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Ukraine-Krieg: CDU politisiert auf dem Rücken der Kriegsflüchtlinge

epa09808835 Ukrainian refugees arrive by night train from Poland at Berlin central station Hauptbahnhof in Berlin, Germany, 08 March 2022. Russian troops entered Ukraine on 24 February prompting the c ...
Sündenböcke in der deutschen Sozialstaatsdebatte: Ukrainer im Jahr 2022 am Berliner Hauptbahnhof.Bild: keystone

CDU und CSU politisieren auf dem Rücken der ukrainischen Kriegsflüchtlinge

Vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland klagen Politiker der Unionsparteien über ukrainische Bürgergeld-Empfänger. Dabei haben CDU und CSU der privilegierten Stellung, die Ukrainer im Vergleich mit Asylbewerbern geniessen, einst selbst zugestimmt.
26.06.2024, 05:10
Hansjörg Friedrich Müller, Berlin / ch media
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Über eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine hat Deutschland seit dem russischen Überfall im Februar 2022 aufgenommen, so viel wie kein anderes Land in Europa. Deren Integration in den Arbeitsmarkt gestaltet sich anders als etwa in Polen oder den Niederlanden eher schwierig. Gerade einmal 16 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit dem Kriegsausbruch in die Bundesrepublik gekommen sind, gehen einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach, und dies, obwohl in vielen Branchen Arbeitskräftemangel herrscht.

Neben sprachlichen Barrieren, bürokratischen Hürden und vielerorts fehlender Kinderbetreuung gilt auch das deutsche Bürgergeld als Hindernis: Während Flüchtlinge aus anderen Teilen der Welt Asylbewerber-Leistungen erhalten, sind Ukrainer ab dem ersten Tag im Land deutschen Sozialhilfeempfängern praktisch gleichgestellt.

Die CDU wetteifert mit der AfD und Sahra Wagenknecht

Alexander Dobrindt, der Chef der bayrischen Christsozialen im Deutschen Bundestag, fordert nun, Ukrainerinnen und Ukrainer, die nicht arbeiteten, sollten in den Westen ihres Heimatlandes zurückkehren, wo sie nach Ansicht des CSU-Politikers sicher wären. Der christdemokratische Bundestagsabgeordnete Steffen Bilger pflichtet ihm bei und weist auf die Konkurrenz um Arzttermine, Betreuungsplätze und Wohnungen hin, die sich durch die Neuankömmlinge verschärft habe. Michael Stübgen, der CDU-Innenminister im Bundesland Brandenburg, will keine «fahnenflüchtigen Ukrainer» alimentieren.

10.10.2023, Berlin: Alexander Dobrindt (CSU), Vorsitzender der CSU-Landesgruppe in der Unionsfraktion,
Alexander Dobrindt.Bild: keystone

Politiker der regierenden Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen reagierten empört: Die CSU solle sich schämen und das «C» in ihrem Namen streichen, hiess es etwa aus der SPD. Raketen schlügen auch in Lwiw im Westen der Ukraine ein. Zudem signalisierten Politiker wie Dobrindt dem Kreml, dass es um die Solidarität und den Durchhaltewillen Deutschlands schlecht bestellt sei.

Anders als der CDU-Chef Friedrich Merz, der im Herbst 2022 von ukrainischen «Sozialtouristen» gesprochen und sich kurz darauf dafür entschuldigt hatte, wollen Dobrindt und seine Mitstreiter bis jetzt nicht zurückrudern. Ihre Vorstösse dürften nicht zuletzt den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern geschuldet sein, die im Herbst anstehen: Dort konkurriert die CDU mit der AfD und Sahra Wagenknechts Partei um Wähler, die Sozialleistungen für Ukrainer besonders kritisch sehen.

Auch deutsche Bürgergeld-Empfänger wollen oft nicht arbeiten

Dass das Bürgergeld - derzeit 563 Euro für Alleinstehende - bei der Integration in den Arbeitsmarkt ein Hindernis darstellt, ist zwar richtig, nur gilt dies nicht nur für Ukrainerinnen, sondern auch für Deutsche: Für die Empfänger lohnt es sich oft kaum, niedrig bezahlte Jobs anzunehmen.

Indem sie den notwendigen Streit über das Bürgergeld auf dem Rücken von Kriegsflüchtlingen austragen, geben CDU- und CSU-Politiker kein sympathisches Bild ab, zumal ihre Parteien der gängigen Praxis einst zugestimmt haben: Nach dem russischen Überfall befürworteten auch der bayrische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder und seine christdemokratischen Amtskollegen die Sonderstellung, die Ukrainer im Vergleich mit Asylbewerbern geniessen. Dabei spielten nicht zuletzt pragmatische Überlegungen eine Rolle: Rund eine Million Asylverfahren in kurzer Zeit wären für die zuständigen Ämter kaum zu bewältigen gewesen. (bzbasel.ch)

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59 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Morricone
26.06.2024 07:15registriert Juli 2022
Schon frech, dass sich CSU-Dobrindt, neben CSU-Scheuer, der schlechteste Verkehrsminister aller Zeiten, überhaupt noch an die Öffentlichkeit traut. Und Forderungen stellt. Hunderte Millionen in den Sand gesetzt. Und den Zustand der DB kennen wir ja. Soll er sich bei der AfD anbiedern. Und bei BSW auch. Die Geschichte wird es schon richten.
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s'Paddiesli
26.06.2024 08:46registriert Mai 2017
Die Union will AfD Wählerstimmen zurückholen unx biegt sich dabei mehr und mehr in deren Richtung.
Falsche Taktik.
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insert_brain_here
26.06.2024 07:16registriert Oktober 2019
Mal zum Vergleich: Als Armutsgrenze gilt in D für Alleinstehende ein Wert von ca 1200€, in dem Betrag sind sämtliche Sozialleistungen schon enthalten. Aber ja, die 563€ Bürgergeld sind Schuld dass die Stellen im „Niedriglohnsektor“ nicht besetzt werden können…
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