Pécresse gewann am Samstag die Stichwahl der von den «Républicains» organisierten Urabstimmung mit 61 Prozent gegen den Hardliner Eric Ciotti. Damit erhielt die Konservative die Investitur von insgesamt 140'000 Parteimitgliedern für die Präsidentschaftswahlen von April 2022.
In den Meinungsumfragen lag Pécresse bisher deutlich hinter Staatschef Emmanuel Macron und den beiden Rechtsextremisten Marine Le Pen und Eric Zemmour. Aussagekräftig werden die Erhebungen aber erst jetzt. Die Konservative dürfte von der reibungslosen Primärwahl profitieren – einer Seltenheit für die chronisch zerstrittenen Republikaner. Alle Widersacher wie Ciotti, Xavier Bertrand und Michel Barnier sprachen Pécresse am Samstag die Unterstützung aus.
🇫🇷 Je veux ressouder la Nation française.
— Valérie Pécresse (@vpecresse) November 21, 2021
C’est un défi immense. Pour cela, tout commence par l’école, car l’école c’est la fabrique de la France. Je veux donner à chaque enfant sa chance, et l’amour de la France. #DébatLR pic.twitter.com/dTJckITe2R
Politologen räumen Pécresse gerade gegen Macron auch einen Frauenbonus ein. Die 54-jährige Vorsteherin des Pariser Grossraumes Ile-de-France ist nach der Sozialistin Ségolène Royal 2012 erst die zweite Französin mit reellen Chancen auf den Präsidentschaftswahlsieg. Marine Le Pen galt bisher nicht als mehrheitsfähig, kam sie doch bei den Präsidentschaftswahlen 2017 gegen Macron auf weniger als 34 Prozent. Die sozialistische Kandidatin Anne Hidalgo stagniert ihrerseits auf einstelligen Umfragewerten.
Pécresse gilt auf nationaler Ebene als unverbraucht, obschon sie eine lange politische Erfahrung mitbringt. Die Absolventin der Eliteverwaltungsschule ENA stammt wie ihr Parteifreund Nicolas Sarkozy aus dem gleichen gutbürgerlichen Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine. Sie war schon Abgeordnete und vier Jahre lang Ministerin für Hochschule und Forschung, wobei sie eine erfolgreiche Universitätsreform verantwortete.
Als Budgetministerin stand sie während der EU-Schuldenkrise hingegen völlig im Schatten von Präsident Sarkozy. Seit sechs Jahren leitet sie die wichtigste Wirtschaftsregion Europas, den Grossraum Paris mit 11 Millionen Einwohnern.
Vor ihren Anhängern gab sich Pécresse am Samstag selbstbewusst und angriffig. Frankreich sei nicht zum Niedergang verurteilt, sondern stecke voller Energie und Talente, erklärte sie an die Adresse Zemmours, der mit seinem Diskurs nationaler und ethnischer Dekadenz aneckt. Pécresse hielt am Samstag dagegen, nicht Frankreich sei krank, sondern sein politisches System. «Aber ein System lässt sich ändern, und ein Präsident auch», rief sie aus, um klarzumachen, wen sie auch noch im Visier hat:
Pécresse, die innerhalb der Republikaner eine eigene Bewegung namens «Libres!» (frei!) anführt, bezeichnet sich als liberal und sagt von ihrem Programm, es beinhalte «zwei Drittel Merkel, ein Drittel Thatcher». Am Samstag rückte sie auffällig nach rechts. «Meine Hand wird nicht zittern», erklärte sie, bemüht, ihrem Image einer «netten Bürgerlichen» härtere Konturen zu verleihen. Im zentralen Wahlkampfthema Immigration sieht sie Kontingente und Sozialabstriche für Neuzuzieher vor. Le Pen und Zemmour wollen dagegen einen eigentlichen Immigrationsstopp durchsetzen.
Auf die Dauer dürfte Pécresse vor allem Macron Stimmen kosten. Wenn die beiden Rechtsaussen Le Pen und Zemmour beide zur Wahl antreten, hat die Konservative Chancen, in den zweiten Wahlgang vorzustossen. Im aktuellen Sog von rechts hat sie auch gegen den amtierenden Staatschef durchaus Siegchancen. «Pécresse ist Macrons schlimmster Albtraum», erklärte einer ihrer Anhänger im ersten Überschwang der Gefühle – der zweifellos bald einer etwas realistischeren Einschätzung weichen dürfte.
Für die französische Linke müsste die saubere Primärwahl der Republikaner eigentlich ein Weckruf aus ihrer Lethargie sein. Heute kommen weder der Linke Jean-Luc Mélenchon noch der Grüne Yannick Jadot noch Hidalgo auch nur in die Nähe des zweiten Wahlgangs. Engagierte Bürger versuchen sie deshalb aktuell mit einer «primaire populaire» (Volks-Urwahl) auf eine Einheitskandidatur zu trimmen. Dazu scheint aber in dem linken Spitzentrio niemand bereit. Die französische Präsidentschaftswahl wird aller Aussicht auf der Rechten ausgemacht, und nur dort. (aargauerzeitung.ch)