Trump und Musk haben die Gelder für die Entwicklungsbehörde USAID gestoppt. Marcel Tanner reist im Moment oft dorthin, wo das die katastrophalsten Auswirkungen hat – nach Afrika. Der Basler Epidemiologe ist «Botschafter» bei den afrikanischen und europäischen Regierungen für die Forschungs- und Umsetzungspartnerschaften Afrika-Europa und auch bei der WHO angestellt.
Elon Musk stoppt die Gelder an die Hilfsorganisation USAID. Was waren deren wichtigsten Leistungen?
Marcel Tanner: Die ungefähr 40 Milliarden Dollar der USAID wurden weltweit in verschiedenen Projekten eingesetzt. Bei der globalen Gesundheit, der Katastrophenhilfe, dem Umweltschutz, der demokratischen Regierungsführung, der Bildung und Armutsbekämpfung. Die USA waren vor allem bei den sogenannten Krankheiten der Armut engagiert. Dazu gehören HIV, Malaria und die Tuberkulose. So deckten die US-Beiträge rund 50 Prozent des UNAIDS-Programms gegen HIV und AIDS, das heisst rund 110 Millionen Dollar pro Jahr.
Wie hat die Hilfe funktioniert?
Den Kampf gegen HIV und Aids lancierte US-Präsident George W. Bush im Jahr 2004. Im Kampf gegen Aids ging es in erster Linie darum, Medikamente zur Verfügung zu stellen wie auch Präventionskampagnen zu machen. Beim grossen Engagement der USA in den Malaria-Projekten ging es nicht nur darum, Malaria zu bekämpfen, sondern diese auch zu eliminieren. Die USA haben über USAID sehr viel dafür investiert. Geld gab es von den USA aber auch für Familienplanungsprogramme und dafür, die Gesundheitssysteme in vielen Ländern zu verbessern.
Wie funktionierte die Verteilung?
Die Gelder wurden nicht mit der Giesskanne verteilt, sondern auf die Bedürfnisse der einzelnen Länder zugeschnitten. Das geschah in Zusammenarbeit mit anderen Ländern, auch der Schweiz. Unser Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) war ebenfalls involviert.
Was bedeutet nun der Ausfall der USAID-Gelder?
Die Auswirkungen sind in jedem Land unterschiedlich. Zwar fehlt nun überall Geld, aber nicht in allen Ländern gleich viel. Schweizer Organisationen sind in verschiedenen Einsatzgebieten engagiert, die unterschiedliche Unterstützer haben, nicht nur die USA. Fehlt nun aber das Geld der USAID, das via UNAIDS verteilt wird, entstehen riesige Lücken.
Wie zeigt sich das?
Unter anderem fehlen zum einen die wichtigen amerikanischen Entwicklungsfunktionäre und etablierte Prozesse brechen zusammen. Vor allem betrifft es die lokale Bevölkerung. Bei HIV- und Malaria-Projekten sind beispielsweise viele lokale Mitarbeiter angestellt. Das sind Fahrer, Leute aus dem Gesundheitssystem und den Sozialdiensten, die Medikamente und auch Moskitonetze zu den Menschen bringen.
Die lokalen Mitarbeiter fallen nun aus?
Ich bin seit 46 Jahren in diesen Ländern tätig und weiss, dass dort die hilfsbedürftigen Menschen oft weit ausserhalb wohnen, nicht in der Hauptstadt. Wir mussten unsere Mitarbeiter schon immer extra motivieren, in abgelegene Gebiete zu fahren. Bekommen diese nun auf einmal keinen Lohn mehr, arbeiten sie auch nicht mehr und ziehen in die grossen Städte. Das sind die entscheidenden Effekte, wenn etablierte Prozesse zusammenbrechen.
Momentan springen noch private Stiftungen ein. Reicht das?
Das ist sehr wichtig. Die vielen privaten Stiftungen und Privatleute springen in die Lücke und helfen, die momentane Notlage zu überbrücken. Eine langfristige, nachhaltige Lösung ist das aber nicht.
Können Sie Beispiele von Ländern nennen, die am schwersten betroffen sind?
Stark betroffen ist Tansania, wo das Swiss TPH schon seit über 70 Jahren aktiv ist bei Malaria und Aids. Mit dem Stopp der USAID-Gelder erlebten wir von einem Tag auf den anderen, dass die Unterstützung für das Malariaprogramm für die nächsten drei Jahre um 17 Millionen Dollar gekürzt wird. Der Staat kann das nicht kompensieren. Uganda ist ein weiteres Beispiel. Da besteht mit dem HIV-Programm nun das gleiche Problem. Dort wurden die HIV-Medikamente bereits im vergangenen Jahr bezahlt und ausgeliefert. Diese liegen nun zwar in USAID-Büros in Uganda, können aber aus rechtlichen Gründen nicht ausgeliefert werden.
Was bedeutet das für die Patienten?
HIV-Patientinnen und -Patienten werden in den seltensten Fällen völlig virusfrei. Die Medikamente hemmen die Replikation der Viren und müssen dauernd eingenommen werden. Fehlen die Arzneimittel, gibt es deshalb wieder mehr Übertragungen des HI-Virus. Bei Malaria ist die Eliminationsstrategie in vielen Ländern gefährdet. Die parasitentragenden Mücken kann man in keinem Land eliminieren, also braucht es Moskitonetze, um die Menschen zu schützen. Ich bin überzeugt, dass man im nächsten Jahr in der Statistik sehen kann, dass es wegen der fehlenden USAID-Gelder wieder mehr Malaria-Übertragungen gibt. Es wird sich ein «Trump-Effekt» bei allen Krankheiten der Armut zeigen.
Und bei Tuberkulose?
Da wird sich die Verteufelung und Negierung der Wissenschaft durch die Trump-Regierung rächen. Denn die Forschung an Tuberkulose-Therapien ist noch sehr viel schwieriger als bei HIV. Fehlen die Forschungsgelder, werden sich noch weniger Forscher mit Tuberkulose beschäftigen.
Gibt es noch weitere Krankheiten, die nicht mehr gleich gut bekämpft werden können?
Neben den Krankheiten der Armut gibt es vernachlässigte Tropenkrankheiten, an denen Millionen Menschen leiden. Zum Beispiel die vielen Wurmkrankheiten, die Schlafkrankheit, die Leishmaniose sowie auch Tollwut. Insgesamt sind das 21 Krankheiten, die nun wegen des zugedrehten Geldhahns der USAID ebenso betroffen sind.
Besteht eine Chance, dass die fehlenden US-Gelder andernorts aufgetrieben werden können?
Die Entwicklungszusammenarbeit oder besser die Partnerschaft mit ressourcenschwachen Ländern muss man nun sicher weltweit neu überdenken und organisieren. Geld ist zwar immer noch vorhanden, trotz des Fehlens der USAID-Gelder. Das Problem sind immer die Prozesse der prioritären Verteilung. Man muss verhindern, dass die Entwicklungszusammenarbeit nicht noch extremer politisiert wird. Trump will immer Deals machen. Aber um Gesundheit weltweit zu sichern, braucht es Partnerschaften und sicher keine Deals.
Bleiben Sie trotzdem optimistisch?
Wenn sich die Welt treiben lässt von den Machtmenschen wie Putin, Trump, Orbán oder Erdogan, dann wird es schwierig, Entwicklungszusammenarbeit multilateral durchzubringen. Meine Arbeit in vielen Ländern dieser Welt zeigt, dass es viele Menschen gibt, die sich engagieren wollen. Dass es Veränderungen im Ablauf der Entwicklungszusammenarbeit braucht, war schon vor Trump klar. (aargauerzeitung.ch)