Im ausgebuchten Audimax der Universität St. Gallen hielt Christoph Frei Ende Dezember seine Abschiedsvorlesung. Zwanzig Jahre lang war er an der HSG. Dann, kündigte der Politikprofessor an, wollte er für ein paar Monate von der Bildfläche verschwinden. Im Februar war er bereits in Südostasien unterwegs, ab Ende März geht es weiter nach Taiwan und auf mehrere Inseln in Ozeanien.
Davor gibt es aber noch einiges zu besprechen. Seit Donald Trump am 20. Januar den Amtseid abgelegt hat, nehmen die Schlagzeilen kein Ende mehr. Im Gespräch mit CH Media ordnet der Staatswissenschafter die Geschehnisse der letzten Wochen ein – und erklärt, wieso die nächsten Monate entscheidend für die USA sein könnten.
Diese Woche hat Donald Trump mit Wladimir Putin über eine mögliche Waffenruhe in der Ukraine gesprochen. Eine schnelle Einigung, wie sie sich der US-Präsident wohl gewünscht hätte, ist dabei nicht herausgekommen. Wie bewerten Sie den Ausgang des Telefonats?
Christoph Frei: Das Gespräch hat so geendet, wie man es erwarten durfte. Äusserlich ist Russlands Präsident fast immer konziliant. In der Sache kommt er Trump kaum je entgegen – und stellt so steile Bedingungen, dass eine Einigung unmöglich bleibt.
Trotzdem bedankte sich Trump nach dem Gespräch bei Putin. Ganz anders ist sein Umgang mit Wolodimir Selenski. Wir alle haben gesehen, wie der ukrainische Präsident aus dem Weissen Haus geworfen wurde. Was haben Sie sich gedacht, als Sie das gesehen haben?
Ich habe ungläubig gestaunt. Verdichtet auf wenige Minuten haben wir eigentlich das Ende eines ganzen sicherheitspolitischen Koordinatensystems erlebt – wie im Zeitraffer. Der Bruch hatte sich länger schon angedeutet. Den Stil aber und die schiere Brutalität hatte ich so nicht erwartet.
Ist ein Waffenstillstand unter diesen Voraussetzungen überhaupt denkbar?
Selbst für einen Waffenstillstand braucht es letztlich den politischen Willen beider Seiten – oder ein bisschen zynischer: Es bräuchte Russlands politischen Willen. Den sehe ich momentan nicht. Aufseiten der Ukraine wiederum arbeitet das Umfeld Trumps mit enorm viel Druck – und die Ukraine ist zu abhängig, um sich diesem widersetzen zu können.
Derzeit werden Friedensverhandlungen ausschliesslich von den USA angeführt. Hat Europa überhaupt noch etwas mitzureden?
Ob Europa formell an den Tisch geladen wird, würde ich zumindest in diesem Stadium bezweifeln.
Gibt es noch eine Chance für Europa und die USA, um wieder zusammenzufinden?
Hoffnung gibt es immer. Mit der Persönlichkeit des Präsidenten, mit den Affinitäten seines Umfelds – auch über Vizepräsident JD Vance hinaus – würde ich die Erwartungen derzeit aber nicht zu hoch hängen wollen. Es zeichnet sich meiner Meinung nach eine neue Ausgangslage ab: Europa wird sich finden und organisieren müssen.
Muss die Schweiz im Lichte dieser Veränderungen vielleicht auch ihre eigene Position und ihre Neutralität überdenken?
Oh ja, das müsste sie schon länger. Nur mache ich mir diesbezüglich keine Illusionen.
Wieso?
Das Thema ist fast schon hoffnungslos zugemauert. Und ja doch, eine Mehrheit will ja die Neutralität. Nur: Wie können wir neutral sein, wenn wir nicht unabhängig, sondern erwiesenermassen erpressbar sind? Das derzeitige Schattenboxen ist bezeichnend für die politische Kultur in der Schweiz, die sich schwer damit tut, Mythen als solche zu benennen und die eigene Haltung im Abgleich mit dem Umfeld bewusst zu hinterfragen.
Im Nahost-Konflikt hat sich Donald Trump anfänglich sehr stark in die Friedensverhandlungen eingebracht. Nun scheint es, als hätte er Benjamin Netanyahu wieder freie Hand gelassen. Jetzt wurde die Waffenruhe wieder gebrochen. Wie gefährlich ist die Situation im Nahen Osten?
Israel macht in einer Zielstrebigkeit und Brutalität weiter, die mit dem Wahlsieg Trumps einen neuen Boden gefunden hat. Das, was im Moment im Nahostkonflikt passiert, hat sehr viel mit der Tatsache zu tun, dass er ins Weisse Haus zurückgekehrt ist. Hören Sie hin, wie Israels Verteidigungsminister Israel Katz sich vor wenigen Tagen über den Krieg in Gaza äusserte, nachdem Israel mit Luftangriffen Hunderte Menschen getötet hatte. Er drohte der Hamas, wenn sie die verbleibenden Geiseln nicht freilassen, werde «die Hölle losbrechen». Eine wörtliche Formulierung von Donald Trump.
Wie ernst nehmen Sie Pläne wie die «Riviera des Nahen Ostens»? Also die angebliche Aufwertung des Gaza-Streifens durch die USA.
Es ist verrückt, woran wir uns momentan gewöhnen. Hier wird immerhin impliziert, dass rund zwei Millionen Menschen umgesiedelt werden sollen. Viele weitere Beispiele – wie Grönland, Kanada und Panama – führen zum gleichen Befund: Was zählt, sind mit dem Prädikat «national» verbrämte Interessen der USA. Recht, Regeln, auch Respekt bleiben aussen vor. Ich wehre mich dagegen, das als neue Normalität abzutun. Wie wollen wir vom Bürger erwarten, dass er sich an Gesetze und Regeln hält, wenn der amerikanische Präsident diese nach Belieben bricht – und alles, was wir dazu zu sagen haben, lautet «Das ist halt Trump»? Das ist zu viel der Nonchalance, würde ich meinen.
Sicherlich überraschend kamen für viele traditionelle Partner der USA die Zölle, die Donald Trump in den letzten Wochen zum Beispiel gegen Kanada und Europa ausgesprochen hat. Welche Folgen ziehen solche Aktionen nach sich?
Sie haben verheerende Folgen. Das Fundament einer funktionierenden Marktwirtschaft sind klare Regeln und Rahmenbedingungen, die zu respektieren sind. Daraus entsteht Erwartungssicherheit, die Entscheidungen, auch Investitionen erst möglich macht. Was wir jetzt erleben, ist das Gegenteil davon. Derlei ist nicht nur für die Börsen Gift. Niemand weiss, was morgen gilt.
Die Verunsicherung ist nicht nur bei uns, sondern auch in den USA deutlich spürbar. Obwohl Trump immer wieder versichert, es sei alles Teil des Plans. Sehen Sie im Handeln des US-Präsidenten eine Strategie?
Ich würde beliebt machen, dass wir Donald Trump nicht als Politiker mit einer klaren Vision oder Strategie betrachten. Vielmehr sind es Partikularinteressen der Menschen und Gruppen um ihn herum, die sich der charismatischen Figur Donald Trump bedienen, um ihre jeweiligen Ziele zu verfolgen. Das gilt für Tech-Milliardäre wie Elon Musk, aber auch für konservative Nationalisten. Das sind die Kräfte, die Trumps Agenda im Einzelnen bestimmen. Partikulare Anliegen, Interessen und Ziele werden dann durch die narzisstische, ganz dem Moment verhaftete Persönlichkeit von Donald Trump gefiltert. Ihm ist am wichtigsten, dass er stark erscheint und gut dasteht. Darum vertritt er häufig auch diametral widersprechende Standpunkte. Wir sollten wirklich Abschied nehmen von der Vorstellung, dass der gute Donald Trump einen Masterplan hat.
Wenn man dem Präsidenten überhaupt ein politisches Projekt zuschreiben will, dann wohl über seinen Willen, das Gefüge der Gewaltenteilung in den USA so anzupassen, dass Judikative und Legislative ihm, dem Präsidenten, keine Hindernisse in den Weg stellen können. Er will das politische System zu seinen Gunsten verändern.
In den letzten Wochen hatte er tatsächlich einige Probleme mit Bundesrichtern.
Rund ein Drittel der Dekrete, die von Trump unterzeichnet wurden, haben Bundesrichter bereits als problematisch oder gar verfassungswidrig beurteilt. Bekannte Beispiele betreffen das bisher angeborene Recht auf die amerikanische Staatsbürgerschaft, das Einstampfen der Entwicklungshilfe-Behörde USAID, Kürzungen beim Staatspersonal oder Forschungsgeldern. Eine wichtige, um nicht zu sagen, entscheidende Frage wird sein, ob und inwieweit die Exekutive bereit ist, sich an Vorgaben und Urteile der Justiz zu halten.
Erst am Wochenende ignorierte das Weisse Haus den Entscheid eines Richters in Bezug auf die Ausschaffung venezolanischer Flüchtlinge in ein Mega-Gefängnis in El Salvador. Stehen die Vereinigten Staaten vor einer Verfassungskrise?
Noch sind wir nicht dort. Wenn die Regierung die Justiz nicht respektiert, dann hätten wir tatsächlich eine Verfassungskrise – und dies in einer der ältesten Demokratien der Welt. Grosses Kino, wenn wir Pech haben. Wir befinden uns zurzeit in der entscheidenden Phase.
Woran erkennen Sie das?
Die Administration Trump ist bemerkenswert aggressiv. Der neue FBI-Chef geht auf Personen los, deren Gebaren nicht passt. Das Justizministerium ist gegen Anwälte von Demokraten vorgegangen. Journalisten werden von Pressekonferenzen im Weissen Haus ausgeschlossen. Elon Musk entlässt Bundesangestellte in Massen. Die Nähe von Politik und Kapital ist beileibe nichts Neues, auch diesbezüglich erleben wir aber eine neue Qualität in den konkreten Folgen solcher Konzentration von Macht. Wenn wir nur einfach die sechzig Tage seit der Amtseinsetzung überschauen, kommt einiges zusammen.
Das tönt jetzt aber etwas pessimistisch.
Bald wissen wir mehr. Häufig wird gesagt, Trump sei fairerweise erst hinterher zu beurteilen, entlang der tatsächlichen Auswirkungen und Resultate seiner Politik. Wollen wir uns damit zufriedengeben? Natürlich zählen Resultate, aber nicht um jeden Preis. Wie wir unsere Ziele verfolgen, ob innerhalb oder ausserhalb des vorgegebenen rechtlichen Rahmens, müsste schon einen Unterschied machen. Sozialkapital, Vertrauen, die Bereitschaft zur Kooperation werden schon dort vernichtet, wo die guten Regeln von Anstand und Respekt unter den Tisch fallen.
Seine Hintermänner haben sehr wohl einen Plan - unter anderem, alle staatlichen Dienste zu privatisieren.
Nur sind die Amis zu blöd, um das zu realisieren... und viele in Europa ebenso.
Vielleicht liegt es daran, dass viele Trump für nicht ganz voll nehmen. Absolut berechtigt, der Typ ist offensichtlich gaga und nicht zurechnungsfähig.
Und genau das macht ihn so gefährlich!