Während Europa etwas aufatmet, wütet in Russland die dritte Corona-Welle heftiger als je zuvor. Es vergeht kaum ein Tag, an dem kein neuer Rekord vermeldet wird. Die Behörden in Moskau meldeten am Sonntag 144 Todesfälle binnen 24 Stunden. Die EM-Stadt St.Petersburg hatte erst am Samstag mit 107 Todesfällen einen Höchststand verzeichnet. Landesweit sprachen die Behörden von 21'600 Neuinfektionen.
Am schlimmsten ist demnach die Hauptstadt Moskau betroffen, wo es 6700 neue Erkrankte und 114 Todesfälle gab, so viele wie noch nie seit Beginn der Pandemie, wie die Agentur Interfax meldete. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin drohte im Staatsfernsehen mit einem Lockdown. Er sagte mit Blick auf die rasante Verbreitung der Delta-Variante: «Um dieses Problem grundlegend zu lösen, muss man sich impfen lassen oder in einen Lockdown gehen.» Moskau hatte am Samstag seine EM-Fanzone nach einer Schliessung wieder geöffnet. Seit Anfang Juni steigen die Zahlen in Russland rasant.
In Moskau werden jeden Tag 2000 neue Patienten mit einer Infektion in eine Klinik gebracht. Es gebe mittlerweile nur noch 5000 freie Betten in der 12-Millionen-Metropole. Die offiziellen Zahlen in Russland sind geschönt. Dass das tatsächliche Infektionsgeschehen nicht den offiziellen Statistiken entspricht, verrät auch ein Blick in die Krankenhäuser und Kliniken des Landes. Diese sind hoffnungslos überfüllt. Mancherorts werden Patienten auf Klappbetten in den Fluren der Kliniken einquartiert, wie etwa Marina Alawerdjan. Für die 49-Jährige war in dem Covid-Krankenhaus von Nowosibirsk sonst nirgendwo Platz, wie Stern.de berichtet.
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Die Regierung reagiert auf die erschreckende Pandemie-Lage mit einer aggressiven Impfkampagne. Obwohl Wladimir Putin einst versprochen hatte, es werde keine Impfpflicht geben, wurde genau diese bereits in 15 Regionen des Landes eingeführt: darunter in den Regionen Moskau, Murmansk, Kemerowo, Sachalin, St. Petersburg, Tula, Twer, Nischni Nowgorod und Krasnodar. Wer sich einer Impfung verweigert, dem drohen Sanktionen. Der Minister für Arbeit und Soziales der Russischen Föderation, Anton Kotjakow, stellte die offizielle Position der Regierung klar: «Ein Arbeitnehmer, der die obligatorische Impfung nicht erhalten hat, kann freigestellt werden.» Die Freistellung, in der kein Lohn gezahlt wird, könne genauso lange dauern, wie die Impfpflicht besteht.
Die Impfskepsis bleibt in Russland ungeachtet aller drohenden Konsequenzen gross. Trotz intensiver Propaganda für die eigenen Impfstoffe wollen sich viele Russen partout nicht impfen lassen. Für Skepsis sorgt unter anderem die undurchsichtige Datenlage der verwendeten Präparate. Darum hatten sich bis Mitte Juni erst 12 Prozent der Bevölkerung impfen lassen.
(amü/sda)