Man stelle sich einmal vor, Bundespräsident Guy Parmelin würde dem Rot der Schweizerfahne klammheimlich einen rosa Touch geben, um sich als Trendpolitiker zu outen.
Abwegig? Nicht in Frankreich, wo der Präsident die Autorität über die nationalen Symbole hat. Emmanuel Macron hat dieses Vorrecht offenbar bereits im Juli 2020 genutzt.
Und auch wenn Frankreich viele exakte Patrioten zählt, hat keiner gemerkt, dass der Staatschef eine Farbe der blau-weiss-roten Trikolore geändert hatte.
Hat er aber. Wie jetzt bekanntgeworden ist, hatte Macron die Weisung herausgegeben, die Flaggen auf den Dächern des Elysées-Palastes und der Nationalversammlung mit einem dunkleren Blau zu versehen. Aus der helleren Himmelsfarbe wird ein tieferes Marineblau.
Das eigentlich Erstaunliche daran ist die Vertraulichkeit, mit der Macron zu Werke gegangen ist. Nicht einmal seine Minister wussten davon, noch weniger die Citoyens, denen die Farbkombination «bleu-blanc-rouge» so heilig ist wie die Marseillaise.
Wer sich einen Wahlmonarchen im Elysée vorstellt, wie er sinnierend an seinem Bürotisch sitzt und urplötzlich eine Farbeingebung hat, liegt nicht ganz richtig: Die Idee für das «bleu marine» soll von zwei engen Beratern stammen. Trotzdem stellt sich die Frage: Warum dieser Farbwechsel? Und warum diese Geheimniskrämerei?
Jetzt, wo die nicht ganz unerhebliche Nacht-und-Nebel-Aktion landesweit aufgeflogen ist, begründen die Spindoktoren und Kommunikationsprofis des Pariser Regierungssitzes sie wie folgt: Das dunklere Blau sei die historische Farbe Frankreichs, benützt in der französischen Revolution von 1789, dann von den Soldaten des Ersten und der Résistance des Zweiten Weltkrieges.
Der historische Hinweis ist zutreffend. Erst Präsident Valéry Giscard d’Estaing machte 1976 von seinem ungeschriebenen Vorrecht der Flaggenfarbenveränderung Gebrauch und hellte das Blau der Trikolore leicht auf. Giscard d’Estaing wollte das Blau der französischen Flagge der europäischen Grundfarbe anpassen.
In Pariser Journalistenkreisen geht deshalb die Frage um: Will sich Macron vor dem Präsidentschaftswahlkampf 2022 eine revolutionäre Aura geben? Wie 2017, als er seine erste Kampagne mit seinem – in Wahrheit nicht gerade bahnbrechenden – Bekennerbuch «Révolution» befeuert hatte?
Könnte natürlich sein. Auf jeden Fall scheint es so, als habe Präsident Macron ein subliminales patriotisches Zeichen setzen wollen. Auch wenn er so proeuropäisch wie Giscard denkt, will er sich von der unpopulären Europäischen Union abheben. Und sich angesichts des allgemeinen Rechtsdralls der Wahlkampagne klarer «national» positionieren.
Das könnte den Farbwechsel erklären. Macron weiss, wie sehr TV-Bilder heute Wahlen entscheiden können. Da muss jedes Detail genau passen. Macrons präsidiale Auftritte und Interviews sind bis akribisch – und nun in Marineblau-Weiss-Rot – geregelt.
Ob die Bürgermeister und Stadtparlamente im Land draussen die neue Farbenlehre sofort oder erst mit der Zeit übernehmen, überlässt Macron gnädigerweise den lokalen Entscheidungsträgenden. Ihm geht es schliesslich primär um seinen eigenen Wahlkampf. Dass es ein farbiger wird, scheint jetzt schon klar.