Es waren bange Stunden des Wartens: Am Freitag zuerst die bunkerbrechenden Bomben auf einen Wohnblock in Beirut und dann die israelische Erklärung, man habe versucht, den Chef der schiitischen Terrororganisation Hisbollah (Partei Gottes) zu eliminieren.
Erst am Samstag bestätigten sowohl die Hisbollah als auch die israelischen Streitkräfte, dass Hassan Nasrallah bei dem Luftangriff tatsächlich getötet worden sei. Damit findet die 32-jährige Ära des Chefterroristen und wichtigsten Alliierten des iranischen Regimes im Nahen Osten ein Ende.
Nasrallahs Tod kommt nach den für ihn und seine Organisation unrühmlichen Attacken mittels präparierter Pager, die nicht nur viele hundert Hisbollah-Kader verwundeten, sondern die Kommunikation der Terroristen schädigten und die schiitischen Islamisten zum Gespött vieler sunnitischer Araber in der Region werden liess. Innerhalb kürzester Zeit konnten die Israeli ausserdem praktisch die ganze Führungsspitze der Hisbollah ins Jenseits befördern.
We searched up “dismantled” on the internet, this is the picture that came up: pic.twitter.com/C5p3jmhwIZ
— Israel Defense Forces (@IDF) September 28, 2024
Das lässt vermuten, dass der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad die Hisbollah jahrelang unterwanderte und ausspionierte. Das Debakel mit den Pagern – und danach mit präparierten Handfunkgeräten – dürfte die Hisbollah-Mitglieder dazu verführt haben, weniger sichere Kommunikationsmittel zu verwenden. Diese wiederum konnten die Israeli abhören und sich damit noch mehr Informationen über Stützpunkte, Waffenlager oder wichtige Treffen der Hisbollah-Führung beschaffen.
Das sind harte, äusserst harte Schläge für die libanesischen Terroristen, aber sie bedeuten nicht das Ende der Geschichte. 1992 rückte Nasrallah an die Hisbollah-Spitze, nachdem ein israelischer Helikopter seinen Vorgänger Abbas al-Musawi getötet hatte. Musawi amtierte als erster Generalsekretär der vom Iran gegründeten Schiiten-Bewegung, und er war mitverantwortlich für die Anschläge auf westliche Truppen in Beirut 1983. Dabei wurden fast 300 amerikanische und französische Soldaten getötet. Es handelte sich dabei um die Geburt des Selbstmordanschlags im Nahen Osten.
Musawi hat die Hisbollah nur für kurze Zeit geprägt. Nasrallah dagegen hielt sich mehr als drei Jahrzehnte an der Macht und wurde nicht nur zum wichtigsten Verbündeten des iranischen Regimes, sondern auch zu einem geschätzten Berater des iranischen Revolutionsführers Chamenei. Der Tod des Oberterroristen ist deshalb nicht nur ein herber Gesichtsverlust für die Mullahs, sondern er schwächt die stärkste Schiitenmiliz ausserhalb Irans.
Viel ist jetzt in den Medien von einer drohenden Eskalation die Rede. Die jüngsten Ereignisse im Libanon offenbaren allerdings vor allem die militärische Schwäche der schiitischen «Achse des Widerstands». Weder der Iran noch die Hisbollah verfügen über eine nennenswerte Luftwaffe. Mit den Raketen- und Drohnenattacken im April – als Antwort auf einen israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus – hat sich Teheran im In- und Ausland regelrecht blamiert.
Vielleicht hat Iran deshalb auch (noch) nicht auf die im Juli erfolgte Tötung des Hamas-Anführers Ismail Hanija in Teheran reagiert. Auch die Raketen- und Drohnenstreitkräfte der Hisbollah haben in den letzten Tagen in Israel fast nur Luftalarme ausgelöst, ohne aber grössere Schäden anzurichten.
Die meisten Geschosse und Flugobjekte werden von israelischen Abwehrlenkwaffen wie Iron Dome, Arrow oder David's Sling abgefangen. Einige Raketen der Hisbollah gingen kürzlich in der kleinen nordisraelischen Stadt Safed nieder. Dort ist das Kommando Nord der israelischen Streitkräfte stationiert.
Mit den Truppen im Norden hat Jerusalem eine Drohkulisse für eine Bodeninvasion im Südlibanon aufgebaut. Dazu wurden auch Einheiten aus dem Gaza-Streifen abgezogen. Das wurde möglich, weil dort die Hamas nur noch ein Schatten ihrer selbst ist – nicht zuletzt auch deshalb, weil sie durch die Zerstörung ihrer Nachschubtunnels die Verbindung ins benachbarte Ägypten grösstenteils verloren hat.
Natürlich ist die Freude in Israel über Nasrallahs Ableben riesig. Getrübt wird sie höchstens durch die Unsicherheit, was nun geschehen könnte. Auch in den benachbarten arabischen Staaten, die mehrheitlich sunnitisch geprägt sind, wurde teilweise gefeiert.
Who is celebrating the death of Hezbollah's Nasrallah?
— Elica Le Bon الیکا ل بن (@elicalebon) September 28, 2024
Iranians
Syrians
Lebanese (Maronites & others)
Israelis
Who is crying?
Tom Wolford from West London who runs The Daily Lie 4 Jihad. pic.twitter.com/VwBWmEkEfH
In den von Rebellen kontrollierten Gebieten in Nordwest-Syrien, verteilten Männer Süssigkeiten auf den Strassen. Viele dem syrischen Assad-Regime gegenüber kritisch eingestellte Araber erinnern sich noch gut, wie die schiitischen Kämpfer aus dem Libanon in den syrischen Bürgerkrieg eingriffen. Die Hisbollah bewahrte den blutrünstigen Diktator Assad damals vor dem Sturz.
Auch im Libanon, wo die Hisbollah einen mächtigen Staat im Staat aufgebaut hat, sind nicht alle traurig. Die libanesische Bevölkerung verteilt sich fast gleichmässig auf sunnitische, schiitische und christliche Glaubensgemeinschaften. Der Hass auf die Hisbollah ist bei den Sunniten und Christen besonders gross. Viele Libanesen glauben auch, dass die Schiitenmiliz und ihre syrischen Helfer hinter der verheerenden Explosion stecken, die 2020 den Hafen von Beirut und ganze Stadtteile verwüstete.
Anders als die Hamas, die immer noch auf viel Unterstützung im Gaza-Streifen und im Westjordanland zählen kann, ist die Hisbollah im Libanon nur in Teilen Beiruts, im Süden und in der nordöstlichen Bekaa-Ebene populär – also in den wichtigsten Siedlungsgebieten der libanesischen Schiiten.
Innerhalb Israels ist die Stimmung gegenüber der Hisbollah anders als gegenüber der sunnitischen Hamas: Die Hamas hält immer noch eine grosse Zahl israelischer Geiseln gefangen. Die israelische Öffentlichkeit ist deshalb in der Frage des militärischen Vorgehens gegenüber dieser Terrororganisation gespalten.
Bei der Hisbollah trifft das nicht zu, denn sie verfügt über keine Geiseln: Die meisten Israeli befürworten harte militärische Schläge gegen Ziele im Libanon, denn sie wollen, dass die mehr als 63'000 Zivilisten, die wegen Hisbollah-Raketen aus Nordisrael flüchten mussten, endlich in ihre Dörfer nahe der libanesischen Grenze zurückkehren können.
Jerusalem fordert in diesem Zusammenhang – und in Einklang mit der Uno-Resolution 1701 aus dem Jahr 2006 – den Rückzug der Schiitenmiliz aus dem Südlibanon bis hinter den Litani-Fluss. Dieser liegt 25 bis 30 Kilometer von der libanesisch-israelischen Demarkationslinie entfernt. Sollte die Hisbollah dem nachkommen, wären die Dörfer und Farmen in Nordisrael vor den meisten Raketen der Terroristen sicher.
Zur Unterstützung der Hamas hat die Hisbollah seit dem 8. Oktober 2023 laut Angaben aus Jerusalem mehr als 9300 Geschosse auf Israel abgefeuert und damit 49 Menschen getötet und über 370 verwundet. Die Terrororganisation hat nach dem Tod ihres Anführers aber angekündigt, diese Angriffe fortzuführen. (aargauerzeitung.ch)
Darauf deutet in der Tat sehr vieles hin.