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Argentinien

WM 2022: Südamerika steckt in der Paninikrise

«Panini hat ein Monster erschaffen» – Südamerika steckt tief in der Fussballbilder-Krise

Panini ist Religion – und das ist noch eine Untertreibung. Das zeigt sich gerade in den fussballverrückten Teilen Südamerikas. Dort spielt sich wegen Lieferengpässen gerade ein Drama ab – noch ohne Happy End.
22.09.2022, 15:0723.09.2022, 07:45
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Panini ist Religion. Eine Weltreligion mit vielen Göttern. Fussballgötter, die in Paninisammelheften verewigt sind. Die Gläubigen geben ihr letztes Hemd, um Sticker der Götter zu ergattern.

Doch mit Geld (und dem letzten Hemd) alleine füllt man das Heft in der Regel nicht. Es beginnt ein aufregender – oder anstrengender – Tauschhandel, bis die Fussballbilder-Bibel zumindest mit den beliebtesten Fussballgöttern zugekleistert ist. Und schliesslich nach der WM im verstaubten Keller landet.

Dass diese Dramaturgie nicht übertrieben ist, zeigt sich gerade in einigen Teilen Südamerikas, die tief in der Paninikrise stecken.

«Fussballkleber ‹AUSVERKAUFT› – wir wissen nicht, wann wir neue bekommen». An vielen Schaufenstern in fussballverrückten Ländern wie Brasilien, Argentinien, Urguguay und Co. hängen Schilder wie diese.
«Fussballkleber ‹AUSVERKAUFT› – wir wissen nicht, wann wir neue bekommen». An vielen Schaufenstern in fussballverrückten Ländern wie Brasilien, Argentinien, Urguguay und Co. hängen Schilder wie diese. bild: watson/twitter

1. Akt: Der Paniniwahnsinn

In den ohnehin schon Fussballbegeisterten südamerikanischen Ländern ist die Vorfreude auf die WM gross. Dies bekommen auch die Geschäfte zu spüren, die Paninibilder verkaufen. Oder besser gesagt: verkaufen wollen. Die Geschäfte der grössten Fussballnationen Brasilien, Argentinien und Uruguay wurden nicht mit genügend Klebern beliefert.

«Die Menschen sind verzweifelt. Was sich in Argentinien derzeit abspielt, habe ich noch nie erlebt,» sagt Claudio Páez, der seit 30 Jahren einen Kiosk in Buenos Aires besitzt, gegenüber BBC Brasil. Dasselbe bestätigt ein weiterer Betreiber eines Einzelhändlergeschäfts des Landes. Am ersten offiziellen Verkaufstag habe er 12'000 Packungen in nur 60 Minuten verkauft. Nachschub erfolgt nur etappenweise.

2. Akt: Die Mangellage

Die Mangellage hat Kinder und Fussballfans in einen Krisenmodus versetzt: Wo kann man noch Panini-Packungen kaufen? Sie begeben sich auf die Jagd, stehen Schlange, um letzte Packungen zu ergattern. Es kommt zu Hamsterkäufen. Apps, die Alarm schlagen, sobald die Geschäfte Nachschub erhalten, werden entwickelt.

Neben dem grossen Ansturm gibt es aber noch einen anderen Grund für die Krise – Lieferengpässe.

Alleine in Brasilien habe die örtliche Geschäftsstelle Panini Brasil laut BBC über 400 Beschwerden über fehlende Lieferungen erhalten. Das Unternehmen argumentiert damit, dass es mit logistischen Problemen zu kämpfen hat.

Die Hersteller konnten das Problem bislang nicht beheben.

3. Akt: Der Schleichhandel

Und dies führt zu einem neuen Problem – der Verkauf über den Schwarzmarkt. Wie BBC berichtet, werden die Kleber auf informellen Märkten zu horrenden Preisen angeboten.

Der empfohlene Preis für eine Packung mit je 5 Aufklebern beträgt in Argentinien 150 Pesos (rund 1 Franken). Einige Anbieter verlangen den doppelten, dreifachen oder sogar den sechsfachen Preis. Die Fussballbibel bietet Platz für insgesamt 670 verschiedene Sticker.

Und das in einem Land, das ohnehin schon hart von der Inflation betroffen ist.

Über die Medien wird darum an die Bevölkerung appelliert, nur Paninibilder über offizielle Kanäle zu kaufen. Das Problem: Sobald Kioske und Einzelhändler neu beliefert werden, stürzen sich die Südamerikaner erneut auf die Fussballkleber.

Und: Die offiziellen Verkaufsstellen erhalten pro Woche nur zwischen 25 und 50 Pakete, teilt der Vizepräsident der Kioske mit. Das sei viel zu wenig. Somit können die Schilder «Paninibilder ausverkauft» gleich wieder montiert werden.

Zu deutsch: Es gibt keine WM-Aufkleber - nimm einfach Schlafmittel und warte.
Zu deutsch: Es gibt keine WM-Aufkleber - nimm einfach Schlafmittel und warte.bild: twitter

4. Akt: Die Paniniproteste

Die Bevölkerung ist frustriert. «Es ist zermürbend, keine Kleber zu finden», sagt ein argentinischer Vater von drei Kindern. Jeden Tag, wenn er nach Hause komme, müsse er seine Kinder trösten, weil er keine Aufkleber findet.

Damit ist er nicht alleine. Der Frust der Eltern löste einige Proteste in verschiedenen Städten Argentiniens aus. Sie forderten, dass die Politik gegen die überteuerten Preise vorgehen solle und dass die Fussballnationen bei der Lieferung nicht benachteiligt werden.

Der Ball kommt ein bisschen ins Rollen.

5. Akt: Paniniwahnsinn wird zum Politikum

Die Anliegen der verzweifelten Eltern erreichte Argentiniens Wirtschaftsministerium. Die Regierung traf sich gestern mit Vertretern der Kioske und Direktoren der Firma Panini, um eine Lösung des Panini-Problems zu finden. Auf einen grünen Zweig ist man noch nicht gekommen.

Egal, wie die Krise endet. Für den Kioskbesitzer Páez ist jetzt schon klar: «Panini hat in diesem Jahr ein Monster erschaffen.»

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67 Kommentare
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B. V. Harkonnen
22.09.2022 15:27registriert Oktober 2019
Ehm, oke.........
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Evangelina
22.09.2022 15:33registriert November 2015
Beschämend,.. wenn diese Menschen sich nur so für den Amazonas einsetzen würden
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TommyGun
22.09.2022 16:55registriert Oktober 2020
Schrecklich....und die internationale Staatengemeinschaft schaut einfach bloss tatenlos zu...
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