Am Sitz der Europäischen Union in Brüssel sind wieder einmal «Schicksalstage» angesagt. Am Freitag und Samstag tagen die 27 Staats- und Regierungschefs erstmals seit Monaten nicht in Form einer Videokonferenz, sondern persönlich. Es geht um die Frage, wie den von der Coronakrise besonders hart getroffenen Ländern am besten geholfen wird.
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Die Auflagen sind wegen der Pandemie strikt: Verhandelt wird in einem extra grossen Konferenzraum, mit viel Abstand zueinander. Es gibt eine spezielle Lüftungsanlage, der Saal wird in jeder Pause gereinigt. Nur wenige Mitarbeiter sind zugelassen, die Medien dürfen nicht ins Konferenzgebäude. Immerhin soll es täglich eine Pressekonferenz geben.
Um Geld. Sehr viel Geld. Da ist einmal das EU-Budget für die nächsten sieben Jahre im Umfang von rund einer Billion Euro (die mit den zwölf Nullen). Ein erster Gipfel zu diesem Thema war im Februar gescheitert. Gestritten wird nicht zuletzt über die Frage, wie die Lücke gefüllt wird, die der gewichtige Nettozahler Grossbritannien hinterlässt.
Nun sorgt die von der Corona-Pandemie verursachte Wirtschaftskrise für zusätzlichen Handlungsbedarf. Die EU-Kommission schlägt einen Aufbaufonds von 750 Milliarden Euro vor. 500 Milliarden sollen als Subventionen und 250 Milliarden als Kredite vergeben werden. Dafür will die EU gemeinsame Schulden aufnehmen, was einem Tabubruch gleichkommt.
Der grösste Widerstand kommt von den Niederlanden, Österreich, Dänemark und Schweden, die sich als die «sparsamen Vier» bezeichnen. Kritiker nennen sie die «Geizigen». Als Wortführer und treibende Kraft gilt der rechtsliberale niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. Er ist nicht gegen den Fonds, stellt aber Bedingungen.
So soll das Geld nur in Form von rückzahlbaren Krediten ausbezahlt werden, trotz des bestehenden Schuldenproblems. Es soll mit Reformauflagen etwa des Arbeitsmarkts und der Altersvorsorge verknüpft werden. Rutte steht dabei unter Druck der EU-Skeptiker in seinem Land. «Kein Cent nach Italien!», fordert etwa der Rechtspopulist Geert Wilders.
Ein Veto könnte auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban einlegen, aus einem ganz anderen Grund. Er will genügend Geld für sein Land herausholen. Und er will verhindern, dass die Zahlungen mit Bedingungen in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verknüpft werden, die auf seinen autoritären Regierungsstil zielen.
Die als «Verschwender» angeprangerten Italiener wehren sich. Ministerpräsident Giuseppe Conte verweist darauf, dass sein Land seit Jahren Primärüberschüsse im Haushalt erzielt. Die Zinsen für die «Altschulden» sorgen dafür, dass Italien nicht aus der Abwärtsspirale herauskommt. Allerdings ist die Skepsis gegenüber dem Reformwillen nicht unbegründet.
So hat die frühere Regierung aus Lega und Fünfsterne-Bewegung das Rentenalter gesenkt und einen «Bürgerlohn» eingeführt und damit die Länder im Norden verärgert. Nun verspricht der Regierungschef eine grosse Reform, die unter anderem auf die ineffiziente Bürokratie zielt. Er steht dabei auch unter Druck der eigenen Wirtschaft.
Im Grundsatz sind alle für das Corona-Paket, denn auch die «sparsamen Vier» sind als exportstarke Länder auf einen funktionierenden Binnenmarkt angewiesen. Über die Ausgestaltung und den Umfang aber dürfte in Brüssel heftig gestritten werden.
Spielraum ist vorhanden. So hatten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron ursprünglich einen Fonds von 500 Milliarden vorgeschlagen. Die EU-Kommission stockte ihn auf 750 Milliarden auf.
Den Lead beim Treffen hat EU-Ratspräsident Charles Michel. Doch der frühere belgische Regierungschef hat beim gescheiterten Gipfel im Februar eine schwache Figur abgegeben. Seither habe er sich gesteigert, attestieren ihm Beobachter, doch alle Augen sind auf Angela Merkel gerichtet, die am Freitag ihren 66. Geburtstag feiert.
Deutschland hat am 1. Juli für ein halbes Jahr den EU-Ratsvorsitz übernommen und ist das wirtschaftlich stärkste Mitgliedsland. Vor allem aber hat Merkel im Herbst ihrer Kanzlerschaft eine Art Liebe zu Europa entdeckt. Während der Griechenlandkrise hatte sie sich als «schwäbische Hausfrau» gebärdet und gemeinsame Schulden in Form von Eurobonds rigoros abgelehnt.
Der drohende Zerfall der EU liess sie umdenken. Es liege im Interesse der Exportnation Deutschland, dass die EU-Partner wieder auf die Beine kämen, sagt Merkel heute. Im Vorfeld des Gipfels dämpfte sie die Erwartung, doch wenn eine es richten kann, dann sie.
In den letzten Tagen fanden intensive bilaterale Gespräche statt. So empfing Mark Rutte seine Amtskollegen aus Italien und Spanien. Dennoch bezeichnete er die Wahrscheinlichkeit einer Einigung im niederländischen Parlament als klein. Gleichzeitig betonte er seine Bereitschaft, zu einer für alle akzeptablen Lösung zu kommen.
Solche Treffen folgten immer einer gewissen Dramaturgie, schreibt die NZZ. Erst komme es zu einem «Gipfel der Tränen», nach dessen Scheitern sich die Staats- und Regierungschefs ihren Wählern als harte Kämpfer für deren Interesse präsentieren könnten. Im zweiten Anlauf einige man sich auf einen häufig ziemlich komplizierten Kompromiss.
Ein solcher Ablauf ist wahrscheinlich, obwohl ein Durchbruch an diesem Wochenende nicht ausgeschlossen ist. «Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen werden», sagte der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel der Deutschen Presse-Agentur. Er nannte einen Zeitraum bis Ende Juli. Es könnte also bald zu einem weiteren Gipfel kommen.
Aber im eigenen Land die Leute in 1 Euro jobs arbeiten lassen.
Kein Wunder bekommen die rechten und die ganzen Verschwörungsheinis immer mehr Zulauf da oben.