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USA: Seien wir froh, dass Joe Biden so alt ist

U.S. President Joe Biden pauses during a meeting with Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu to discuss the war between Israel and Hamas, in Tel Aviv, Israel, Wednesday, Oct. 18, 2023. (Miriam Alst ...
Bild: keystone
Analyse

Seien wir froh, dass Joe Biden so alt ist

Dank seiner Erfahrung findet er im Nahostkonflikt den richtigen Ton.
19.10.2023, 18:1620.10.2023, 07:29
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Dass der Präsident der Vereinigten Staaten in ein Kriegsgebiet reist, ist alles andere als selbstverständlich. Joe Biden hat dies nun bereits zum zweiten Mal getan. Nach einer Stippvisite in Kiew hat er jetzt auch Israel besucht. Beide Male waren Bidens Auftritte ein voller Erfolg.

«Es war ein aussergewöhnlicher Moment in Biden Amtszeit», schreibt die «Washington Post». «Der 80-jährige Präsident landete inmitten einer Region, die von Gewalt und Chaos auseinander gerissen wird, in der Absicht, Amerikas Loyalität unter Beweis zu stellen, die Kriegstreiber zu warnen, und vielleicht auch seine Fitness unter Beweis zu stellen.»

Erinnerungen an Golda Meir

Biden fand sofort den richtigen Ton. Gegenüber den Israeli erinnerte er an die legendäre Ministerpräsidentin Golda Meir, die er als junger Senator noch persönlich gekannt hat. «Sie sagte mir: Weshalb schauen Sie so besorgt in die Welt, Senator Biden? Wir machen uns keine Sorgen. Wir Israeli haben eine Geheimwaffe: Wir können nirgendwo anders hin.»

Als Präsident hat Biden nun die passende Antwort auf die Frage von Meir gefunden. «Heute kann ich zu Israel sagen: Die Vereinigten Staaten werden ebenfalls nirgendwo hingehen. Wir werden mit Euch gehen. Wir gehen in diesen dunklen Tagen an Eurer Seite. Wir werden auch an den besseren Tagen mit Euch sein – und diese werden wieder kommen.»

Biden tröstete nicht nur, er sprach auch deutliche Warnungen aus. «Don’t!», erklärte er unmissverständlich an die Adresse der Hisbollah und des Irans, sollten die mit dem Gedanken spielen, in den Konflikt einzugreifen. Und in Anlehnung an das legendäre Zitat von Theodore Roosevelt: «Speak softly, but carry a big stick» (Sprich leise, aber trage einen grossen Knüppel bei dir) beorderte der US-Präsident gleich zwei Flugzeugträger ins Mittelmeer.

Schliesslich machte Biden auch klar, dass er den Israeli Glauben schenkt, dass nicht sie, sondern die Palästinenser selbst das Spital im Gazastreifen bombardiert hätten.

Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu, second right, confers with Defense Minister Yoav Gallant, right, during their meeting with U.S. President Joe Biden, left, to discuss the war between Israel  ...
Joe Biden im Gespräch mit Benjamin Netanjahu und Yoav Gallant, dem israelischen Verteidigungsminister.Bild: keystone

Doch auch Benjamin Netanjahu & Co. mussten Kritik einstecken. Kaum verhüllt deutete Biden an, dass er eine Bodenoffensive in den Gazastreifen für keine gute Idee hält. Er erinnerte an die Tage nach dem Terrorangriff auf die Türme des Word Trade Centers in New York am 11. September 2001. Damals hätten die USA aus Wut gehandelt und Rache geübt, so Biden selbstkritisch, und das habe sich nachträglich als Fehler erwiesen.

Tatsächlich ist eine Bodenoffensive militärisch extrem schwierig durchzuführen und würde grosse Opfer auf beiden Seiten kosten, wahrscheinlich auch zivile. Und selbst wenn diese Offensive von Erfolg gekrönt sein sollte: Was dann?

Biden spricht wieder von der Zweistaaten-Lösung

«Es existiert keine alternative Autorität», stellt der erfahrene Aussenpolitiker Richard Haass in «Foreign Affairs» fest. «Der palästinischen Regierung, die in der Westbank an der Macht ist, fehlt es an Legitimität. Keine arabische Regierung wird in die Lücke springen und die Verantwortung für den Gazastreifen übernehmen. Deshalb würde eine Kopie der Hamas rasch entstehen, wie das schon 2005 der Fall war, als sich Israel aus dem Gazastreifen zurückzog.»

Sehr überraschend brachte Biden deshalb die Zweitstaaten-Lösung wieder aufs Tapet. Den Plan, den Palästinensern einen eigenen Staat zu gewähren, halten die meisten für mausetot. Der US-Präsident indes ist nach wie vor überzeugt, dass nur auf diese Weise langfristig ein Frieden in dieser von Terror und Hass gebeutelten Region erreicht werden kann.

Innenpolitisch muss Biden ebenfalls eine Gratwanderung absolvieren. Die Republikaner lauern auf jeden noch so kleinen Fehltritt. Doch auch in den eigenen Reihen ist Kritik an Israel nicht mehr tabu. Die rechtspopulistische Regierung Netanjahus hat in den liberalen Kreisen Amerikas – auch bei den Juden – sehr viel Geschirr zerbrochen. Deshalb haben 55 demokratische Abgeordnete in einem Brief gefordert, dass die Blockade gegen den Gazastreifen aufgehoben werden soll. Dieser Forderung konnte Biden nachkommen. Er hat erreicht, dass nun Hilfsgüter in der Höhe von 100 Millionen Dollar via Ägypten nach Gaza geliefert werden dürfen.

Die neue «Achse des Bösen»

Der Konflikt ist nicht auf den Nahen Osten beschränkt. Er zeigt einmal mehr, dass geopolitisch eine neue «Achse des Bösen» entstanden ist. Dieser Begriff entstand im Nachgang des 11. Septembers 2001. Damals fasste die Regierung von George W. Bush darunter die Staaten Iran, Irak und Nordkorea zusammen.

Die neue «Achse des Bösen» bilden Russland, China und der Iran, mit Nordkorea als Hilfskraft. Sie alle verbindet das gleiche Ziel: Die USA als Supermacht zu Fall zu bringen. «Die Vereinigten Staaten sind mit der grössten Sicherheitsbedrohung seit Jahrzehnten konfrontiert, vielleicht sogar seit jeher», stellt der ehemalige amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates ebenfalls in «Foreign Affairs» fest. «Noch nie standen sie gleich vier verbündeten Antagonisten – Russland, China, Nordkorea und dem Iran – gleichzeitig gegenüber, deren nukleares Arsenal rund doppelt so gross ist wie das eigene.»

Für Russland und China ist der Nahostkonflikt ein weiterer Mosaikstein in ihrem Plan, die amerikanische Macht zu untergraben. Beide haben bisher das scheussliche Attentat der Hamas nicht verurteilt. Beide wollen die Gelegenheit nutzen, die Polarisierung zwischen dem liberalen Westen und den autoritären Staaten wie Russland zu verstärken.

Dabei versuchen sie auch, ihren Einfluss auf die ehemaligen Entwicklungsländer – heute spricht man vom Globalen Süden – auszudehnen. Diese fühlen sich vom Westen und speziell von den USA seit langem vernachlässigt, teils zu Recht. Diese Ressentiments sollen nun angezapft werden. Hanna Notte vom James Martin Center, einem Thinktank, erklärt daher in der «New York Times»: «Die USA stehen auf der Seite Israels, das als Besatzungsmacht dargestellt wird. Das will Russland ausnützen.»

In einer Grundsatzrede an die Nation will Joe Biden heute die geopolitische Dimension des Nahostkonflikts betonen und einmal mehr deutlich machen, dass wir derzeit – ob im Nahen Osten, der Ukraine oder in Taiwan – vor der entscheidenden geopolitischen Weggabelung dieses Jahrhunderts stehen: Können wir die liberale Ordnung des Westens erhalten, oder tragen die autoritären Staaten der neuen «Achse des Bösen» den Sieg davon?

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123 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gurgelhals
19.10.2023 18:52registriert Mai 2015
Ich mag Biden wirklich und bin verdammt froh, dass er aktuell Präsident der USA ist.

Ja, er ist ein alter Mann, er spricht wie ein alter Mann und er läuft wie ein alter Mann. Und von Zeit zu Zeit verhaspelt er sich (aber das hat meines Wissens nichts mit seinem Geisteszustand sondern mit seinem Stottern zu tun). Aber wenn sich mal anhört, was er in seinen Reden und Interviews zu sagen hat, dann wird schnell klar: Das ist ein geistig sehr wacher, reflektierter und empathievoller Mensch, der sich vollkommen der übergrossen Verantwortung seines Amts bewusst ist. Und das ist gut so.
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N. Y. P.
19.10.2023 18:39registriert August 2018
Ich persönlich messe Joe an seinen Taten.

Er hält China in Schach.
Er hält Kim in Schach.
Nato Ostflanke mit S und SF verstärkt.
Er hält die Ukraine im Spiel.

Joe, weiter so. Donald und du werden sich noch im tv bekriegen. Da wollen wir dich angriffig sehen.

🇺🇸
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Ruedi crösus
19.10.2023 18:31registriert Juni 2020
Ich hoffe so fest das er noch ein paar Jahre fit bleibt🤞🤞🤞
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