber der BBC, wie sie den Terror erlebt hat und wie sie ihm entkommen ist. «Etwa 50 Terroristen kamen nach dem Raketenalarm mit Transportern angefahren, sie waren in Militäruniformen gekleidet.» Laut der Festivalbesucherin hätten die Angreifer auf alles geschossen, was sich bewegte habe – sowohl auf die Menschen, die in den Autos flohen als auch auf jene, die sich zu verstecken versuchten. «Ich versteckte mich hinter einem Baum und ich sah, wie sie einfach anfingen, in die Büsche zu schiessen.» Viele Menschen seien dabei verwundet oder getötet worden.

Sie selbst habe sich stundenlang in den Büschen und in nahegelegenen Obstgärten versteckt. «Ich habe das Telefon auf stumm geschaltet und bin vorsichtig in einen Orangenhain gekrochen.» Nach mehreren Stunden des Ausharrens habe sie die Stimmen israelischer Soldaten gehört und konnte sich daraufhin in Sicherheit bringen.

«Ich konnte meine Beine nicht bewegen und stellte mich tot»

Auch Esther Borochov gehörte zu den Festivalbesuchern. Sie schilderte ihre Flucht vom Gelände der Nachrichtenagentur Reuters. Borochov versuchte zuerst mit ihrem eigenen Auto zu fliehen. Dieses wurde aber im Chaos gerammt und wurde fahrunfähig.

Ein junger Mann wollte sie daraufhin in seinem Auto mitnehmen – dann seien die Angreifer aufgetaucht und hätten diesen aus nächster Nähe erschossen. Borochov wurde bei der Attacke ebenfalls verletzt, wie sie im Spital gegenüber Reuters sagte.

«Ich konnte meine Beine nicht mehr bewegen und stellte mich tot.»

Die Strategie ging glücklicherweise auf – Borochov konnte im Anschluss durch das israelische Militär gerettet und versorgt werden.

«Es war ein Massaker»

Yaniv, der als Notfallsanitäter am Festival arbeitete, beschreibt die Geschehnisse gegenüber dem israelischen Newsportal Kan News so: «Sie können sich nicht vorstellen, wie es war. Es war ein Massaker. Das war ein geplanter Hinterhalt. »

«Als die Leute aus den Notausgängen kamen, warteten dort Terroristentrupps auf sie und begannen die Menschen aufzuspüren und zu töten.»

Laut Yaniv seien alle seine Teamkollegen aus dem Sanitätsteam getötet worden. «Jeder war an einem anderen Ort. Einer entschied entgegen den Vorschriften, mit dem Krankenwagen loszufahren, um Erste Hilfe zu leisten. Ihm wurde in den Kopf geschossen.»

Er selbst sei entkommen – allerdings nur mit viel Glück. «Ich befand mich mittendrin, aber ich konnte in einen Obstgarten flüchten.» Dort habe er sich während dreier Stunden unter einem Orangenbaum versteckt, dann seien die israelischen Truppen eingetroffen.

«Frauen wurden neben den Leichen ihrer Freunde vergewaltigt»

Einen ebenfalls schockierenden Augenzeugenbericht hat das jüdisch-konservative US-Magazin Tabletmag publiziert. Ein anonymer Überlebender schildert, wie er gesehen habe, wie Frauen auf dem Festivalgelände von den Angreifern vergewaltigt worden seien. «Sie wurden neben den Leichen ihrer Freunde vergewaltigt. Und viele später selbst hingerichtet.»

Ein weiterer Zeuge berichtet, wie er nach dem Angriff auf das Gelände zurückgekehrt sei, um nach seinen Freunden zu suchen. Ihm bot sich ein Bild des Horrors – er erzählt von zahlreichen spärlich bekleideten und verstümmelten Leichen, die aus nächster Nähe erschossen worden seien.

Ausländische Opfer und mehrere Vermisste

Noch immer werden mehrere Konzertbesucherinnen und -besucher vermisst. Die Hamas-Kämpfer nahmen am Musikfestival auch Geiseln und verschleppten diese mutmasslich in den Gaza-Streifen.

Unter den Vermissten sind auch mehrere ausländische Staatsangehörige. Bereits seit dem Wochenende ist bekannt, dass die 30-jährige Deutsche Shani Louk zu den Opfern gehört, auch der 26-jährige Brite Jake Marlowe, der als Sicherheitskraft am Festival arbeitete, gehört zu den Vermissten. Ebenfalls unklar ist, wo sich Hersh Goldberg-Polin befindet, ein 23-jähriger amerikanisch-israelischer Doppelbürger. Der junge Mann war am Festival, um seinen Geburtstag zu feiern.

Drohnenaufnahmen zeigen Festivalgelände nach Attacke

Das Ausmass des Überfalls und das Chaos auf dem Festivalgelände wird durch neu publizierte Drohnenaufnahmen unterstrichen. Ein Video der internationalen Nachrichtenagentur BNO zeigt, wie das Gelände am Tag nach dem Angriff aussah. So sind beispielsweise die verlassenen und beschädigten Autos der Festivalbesuchenden sowie Infrastruktur, die von den Angreifern zerstört wurde, zu sehen.

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136 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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H.P. Liebling
09.10.2023 12:38registriert September 2018
Die HAMAS dürften sich (hoffentlich) endlich auch die letzten Sympathien verspielt haben. Mir tun v.a. die normalen Menschen in der Region leid, die jetzt die volle Härte von Israels Militär zu spüren bekommen werden.
1992
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cereza
09.10.2023 12:18registriert Februar 2023
Angesichts dieser barbarischen Attacke, frage ich mich, wo eigentlich der Unterschied zwischen Hamas und Daesh liegt.
1396
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Palpatine
09.10.2023 12:58registriert August 2018
Unglaublich. Barbarisch. Mir fehlen ansonsten die Worte...
1052
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