Ostern ist der höchste christliche Feiertag. Für das Heilige Land bedeutet dies in der Regel einen Grossaufmarsch an Pilgern. Nicht so in diesem Jahr. Obwohl es in Jerusalem ruhig ist, sind wenige ausländische Besucher angereist. «Es ist wie während der Corona-Pandemie, nur schlimmer», klagt Jassir, der Besitzer eines Souvenirladens an der Via Dolorosa.
Die meisten Touristen sähen die Kriegsbilder im Fernsehen und hätten Angst, herzukommen, sagte er dem deutschen Evangelischen Pressedienst. Zahlreiche Länder haben zudem Reisewarnungen erlassen, so auch die Schweiz. Die Kirchenoberhäupter in Jerusalem fordern in ihrer Osterbotschaft eine sofortige und anhaltende Waffenruhe im Gaza-Krieg.
Ziemlich genau sechs Monate sind vergangen, seit Hamas-Terroristen die Grenzbefestigung zum Gazastreifen durchbrochen und 1200 Menschen getötet hatten. Rund 250 Personen wurden als Geiseln nach Gaza verschleppt. Etwas mehr als 100 wurden während einer kurzen Feuerpause im November gegen palästinensische Häftlinge ausgetauscht.
Über einen neuen Deal zur Freilassung der etwa 100 Geiseln, die vermutlich noch am Leben sind, wird seit Wochen in Doha verhandelt, der Hauptstadt von Katar. Damit verbunden wäre eine längere Waffenruhe. Die Berichte sind widersprüchlich. Mal war von einem nahen Durchbruch die Rede, doch zuletzt schienen sich die Fronten wieder verhärtet zu haben.
Der Terror vom 7. Oktober 2023 hat Israel traumatisiert. Doch nach bald sechs Monaten Krieg sind die Erfolge überschaubar. Grosse Teile der Hamas-Infrastruktur wurden zerstört, doch besiegt sind die Islamisten nicht. Wie einer Hydra wachsen ständig neue Köpfe nach, wie die jüngsten Kämpfe im vermeintlich «befriedeten» Norden des Gazastreifens zeigen.
Mehrere Hamas-Bataillone sollen sich ausserdem in der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten verschanzt haben. Es ist das Ziel des umstrittenen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, sie zu eliminieren. Damit vertieft er den Konflikt mit den USA, dem wichtigsten Unterstützer Israels. Die Regierung Bidens lehnt eine Bodenoffensive in Rafah ab.
Das Problem sind die rund 1,4 Millionen palästinensischen Zivilisten, die in den Grenzort im Süden des Gazastreifens geflüchtet sind. Israel hatte sie zu Kriegsbeginn ausdrücklich dazu aufgefordert. Die Regierung spricht vage von Fluchtkorridoren, doch die USA fürchten, dass sich die ohnehin gravierende humanitäre Katastrophe weiter verschärfen wird.
Ein Signal war die Stimmenthaltung im UNO-Sicherheitsrat, mit der die USA einer Resolution für eine «sofortige Waffenruhe» zum Durchbruch verhalfen. Am Dienstag warnte Verteidigungsminister Lloyd Austin seinen israelischen Amtskollegen Joav Galant, die Zahl der zivilen Opfer sei «viel zu hoch» und das Ausmass der humanitären Hilfe «viel zu gering».
Aussenminister Antony Blinken schilderte in einem Interview mit der BBC die Lage in düsteren Farben. 100 Prozent der Bevölkerung in Gaza leiden demnach unter einer akuten Unsicherheit bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln: «Es ist das erste Mal, dass eine gesamte Bevölkerung dermassen eingestuft wird», sagte Blinken in Manila.
Für Volker Türk, den UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, ist es eine «plausible Annahme», dass Israel den Hunger als Waffe im Gaza-Krieg einsetzt. Dies würde auf ein Kriegsverbrechen hinauslaufen, sagte der Österreicher der BBC. Die israelische Regierung weist dies vehement zurück, doch bereits sollen Kinder an Unterernährung gestorben sein.
Die humanitäre Katastrophe sorgt auch in den USA für einen Stimmungswandel. Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Gallup-Umfrage lehnen 55 Prozent das militärische Vorgehen Israels in Gaza ab. Nur 36 Prozent sprachen sich dafür aus. Im letzten November hatten noch 50 Prozent Israels Krieg unterstützt, 45 Prozent waren dagegen.
Dies wird den Rückhalt für Israel in Washington kaum stärken. Für Präsident Joe Biden geht es auch um die Wahlen im November. Er ist unter Druck von jungen, linken und muslimischen Wählerinnen und Wählern, die den Gaza-Krieg vehement ablehnen. Biden gibt sich kaum noch Mühe, seinen Ärger über Benjamin Netanjahu zu verbergen.
Der israelische Regierungschef verwendet gerne starke Worte, doch faktisch kämpft er um sein politisches Überleben. Eine deutliche Mehrheit der israelischen Bevölkerung macht ihn verantwortlich dafür, dass die Grenze zu Gaza am 7. Oktober ungeschützt war und die Hamas-Terroristen zuschlagen konnten. Bei Neuwahlen droht Netanjahu eine Schlappe.
Deshalb klammert er sich an die Macht und ist dabei abhängig von den Rechtsextremen in seiner Koalition. Sie träumen von einer Vertreibung der Palästinenser und einer erneuten Besiedelung von Gaza, was etwa so realistisch ist wie die baldige Ankunft des Messias. Ein überzeugendes Konzept für die Zeit nach dem Krieg aber kann Netanjahu nicht vorweisen.
Die Kämpfe in Gaza sind zwar abgeflaut und in eine Art Kleinkrieg übergegangen. Auch fliegen nur noch wenige Raketen Richtung Israel. Doch selbst wenn die Hamas physisch besiegt wird, lässt sich der Extremismus in den Köpfen nicht ausmerzen. Letztlich hat der Krieg Israel in eine Sackgasse geführt, und ein Ausweg ist derzeit nicht in Sicht.
Gleiches lässt sich jedoch auch von der Hamas behaupten. Falls die Terrororganisation gehofft hat, mit dem Angriff auf Israel einen Flächenbrand entzünden zu können, hat sie sich gründlich verrechnet. Zwar kommt es regelmässig zu Feuergefechten mit der Hisbollah im Libanon, doch vor einem ausgewachsenen Krieg mit Israel schreckt die Schiitenmiliz zurück.
Auch die vom Iran unterstützten Milizen in Irak und Syrien verhalten sich relativ ruhig, nachdem zwischenzeitlich eine Eskalation mit den USA gedroht hatte. Einzig die Huthi-Rebellen im Jemen greifen weiterhin Schiffe im Roten Meer an. Selbst der islamische Fastenmonat Ramadan hat bislang nicht zu einer Gewalteskalation geführt.
Die Hamas-Führung scheint darüber frustriert zu sein. Ihr militärischer Arm rief am Mittwoch via Telegram zu einem «Marsch auf Jerusalem» auf. Die arabischen Staaten aber haben keinen ihrer mit Israel geschlossenen Friedensverträge aufgekündigt. Selbst Saudi-Arabien schliesst eine Normalisierung mit dem jüdischen Staat weiterhin nicht aus.
Als Voraussetzung müsse Israel einen Plan zur Schaffung eines Palästinenserstaats vorlegen, was Netanjahu bislang ablehnt. Ideen kursieren jedoch bereits, denn es ist die einzige tragfähige Lösung für dieses an Ostern 2024 so unheilige Land.
Der Plan zur Zweistaaten-Lösung existiert ja. Wurde leider in der Zeit von Netanjahu systematisch unterwandert.
Solange auf beiden Seiten Extremisten zündeln können, wird es keinen Frieden geben. Und leider sind ja nicht nur diese beiden Parteien involviert. Verschiedene Akteure, allen voran der Iran, haben kein Interesse an einem nachhaltigen Frieden und tun alles, um den zu verhindern.