Die Auszählungen laufen vielerorts noch. Kann man trotzdem bereits von erfolgreichen Midterms für die Demokraten sprechen?
Claudia Brühwiler: Die Demokraten konnten sicher einen Teilerfolg erzielen. Vor allem dass sie den Senatssitz in Pennsylvania erobert haben, wird von vielen als Durchbruch zelebriert. Die Kandidatur des siegreichen John Fetterman ist eine Blaupause, wie die Demokraten in Zukunft wieder vermehrt die Arbeiterklasse ansprechen können.
Wie hat Jon Fetterman das geschafft?
Er hat ein ziemlich spezielles Auftreten. Er ist zwar Harvard-Absolvent, fühlt sich aber wohler in einem Hoodie. Obschon er aufgrund eines Schlaganfalls etwas limitiert war bei den Wahlkampfveranstaltungen, goutierten die Wähler sein Programm, das aus einer Mischung aus progressiven und traditionellen Standpunkten besteht.
Die Inflation ist hoch, die Benzinpreise sind es ebenfalls. Trotzdem blieb eine «rote Welle» aus. Warum?
Bereits im Sommer sagte Mitch McConnell, der republikanische Minderheitsführer im Senat, dass man ein Problem mit der Qualität der Kandidaten habe. Moderate Kandidaten, die durchaus mehrheitsfähig gewesen wären, zogen in mehreren Staaten den Kürzeren gegen die Trumpisten. Da hatten übrigens auch die Demokraten die Finger im Spiel.
Inwiefern?
Die Demokraten unterstützten in mehreren Vorwahlen der Republikaner den extremeren Kandidaten. Sie pokerten darauf, dass die von Trump unterstützten Kandidaten weniger Chancen haben werden, wenn es gegen einen Demokraten geht. Das ist ein etwas heikles Spiel. Aber es hat sich an einigen Orten ausgezahlt. Etwa im Gouverneurs-Rennen von Pennsylvania. Der Trumpist Douglas Mastriano ist dort klar gescheitert. In New Hampshire ist dies übrigens auch so passiert.
Erzählen Sie!
Dort war lange unklar, ob die Demokratin Meggie Hassan ihren Sitz halten kann. Ihre Partei hat deswegen in den republikanischen Vorwahlen Don Bolduc unterstützt – den etwas extremeren Kandidaten der Republikaner. Hassan musste schliesslich gegen ihn antreten und das Rennen für den Senat für sich entscheiden.
Verstehe ich das richtig: Die Demokraten haben Werbung für Trumpisten gemacht?
Ja, genau. Sie haben Werbung für die geschaltet. Darin haben sie auch die moderateren Republikaner diffamiert. Das ist ein wenig zynisch. In der Partei gibt es denn auch verschiedene Ansichten zu diesem Vorgehen: Gewisse demokratische Strategen halten das für ein falsches Spiel.
Kann man nach dem Ausbleiben der roten Welle von einer deutlichen Niederlage für die Republikaner sprechen?
Nein. Die Republikaner werden voraussichtlich das Abgeordnetenhaus zurückerobern. Die Macht zwischen dem Weissen Haus und dem Kongress wird also wieder geteilt – man spricht hier von einem «divided government». Das alleine wird ein Bremsklotz sein für die Regierung von Joe Biden.
In einigen Staaten konnten die Republikaner durchaus Erfolge feiern ...
Ja. Ich denke da etwa an J.D. Vance, der in Ohio die Senatswahl gewinnen konnte. Da war man lange skeptisch, ob er sich durchsetzen kann. Auch Herschel Walker, ein wahrlich spezieller Kandidat, kann das Senats-Rennen gegen Raphael Warnock offenhalten. Von daher: Eine deutliche Niederlage der Republikaner sähe anders aus.
Die Republikaner dürften, wenn überhaupt, nur eine hauchdünne Mehrheit im Repräsentantenhaus erreichen. Was bedeutet das?
Die Republikaner brauchen eine hohe Fraktionsdisziplin. In den USA ist diese üblicherweise nicht besonders hoch. Für eine Blockadepolitik dürfte die Mehrheit im Repräsentantenhaus jedoch reichen.
Dutzende «Wahlleugner» haben den Sprung ins Repräsentantenhaus geschafft. Wie gefährlich ist das für die US-Demokratie?
Das ist traurig. Es zeigt, dass es einen gewissen Verfall in der demokratischen Kultur gibt. Eine Bedrohung für die Demokratie sehe ich deswegen aber nicht. Das ist Schwarzmalerei. Problematischer ist es, wenn Wahlleugner in den einzelnen Staaten zu «Secretaries of State» gewählt werden, welche die Wahlen überwachen und durchführen müssen. Allerdings wage ich zu bezweifeln, ob diese Personen dann tatsächlich Wahlen fälschen werden.
Ist Trump der grosse Verlierer der Midterms?
Jein. Ich nehme nicht an, dass er sich als Verlierer fühlen wird. Er wird sich wahrscheinlich sagen, dass er die Trumpisten in den Vorwahlen zum Triumph geführt hat, und dass diese es am Schluss aber nicht auf die Strasse gebracht haben. Betrachtet man die Midterms aber nicht aus seiner Warte, hat man durchaus gesehen, dass Trumpismus kein Erfolgsgarant ist für die Kandidaten. Ein gutes Beispiel hierfür ist Arizona.
Was ist dort passiert?
In Arizona hat Kari Lake für den Gouverneursposten kandidiert. Viele bezeichnen sie als Trump mit Lippenstift und High Heels. Nun zeichnet sich eine Niederlage für sie ab. Man muss den Leuten mehr bieten als nur Populismus. Sie wollen politischen Inhalt.
Könnte es zur Abspaltung von Trump kommen in der republikanischen Partei?
Darüber spekuliert man schon seit 2016 ...
... und passiert ist es bis heute nicht.
Man muss in Betracht ziehen, dass Trump in Umfragen zu möglichen Präsidentschaftskandidaten am meisten Rückhalt hat bei den Republikanern. Nach den Midterms könnten sich aber neue Dynamiken entwickeln. Ron DeSantis dürfte noch mehr Aufwind erhalten und er gilt ja als jemand, der sich in Primärwahlen gegen Trump durchsetzen könnte.
DeSantis hat das Gouverneurs-Rennen in Florida mit grossem Vorsprung gewonnen. Wie beurteilen Sie das?
DeSantis konnte vor allem bei den Hispanics und Latinos Schlagkraft entwickeln. Die Demokraten haben sich lange Zeit als logische Partei für Minderheiten vermarktet. Dass ein DeSantis mit einer harten Linie bei Migrationsfragen so viel Unterstützung erhält, muss den Demokraten zu denken geben. Für DeSantis sind die Wahlen ein grosser Erfolg. Sie bringen ihn für die Präsidentschaftswahlen von 2024 in eine Pole-Position.
Werfen wir nochmals einen Blick auf die Demokraten. Joe Biden wird bei den Präsidentschaftswahlen 81 Jahre alt sein. Hat sich bei den Midterms jemand hervorgetan, der ihn beerben könnte?
Nein. Solange Biden nicht bekannt gegeben hat, ob er nochmals antritt oder nicht, kann sich bei den Demokraten niemand in Position bringen.
Und wann ist da ein Signal von Biden zu erwarten?
Er wird es auch davon abhängig machen, ob Trump noch
einmal kandidiert. Denn Biden ist gegen Trump nach wie vor ein sehr aussichtsreicher Kandidat. Falls Biden nochmals antritt, wird die demokratische Partei nicht zulassen, dass ihn jemand in den Vorwahlen herausfordert.
Und falls er nicht mehr antreten würde: Gibt es da Favoriten auf sein Erbe?
Dann wird sich die demokratische Partei vor allem auf Gouverneursebene umschauen. Ein interessanter Name ist sicher Gavin Newsom aus Kalifornien.
Können die Demokraten nach den Midterms voller Zuversicht sein, dass sie auch die Präsidentschaftswahlen von 2024 gewinnen werden?
Nein, dafür ist es noch zu früh. Sie konnten zwar einige Achtungserfolge erzielen und es kam etwas besser heraus, als sie befürchtet hatten. Aber wir befinden uns nach wie vor in einer wirtschaftlichen Situation mit acht Prozent Inflation. Wir wissen nicht, wie sich die Wirtschaft weiter entwickeln wird. Wir wissen nicht, was der Supreme Court noch entscheiden wird, und wir wissen noch nicht einmal, wer kandidieren wird. Da kann noch so viel passieren.
Diese Wahl zeigt für mich, die Wähler von Pennsylvania haben Trumps MAGA Kult hinter sich gelassen.