In knapp zwei Monaten beginnt die WM in Katar. Der Austragungsort steht seit der Vergabe im Dezember 2010 unter starker Kritik. Erst recht, als bekannt wurde, dass bereits über 6500 Menschen bei Bauarbeiten zu den Stadien und der weiteren Infrastruktur ums Leben kamen.
Die FIFA sowie das Organisationskomitee der WM versprachen zwar, dass das Turnier die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter verbessern würde. Doch eine Reportage der englischen Zeitung «Guardian» bewies nun das Gegenteil.
Die Bedingungen der Gastarbeiter sind demnach weiterhin sehr schlecht. Sie schlafen zu fünft oder zu sechst in kleinen Hütten auf einer Farm, die rund 40 Minuten vom Arbeitsplatz entfernt liegt. Keine der Hütten hat ein Fenster, alle waren beim Besuch eng und schmutzig. Bei einigen Stockbetten hingen Tücher, um wenigstens etwas Privatsphäre zu haben. Der Reporter schreibt: «Das Lager ist so verwahrlost wie kein anderes, das ich in den neun Jahren meiner Berichterstattung aus Katar gesehen habe.»
Auch die «Standards für das Wohlergehen der Arbeiter», welche für Angestellte im Zusammenhang mit der WM gelten sollten, würden nicht wirklich beachtet, wie mehrere Arbeiter berichteten. Vermittler in Bangladesch, Nepal und Indien kassierten illegale Gebühren, damit sie den Arbeitern die Stellen beschaffen. Ein Arbeiter aus Bangladesch sagte, er habe umgerechnet fast 3000 Franken bezahlt. Nur schon, um diese Summe wieder einzufahren, müsse er ein Jahr arbeiten.
Die meisten von der englischen Zeitung interviewten Arbeiter verdienen monatlich knapp 250 Franken. Für Essen und Unterkunft sorgt ihr Arbeitgeber Al Sulaiteen Agricultural & Industrial Complex (SAIC).
Es ist der gesetzlich festgelegte Mindestlohn in Katar. Doch die Arbeiter haben aufgrund der Einstellungsgebühr und den damit verbundenen Schulden Probleme, ihren Familien Geld zu senden. «Das Gehalt ist sehr tief und das macht es sehr schwierig. So viel könnte ich auch in Indien verdienen», sagt einer der Arbeiter. Das Problem ist nur: Er kann seinen Job nicht wechseln. Obwohl Katar im Jahr 2020 ein neues Gesetz verabschiedete, welches das Kafala-System verbieten sollte.
Doch noch immer sagen die Arbeiter, dass ihr Arbeitgeber sich weigere, sie freizugeben. «Um den Job zu wechseln, müsste man nach Hause gehen, sein Visum aufgeben und ein neues beantragen.» Ein Arbeiter lacht über den Vorschlag: «Wenn wir unsere Stelle wechseln könnten, würden wir alle gehen.» Das Organisationskomitee der WM teilt mit: «Wir wissen, dass die SAIC-Beschäftigten weiterhin mit Herausforderungen seitens ihrer Arbeitgeber konfrontiert sein können.» Die Arbeiter sollen sich bei einer Beschwerde-Hotline melden.
Fussball gespielt wird im Winter, weil die Thermometer in Katar im Sommer auf bis zu 50 Grad steigen – im Schatten. Geschuftet wird trotzdem, obwohl die Arbeiter sagen, dass die Bedingungen ab sieben Uhr morgens nicht mehr auszuhalten seien. Ein vom «Guardian» befragter Arbeiter wusste nicht, dass er bei einem WM-Stadion arbeiten würde, als er nach Katar kam. Doch es schien ihn auch nicht zu interessieren: «Ich freue mich nicht auf die WM. Ich denke nicht, dass wir überhaupt ins Stadion gehen dürfen.»
Ihn beschäftigt einzig sein Gehalt. Aber dieses reiche kaum aus, um seine Familie zu versorgen. «Katar ist ein reiches Land, aber sie bezahlen so wenig für unsere Arbeit.» Die WM-Verantwortlichen im Land sagen, dass sie ihrer Verpflichtung zu dauerhaften sozialen Veränderungen für die Arbeiter sowie Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen nachkämen. Sie hätten eine Reihe von Massnahmen ergriffen. Wie zum Beispiel die Verbesserung der Unterkünfte, die Arbeiter weniger Hitze auszusetzen oder die Einführung eines Mindestlohns.
Ausserdem würden «individuelle Fälle von Fehlverhalten kein vollständiges Bild von den Veränderungen in Katar zeichnen». Die FIFA fügte an, dass sie in Kontakt mit dem Organisationskomitee vor Ort stand und sie auf weitreichende Arbeitsreformen, welche für alle Firmen und Projekte in Katar gelten und alle Arbeiter betreffen sollen, gedrängt hätten. Die Reportage des «Guardian» zeigt nun, dass die Gastarbeiter selbst noch nicht viel davon spüren. (nih)