Bei einem israelischen Angriff auf einen Konvoi am Montagabend sind sieben Mitarbeitende des Hilfswerks World Central Kitchen getötet worden, dies bestätigte die Organisation am Dienstag.
Bei den Opfern handelte es sich um einen amerikanisch-kanadischen Doppelbürger, einen palästinensischen Arbeiter sowie Personen aus Australien, Polen und Grossbritannien.
Der israelische Premierminister, Benjamin Netanjahu, hat am Dienstag zugegeben, dass ein «unbeabsichtigter» israelischer Angriff «unschuldige Menschen» im Gazastreifen getötet hat.
משתחרר מבית החולים הדסה עין כרם. תודה לרופאים על הטיפול ולכם על התפילות והתמיכה. pic.twitter.com/mhUdAXIzFY
— Benjamin Netanyahu - בנימין נתניהו (@netanyahu) April 2, 2024
In einer Videobotschaft auf Hebräisch sagte er:
Er ergänzt, dass so etwas im Krieg passiere. Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte, Israels Armee sei an internationales Recht gebunden. «Wir werden eine Untersuchung eröffnen, um diesen schwerwiegenden Vorfall weiter zu prüfen.»
Der israelischen Zeitung «Haaretz» zufolge ging der Angriff auf einen Terrorverdacht zurück. Die Streitkräfte hätten den Hilfskonvoi wegen der Vermutung attackiert, ein Terrorist sei mit ihm unterwegs gewesen, berichtete das Blatt unter Berufung auf nicht näher genannte Verteidigungsbeamte. Eine Einheit hatte demnach kurz vor der Einfahrt in die Lagerhalle einen bewaffneten Mann auf einem Lastwagen identifiziert, der beim Verlassen der Halle nicht mehr Teil der Autokolonne gewesen war.
Israels Präsident Izchak Herzog entschuldigte sich am Abend bei der WCK. Herzog habe mit José Andrés telefoniert und ihm sein tiefes Bedauern über den «tragischen Verlust der Leben der WCK-Mitarbeiter» ausgedrückt, schrieb der israelische Staatspräsident auf der Plattform X (vormals Twitter). Er habe dabei auch eine aufrichtige Entschuldigung ausgesprochen und den Angehörigen der Getöteten sein Beileid bekundet.
President @Isaac_Herzog initiated a telephone call with @WCKitchen founder, @chefjoseandres.
— Office of the President of Israel (@IsraelPresident) April 2, 2024
President Herzog expressed his deep sorrow and sincere apologies over the tragic loss of life of WCK staff in the Gaza Strip last night, and sent his condolences to their families and…
Auch der israelische Militärchef Herzi Halevi meldete sich zu Wort:
Er erklärte zudem, dass es sich um eine falsche Identifizierung gehandelt habe, welche unter «sehr komplexen Bedingungen» zustande kam. Halevi bestätigte zudem, dass eine unabhängige Kommission den Vorfall untersuchen werde. Die israelische Armee werde die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sofort umsetzen, um solche Tragödien künftig zu verhindern.
Erin Gore, CEO von World Central Kitchen, sprach gegenüber der «Washington Post» von einem «gezielten Angriff» der israelischen Streitkräfte. World Central Kitchen, eine gemeinnützige Organisation für Nahrungsmittelhilfe, wurde 2010 nach dem Erdbeben in Haiti vom aus Spanien stammenden Starkoch José Andrés gegründet.
Seit Kriegsbeginn war die Organisation massgeblich an den Hilfslieferungen in den Gazastreifen beteiligt und hatte sich jeweils mit den israelischen Behörden koordiniert:
Zudem seien die Helfer in einer «konfliktfreien Zone» unterwegs gewesen, so Gore. Und mindestens zwei Autos des Konvois seien mit dem Logo von World Central Kitchen gekennzeichnet gewesen. Verifizierte Bilder zeigen ein geschwärztes Loch im Firmenlogo auf dem Dach eines Fahrzeugs.
In einem Statement auf der Website von World Central Kitchen heisst es, dass der Betrieb in Gaza per sofort eingestellt werde. Zudem kündigte man baldige Entscheidungen «über die Zukunft unserer Arbeit treffen».
In einer Erklärung vom März gab World Central Kitchen an, seit Kriegsbeginn mehr als 35 Millionen Mahlzeiten serviert und mehr als 60 Gemeinschaftsküchen eröffnet zu haben. Auch die amerikanische Nahost-Flüchtlingshilfeorganisation, die in Zusammenarbeit mit World Central Kitchen täglich 150'000 warme Mahlzeiten in Gaza verteilt hatte, stellt den Betrieb ein, wie die «Washington Post» weiss.
Der Angriff sorgt bei anderen in Gaza aktiven Hilfsorganisationen für grosse Verunsicherung und Angst. Das Vertrauen in die Zusammenarbeit mit Israel ist erschüttert, wie mehrere Helfende erklärten.
«Jeder fühlt sich jetzt bedroht», zitierte die «New York Times» am Dienstag (Ortszeit) Michael Capponi, Gründer der Hilfsorganisation Global Empowerment Mission. Es müsse der internationalen Gemeinschaft von Nichtregierungsorganisationen «garantiert werden, dass wir bei unserer Arbeit, die so wichtig ist, sicher sind», forderte Capponi.
Israel riskiere, am Ende ohne Partner für die Bereitstellung und Lieferung humanitärer Hilfe in den Gazastreifen dazustehen, zitierte die «Times of Israel» einen Beamten der US-Regierung. Tess Ingram, Sprecherin des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (Unicef), sagte der Zeitung «New York Times», sie hoffe, dass der Tod der Mitarbeiter von WCK im Gazastreifen «die Welt dazu bringen wird, zu erkennen, dass das, was hier passiert, nicht in Ordnung ist».
«Die Nachricht von dem Angriff ist entsetzlich – ein wahr gewordener Albtraum für uns», sagte Soraya Ali, Sprecherin der Organisation Save the Children, der US-Zeitung.
Die Palästinensische Rothalbmondgesellschaft (PRCS) gab bekannt, dass sie die toten Körper der sieben Helfer am Dienstagmorgen in einer «herausfordernden Operation» geborgen und in den südlichen Gazastreifen ins al-Najjar-Spital transportiert habe.
In a challenging operation spanning several hours, teams from the Palestinian Red Crescent Society (PRCS) successfully recovered the bodies of the seven World Central Kitchen (WCK) employees this morning. They were targeted by Israeli occupation forces yesterday evening while…
— PRCS (@PalestineRCS) April 2, 2024
Der Direktor des Spitals sagte gegenüber der «Washington Post», dass bei einigen der Opfer nur noch einzelnen Gliedmassen vorhanden seien. Alle hätten sie jedoch Kleidung von Worlds Central Kitchen getragen.
Die Leichen bleiben vorerst im Spital in Gaza, bis die zuständigen Botschaften oder konsularischen Vertreter sie abholen kommen. Danach sollen sie über den Grenzübergang in Rafah in ihre Heimatländer geschafft werden.
Die Familie der getöteten Mitarbeiterin aus Australien sagte, die 43-Jährige sei ums Leben gekommen, «während sie die Arbeit verrichtete, die sie liebte». Sie werde «ein Vermächtnis des Mitgefühls, des Mutes und der Liebe für alle in ihrem Umkreis hinterlassen».
In der Nacht auf Dienstag (Schweizer Zeit) meldete sich US-Präsident Joe Biden zu Wort. Er kritisierte Israel scharf: «Dieser Konflikt ist einer der schlimmsten in jüngerer Zeit, was die Zahl der getöteten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen angeht.» Der Demokrat sagte weiter:
Dies sei einer der Hauptgründe, warum die Verteilung der humanitären Hilfe im Gazastreifen so schwierig sei. Biden forderte zudem eine zügige Untersuchung und eine Veröffentlichung der Ergebnisse. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Der US-Präsident erklärte, er sei «empört und untröstlich» über den Tod der humanitären Helfer, unter denen ein Amerikaner gewesen sei.
Ähnlich äusserte sich der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, Martin Griffiths. Er hob den Mut der sieben getöteten humanitären Helfer in Gaza hervor. Auf X schrieb er:
Bidens Aussenminister Antony Blinken fordert von Israel ebenfalls eine «rasche, gründliche und unabhängige Untersuchung». Er habe direkt mit der israelischen Regierung gesprochen und Aufklärung verlangt, sagte Blinken am Dienstag in Paris nach einem Treffen mit seinem französischen Amtskollegen Stéphane Séjourné.
«Wie schon während des gesamten Konflikts haben wir die Israelis darauf hingewiesen, dass sie unbedingt mehr tun müssen, um das Leben unschuldiger Zivilisten zu schützen – seien es palästinensische Kinder, Frauen und Männer oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen – und um mehr humanitäre Hilfe für mehr Menschen zu leisten.»
Humanitäre Helfer müssten geschützt werden und es dürfe nicht die Situation entstehen, in der Helfer selber in Gefahr gerieten, sagte Blinken. Sowohl er als auch Präsident Joe Biden hätten bei jeder Gelegenheit von Israel mehr Platz für humanitäre Hilfe eingefordert. Hilfe müsse nicht nur in den Gazastreifen gelangen, sondern dort auch verteilt werden können.
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez verurteilte den Angriff ebenfalls:
Der britische Aussenminister David Cameron sprach von einer «zutiefst erschütternden» Nachricht. Und auch Ägypten verurteilte den Angriff scharf. Ägypten fordere eine dringende und ernsthafte Untersuchung, um die Verantwortlichen «für diese systematischen und vorsätzlichen Verletzungen der palästinensischen Menschenrechte zur Rechenschaft zu ziehen».
Die deutsche Politikerin Sahra Wagenknecht fordert ein sofortiges Waffenembargo gegen Israel. «Das Sterben in Gaza und die Angriffe Israels in Nachbarländern müssen unverzüglich enden», sagte sie. «Dass Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen, die Hungernde versorgen wollten, ins Visier der israelischen Armee geraten sind, muss Konsequenzen haben.»
(yam/con, mit Material der sda)