Die Zutaten für eine grosse Party waren vorhanden: eine hohe Teuerung, ein unbeliebter Präsident, eine allgemein miese Grundstimmung (rund 70 Prozent der Amerikaner sind mit der Lage der Nation unzufrieden). Der Triumph der Republikaner bei den Midterms schien Formsache zu sein. Sogar ein «roter Tsunami» im US-Kongress wurde für möglich gehalten.
Davon war nichts zu sehen. Selbst eine rote Welle ist ausgeblieben. Noch ist unklar, welche Partei in den beiden Kammern des Parlaments über die Mehrheit verfügen wird. Bis zur Auszählung der Briefstimmen könnte es Tage dauern. Und sollte im Senat wie vor zwei Jahren alles von einer Stichwahl in Georgia abhängen, kann es Dezember werden.
Wahrscheinlich bleibt, dass die Republikaner das Repräsentantenhaus kontrollieren werden. Aber für den künftigen Speaker Kevin McCarthy wäre es ein bittersüsser Sieg. Angesichts einer knappen Mehrheit dürfte er zur «Geisel» von Extremisten wie Marjorie Taylor Greene und Matt Gaetz werden. Sie wollen Impeachment-Verfahren lostreten.
Im Visier sind Präsident Joe Biden und sein Sohn Hunter, der einige Flecken auf seiner Weste hat. Darin liegt eine Chance für die Demokraten. Wenn es die Republikaner zu bunt treiben, könnte es in zwei Jahren zum Backlash kommen. Für die amerikanische Demokratie jedenfalls ist der Wahlausgang eine gute Nachricht. Sie ist zumindest vorläufig gerettet.
Das betrifft auch das Abschneiden jener Kandidatinnen und Kandidaten, die den Ausgang der Präsidentschaftswahl 2020 leugnen und Donald Trump für den wahren Sieger halten. Manche setzten sich durch, aber jene für die besonders sensiblen Posten in den Swing States, die den Ablauf von Wahlen überwachen, blieben fast durchwegs auf der Strecke.
Dazu gehört Doug Mastriano, Gouverneurskandidat in Pennsylvania, vor dessen Wahl selbst moderate Republikaner gewarnt hatten. Oder Kari Lake, die Gouverneurin von Arizona werden will und auf eine Niederlage zusteuert, obwohl ihre demokratische Rivalin einen schwachen Wahlkampf absolviert hat. Schon in der Wahlnacht klagte Lake über Betrug.
So weit, so erwartbar. Die ehemalige TV-Moderatorin schaffte es dank Unterstützung von Donald Trump auf den Wahlzettel. Der Support durch den Ex-Präsidenten, der nach wie vor über den ihm angeblich gestohlenen Wahlsieg jammert, zahlte sich nur bedingt aus. In Pennsylvania etwa verlor der Fernseh-Quacksalber Mehmet Oz die Senatswahl.
Die Republikaner müssten sich nun die Frage stellen, ob sie es mit der «Nibelungentreue» zum Ex-Präsidenten und Wahlleugner nicht übertrieben haben. Allerdings wird Trump wohl nächste Woche seine Kandidatur für 2024 bekannt geben. Nicht nur sein gigantisches Ego treibt ihn an, sondern auch die diversen juristischen Querelen, in die er verstrickt ist.
Ob er nominiert wird, ist weniger klar als auch schon. Ron DeSantis ist ihm auf den Fersen. Er hat Rückenwind durch seine klare Wiederwahl als Gouverneur von Florida. Trump stösst bereits versteckte Drohungen gegen ihn aus. Er weiss, dass die Republikaner den Bruch mit ihm nicht riskieren werden, weil sie auf seine devote Fangemeinde nicht verzichten können.
Der Grand Old Party stehen nach den ernüchternden Midterms unruhige Zeiten bevor. Aber auch die Demokraten haben kaum Grund zum Jubeln. Hätte der Oberste Gerichtshof im Juni nicht das Grundrecht auf Abtreibung ausradiert, wäre der befürchtete Tsunami über sie hinweggerollt. Der Unmut vieler Frauen hat sie vor dem Schlimmsten bewahrt.
Der Blick auf die politische Landkarte aber kann die Demokraten nur bedingt erfreuen. Der «ewige» Swing State Florida hat sich nicht nur wegen DeSantis innerhalb weniger Jahre zur Hochburg der Republikaner gewandelt. Und die Hoffnung, sie könnten den Staat Texas mit der Zeit zumindest «lila» einfärben, hat sich bislang höchstens in Ansätzen erfüllt.
Die Stimmen der Latinos fallen ihnen nicht so einfach in den Schoss, wie sie etwas blauäugig gedacht hatten. Und nicht nur der bald 80-jährige Joe Biden, sondern auch der Einfluss des linken Parteiflügels könnte zur Belastung werden. Forderungen wie «Defund the Police» schrecken Wählerinnen und Wähler ab, die sich in der politischen Mitte verorten.
Nachwahlbefragungen zeigen, dass viele Amerikaner beide Parteien als «zu extrem» empfinden. Wegen des knallharten Zweiparteien-Systems haben sie trotzdem kaum eine andere Wahl, als eine von ihnen zu wählen. Das geht gut, solange sie die demokratischen Spielregeln respektieren. Das ist im Fall der Republikaner immer weniger der Fall.
Nach dem Ausgang der Midterms müssten sie sich darüber Gedanken machen. Doch das wird kaum geschehen. Die amerikanische Demokratie mag fürs Erste gerettet sein. Aber über den Berg ist sie noch nicht.
Gefährliche Kindsköpfe .