Über eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine hat Deutschland seit dem russischen Überfall im Februar 2022 aufgenommen, so viel wie kein anderes Land in Europa. Deren Integration in den Arbeitsmarkt gestaltet sich anders als etwa in Polen oder den Niederlanden eher schwierig. Gerade einmal 16 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit dem Kriegsausbruch in die Bundesrepublik gekommen sind, gehen einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach, und dies, obwohl in vielen Branchen Arbeitskräftemangel herrscht.
Neben sprachlichen Barrieren, bürokratischen Hürden und vielerorts fehlender Kinderbetreuung gilt auch das deutsche Bürgergeld als Hindernis: Während Flüchtlinge aus anderen Teilen der Welt Asylbewerber-Leistungen erhalten, sind Ukrainer ab dem ersten Tag im Land deutschen Sozialhilfeempfängern praktisch gleichgestellt.
Alexander Dobrindt, der Chef der bayrischen Christsozialen im Deutschen Bundestag, fordert nun, Ukrainerinnen und Ukrainer, die nicht arbeiteten, sollten in den Westen ihres Heimatlandes zurückkehren, wo sie nach Ansicht des CSU-Politikers sicher wären. Der christdemokratische Bundestagsabgeordnete Steffen Bilger pflichtet ihm bei und weist auf die Konkurrenz um Arzttermine, Betreuungsplätze und Wohnungen hin, die sich durch die Neuankömmlinge verschärft habe. Michael Stübgen, der CDU-Innenminister im Bundesland Brandenburg, will keine «fahnenflüchtigen Ukrainer» alimentieren.
Politiker der regierenden Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen reagierten empört: Die CSU solle sich schämen und das «C» in ihrem Namen streichen, hiess es etwa aus der SPD. Raketen schlügen auch in Lwiw im Westen der Ukraine ein. Zudem signalisierten Politiker wie Dobrindt dem Kreml, dass es um die Solidarität und den Durchhaltewillen Deutschlands schlecht bestellt sei.
Anders als der CDU-Chef Friedrich Merz, der im Herbst 2022 von ukrainischen «Sozialtouristen» gesprochen und sich kurz darauf dafür entschuldigt hatte, wollen Dobrindt und seine Mitstreiter bis jetzt nicht zurückrudern. Ihre Vorstösse dürften nicht zuletzt den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern geschuldet sein, die im Herbst anstehen: Dort konkurriert die CDU mit der AfD und Sahra Wagenknechts Partei um Wähler, die Sozialleistungen für Ukrainer besonders kritisch sehen.
Dass das Bürgergeld - derzeit 563 Euro für Alleinstehende - bei der Integration in den Arbeitsmarkt ein Hindernis darstellt, ist zwar richtig, nur gilt dies nicht nur für Ukrainerinnen, sondern auch für Deutsche: Für die Empfänger lohnt es sich oft kaum, niedrig bezahlte Jobs anzunehmen.
Indem sie den notwendigen Streit über das Bürgergeld auf dem Rücken von Kriegsflüchtlingen austragen, geben CDU- und CSU-Politiker kein sympathisches Bild ab, zumal ihre Parteien der gängigen Praxis einst zugestimmt haben: Nach dem russischen Überfall befürworteten auch der bayrische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder und seine christdemokratischen Amtskollegen die Sonderstellung, die Ukrainer im Vergleich mit Asylbewerbern geniessen. Dabei spielten nicht zuletzt pragmatische Überlegungen eine Rolle: Rund eine Million Asylverfahren in kurzer Zeit wären für die zuständigen Ämter kaum zu bewältigen gewesen. (bzbasel.ch)
Falsche Taktik.