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2015 war das beste Jahr in der Geschichte der Menschheit

Schulklasse in Soweto (Südafrika): Die Zahl der Kinder ohne Schulbildung nimmt stark ab.
Bild: SIPHIWE SIBEKO/REUTERS

Alles immer schlimmer? Von wegen! 2015 war das beste Jahr in der Geschichte der Menschheit

Europa hat ein Krisenjahr hinter sich. Viele haben das Gefühl, auf der Welt gehe alles den Bach hinunter. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Der Menschheit ging es nie so gut wie heute.
31.12.2015, 09:5503.01.2016, 08:24
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Die Weihnachtskarte eines Freundes bringt auf den Punkt, was viele denken: «Werden wir älter und verstehen deshalb vieles nicht mehr in der ‹modernen› Welt? Oder wird die Welt einfach immer verrückter? Das frage ich mich oft.» Wer kann es ihm verübeln. Blickt man zurück auf das Jahr 2015, fallen einem in erster Linie negative Dinge ein: Krieg, Terrorismus, Flüchtlingsströme.

Die 31 eindrücklichsten Bilder des Flüchtlingsdramas 2015

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Die 31 eindrücklichsten Bilder des Flüchtlingsdramas 2015
Mazedonisch-griechische Grenze bei Gevgelija. (21. August 2015)
quelle: epa/epa / georgi licovski
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Der europäische Kontinent hat ein Jahr voller Krisen hinter sich, daran ist nichts zu deuteln. Die Herausforderungen sind enorm und die kurzfristigen Perspektiven nicht rosig. Viele sehen die Welt deshalb in düsteren Farben, sie glauben, alles werde immer schlimmer.

Ist das so?

Wenn wir uns vom eurozentrischen Tunnelblick lösen, ergibt sich ein weitaus erfreulicheres Gesamtbild. Im globalen Kontext war 2015 «das beste Jahr in der Geschichte für den Durchschnittsmenschen», wie das US-Magazin The Atlantic schreibt. Mit anderen Worten: Der Menschheit als Ganzes ging es nie so gut wie heute.

Beispiele gefällig?

Kriege

In diesem Bereich sieht es auf den ersten Blick schlecht aus. Die Zahl der bewaffneten Konflikte ist gemäss dem schwedischen Uppsala Conflict Data Program (UCDP) seit 2010 von 31 auf 40 gestiegen. Trotz des grausamen Bürgerkriegs in Syrien aber, ist die Zahl der Kriegstoten deutlich geringer als in den Waffengängen des 20. Jahrhunderts. Während wir uns an den Kalten Krieg als Zeit der Stabilität erinnern, hatten die Grossmächte weltweit viele blutige «Stellvertreterkriege» ausgefochten. Heute dagegen finden kaum noch zwischenstaatliche Kriege statt.

Vertreter der verfeindeten Lager feiern die Unterzeichnung des Friedensabkommens für Libyen.
Vertreter der verfeindeten Lager feiern die Unterzeichnung des Friedensabkommens für Libyen.
Bild: STR/EPA/KEYSTONE

Dafür werden immer mehr Konflikte auf diplomatischem Weg gelöst. Bestes Beispiel war das Atomabkommen mit dem Iran. Die USA und Kuba haben nach jahrzehntelanger Eiszeit ihre Botschaften wieder eröffnet. In Kolumbien scheint ein Frieden zwischen Regierung und FARC-Guerilla in Griffweite. In Libyen haben die verfeindeten Parteien ein Friedensabkommen unterzeichnet, und im Januar finden erstmals Gespräche zwischen der syrischen Regierung und der Opposition statt. Der Ukraine-Konflikt konnte zumindest eingedämmt werden.

Demokratie

Autokraten wie Putin und Erdogan beherrschen die Schlagzeilen und erwecken den Eindruck, die Demokratie sei auf dem Rückmarsch. Das Gegenteil ist der Fall: Im Kalten Krieg waren nur einige Dutzend Länder demokratisch regiert, heute sind es laut der US-Denkfabrik Freedom House 125. Auch wenn weniger als die Hälfte vollständig «frei» sind, sind Fortschritte nicht zu übersehen: Der Machtwechsel in Nigeria, der Wahlsieg der Opposition in Myanmar oder die Gemeindewahlen in Saudi-Arabien mit Beteiligung der Frauen.

An den Gemeindewahlen in Saudi-Arabien durften erstmals Frauen teilnehmen.
An den Gemeindewahlen in Saudi-Arabien durften erstmals Frauen teilnehmen.
Bild: AHMED YOSRI/EPA/KEYSTONE

In Lateinamerika waren in den 1980er Jahren überwiegend Diktatoren an der Macht. Heute ist das von den hiesigen Linken gerne verklärte Kuba das letzte undemokratische Relikt in der Region. Selbst im chavistischen Venezuela konnte die Opposition bei den Parlamentswahlen einen Erdrutschsieg feiern. In der arabischen Welt bleibt Tunesien trotz Rückschlägen ein Hoffnungsschimmer.

Armut

In diesem Bereich sind die Fortschritte besonders eindrücklich. So ist die Zahl der unterernährten Menschen seit 1990 von 19 auf 11 Prozent gesunken. Das sind immer noch viel zu viele, aber die Richtung stimmt. Gleiches gilt für die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben und mit weniger als 1.90 Dollar pro Tag auskommen müssen. Lag ihr Anteil 1990 noch bei 37 Prozent, so sank er gemäss der Weltbank im September 2015 erstmals überhaupt auf unter zehn Prozent der Weltbevölkerung. «Wir sind die erste Generation in der Menschheitsgeschichte, die die extreme Armut beenden kann», meinte Weltbankpräsident Jim Yong Kim.

Ein Slum in Manila (Philippinen): Immer weniger Menschen leben in extremer Armut.
Ein Slum in Manila (Philippinen): Immer weniger Menschen leben in extremer Armut.
Bild: MARK R. CRISTINO/EPA/KEYSTONE

In dieses Bild passt, dass sich die Kindersterblichkeit seit 1990 mehr als halbiert hat, von 90 auf 43 Todesfälle pro 1000 Lebendgeburten oder von 12,7 auf rund 6 Millionen weltweit. Gleichzeitig erhalten immer mehr Kinder eine Schulbildung. Die Zahl der Kinder, die keine Schule besuchen, sank laut Angaben der UNO seit dem Jahr 2000 von rund 100 auf 57 Millionen. Und während damals 81 Mädchen pro 100 Knaben einen Schulabschluss machten, sind es heute 93. Die Analphabetierungsrate sank in diesen 15 Jahren von 18 auf 14 Prozent der Weltbevölkerung.

Krankheiten

2014 dominierte die Ebola-Epidemie in Westafrika die Schlagzeilen. Nun hörte man kaum mehr davon. Im November 2015 wurden in den betroffenen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone noch vier Neuansteckungen verzeichnet. Gleichzeitig machte die Entwicklung eines Impfstoffs grosse Fortschritte. Auch im Kampf gegen Malaria gibt es Ermutigendes zu vermelden, die Zahl der Infektionen ist seit 2000 um 37 Prozent zurückgegangen.

Polioimpfung in Pakistan, dem einzigen Land neben Afghanistan, in dem die Kinderlähmung 2015 noch vorkam.
Polioimpfung in Pakistan, dem einzigen Land neben Afghanistan, in dem die Kinderlähmung 2015 noch vorkam.
Bild: SHAHZAIB AKBER/EPA/KEYSTONE

Die Kinderlähmung wütete 1988 noch in 125 Ländern. 2015 wurde in Afrika erstmals kein einziger neuer Fall verzeichnet. Heute existiert die Krankheit nur noch in Afghanistan und Pakistan, wo Impfstoffe häufig als westliche Verschwörung verteufelt werden. Der amerikanische Kontinent wiederum ist die erste Weltgegend, in der die Röteln 2015 ausgerottet werden konnten. Ein 15 Jahre dauerndes Impfprogramm hat den Durchbruch ermöglicht.

Klimawandel

2015 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Auch bei uns spielte das Wetter verrückt, mit Sommerhitze und einem bislang viel zu milden und vor allem zu trockenen Winter. Ein Zusammenhang mit dem Klimawandel ist immer offensichtlicher. Umso wichtiger war der Durchbruch bei der Weltklimakonferenz in Paris. 195 Länder plus die Europäische Union einigten sich, die globale Erwärmung auf unter 2 Grad zu beschränken.

Wind- und Solarkraftwerke in Spanien: Erneuerbare Energien werden immer konkurrenzfähiger.
Wind- und Solarkraftwerke in Spanien: Erneuerbare Energien werden immer konkurrenzfähiger.
Bild: Getty Images Europe

Papier mag geduldig sein, doch allein die Tatsache, dass kaum noch jemand die Notwendigkeit von Massnahmen gegen den Klimawandel bestreitet, ist ein Fortschritt. Und trotz des tiefen Ölpreises gibt es zahlreiche Bestrebungen von öffentlicher und privater Seite, die Kosten erneuerbarer Energien zu senken und sie konkurrenzfähig zu machen. Ein Beispiel ist die gigantische Batteriefabrik, die Tesla-Gründer Elon Musk in der Wüste von Nevada errichtet.

Die Menschheit befindet sich auf guten Wegen. Setzen sich die geschilderten Trends im gleichen Tempo fort, werden Kindersterblichkeit und extreme Armut bis 2030 weitgehend eliminiert sein und fast alle Kinder eine Schulbildung erhalten. In Europa dagegen haben wir diese Ziele weitgehend erreicht, weshalb wir viel sensibler auf negative Entwicklungen reagieren.

Unsere Generation hatte und hat das Privileg, in einem Europa zu leben, das so friedlich und wohlhabend ist wie nie seit dem Auftauchen der ersten Menschen. Daraus entstehen Verlustängste, wir fühlen uns bedroht, wenn plötzlich Tausende Flüchtlinge auftauchen. Dabei kommen sie zu uns, weil es uns so gut geht. Und der Terrorismus des «Islamischen Staats» ist nicht etwa ein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche.

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Die Brutalität der Steinzeit-Islamisten ist ein Rückzugsgefecht gegen die Moderne. Ihr Einschüchterungspotential entsteht aus dem durchaus modernen Umgang mit den neuen Medien. Alles wird ins Internet gestellt und von den «klassischen» Medien reproduziert. Daraus entsteht, was der Berliner Politologe Eberhard Sandschneider als «Wissensparadox» bezeichnet: Wir wissen mehr, aber verstehen weniger.

Deshalb glauben viele Menschen, dass die Welt immer verrückter wird. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Man darf 2015 als das beste Jahr in der Geschichte der Menschheit bezeichnen. Und 2016 dürfte nochmals besser werden.

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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Typu
31.12.2015 10:52registriert Oktober 2015
Menschen die viel zu verlieren haben und auch das gefühl verlieren zu können, haben diese pessimistische grundstimmung. Wir schweizer denken und befürchten ständig viel verlieren zu können. Böse ausländer nehmen jobs weg, drücken die löhne, wir verlumpen ab den steigenden versicherungskosten, etc bla bla bla. Leider kann ich mich demm auch nicht gänzlich freisagen.
Aber ist schon leider so. Wir sind keine gesellschaft im aufschwung und erleben die welt aus einer gesättigten, trägen perspektive.
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M. Sig
31.12.2015 10:08registriert März 2015
Danke
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DerWeise
31.12.2015 12:28registriert Februar 2014
Tja, würdest du den Punkt Umwelt (Lebenräume/Tierarten) dazunehmen könntenst du den Artikel wohl in die Tonne treten.
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