International
Lateinamerika

Erschossen vor der Kamera, getötet an der Haustür

Valeria Marquez
Valeria Márquez wurde in ihrem Salon in Zaopan, Mexiko, während eines Livestreams ermordet.bild: instagram

Erschossen vor der Kamera, getötet an der Haustür

Nur wenige Tage nacheinander wurden in Mexiko und in Kolumbien junge Frauen unter ähnlichen Umständen getötet. Was steckt dahinter?
22.05.2025, 07:3222.05.2025, 07:32
Natasha Hähni / ch media
Mehr «International»

Valeria Márquez sitzt an einem Tisch in ihrem Salon in Zapopan, Mexiko. Sie zeigt ihren Fans gerade per Livestream ein Stoffschweinchen, das sie bekommen hat. Sie lächelt in die Kamera, wirft ihre langen blonden Haare über die Schulter. Dann blickt sie in Richtung Eingang. Das Schweinchen hält sie immer noch im Arm.

Im Hintergrund ist eine Stimme zu hören. «Hey, Vale?», sagt ein Mann. Sie antwortet mit «Ja», bevor sie das Mikrofon stumm schaltet. Das Bild läuft weiter. Sekunden später fallen Schüsse. Márquez wird vor den Augen Tausender Zuschauer auf Tiktok getötet.

Nur zwei Tage später wird die Kolumbianerin Maria José Estupiñán vor ihrem Zuhause in Cúcuta erschossen – am helllichten Tag. Die 22-Jährige war zuvor Opfer häuslicher Gewalt geworden. Sie hatte ihren Ex-Partner deshalb mehrfach angezeigt. Einen Tag vor der Tat hatte ein Richter zu Estupiñáns Gunsten entschieden und eine Entschädigung von rund 7000 Dollar angeordnet.

Die meisten Täter werden nicht bestraft

Die beiden Morde haben in Lateinamerika eine Welle der Entrüstung ausgelöst. Erst im vergangenen Monat hatte die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum verkündet, dass die Anzahl Femizide im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen ist. Der Trend halte sich, hiess es. Tatsächlich gab es schon im Jahr 2023 13 Prozent weniger registrierte Femizide als im Vorjahr. Das Problem: 13 Prozent weniger sind immer noch 827 Fälle in einem Jahr.

Damit zählt Mexiko zu einem der gefährlichsten Länder für Frauen. Hinzu kommt, dass dies nur die Morde sind, die explizit als Femizid eingestuft sind – also Tötungen, bei denen eine Frau gezielt wegen ihres Geschlechts getötet wurde, etwa durch Partner, Ex-Partner oder im Kontext struktureller Gewalt. Insgesamt wurden im Jahr 2023 über 3400 Frauen in Mexiko getötet. In Kolumbien sind die Zahlen auf einem ähnlichen Level. In den meisten Fällen werden die Taten nie aufgeklärt.

Trotz des leichten Rückgangs bleibt die Situation also alarmierend. Zum Vergleich: Laut dem Projekt Stop-Femizid wurden in der Schweiz im Jahr 2023 insgesamt neunzehn Femizide verübt. Eine offizielle Erfassung gibt es hier jedoch nicht.

«Die Frauen sind schutzlos»

«Der brutale Mord an María José ist das Ergebnis eines Systems, das Gewalt gegen Frauen normalisiert», sagt Alejandra Vera, die Leiterin eines feministischen Kollektivs in Kolumbien, zum britischen «Guardian» über den Mord an Estupiñán. Dieser wäre ihrer Meinung nach «vermeidbar» gewesen, hätte der Staat gehandelt.

Ein Richter hatte gerade dem gewalttätigen Ex-Partner von Maria José Estupiñán befohlen, ihr mehrere tausend Dollar Entschädigung zu bezahlen. Aber: «Es gibt keine wirksamen Schutzanordnungen, keine Nachsorge für Missbrauchstäter und keine Frauenhäuser mit der nötigen Kapazität. Die Frauen sind völlig schutzlos, und die Täter wissen das», so Vera.

Im Fall von Valeria Márquez in Mexiko hatte der mutmassliche Täter Untersuchungen zufolge bereits nach der jungen Frau gefragt, als sie noch nicht im Studio war. Die Tat hat auch wegen ihrer öffentlichen und brutalen Art Aufmerksamkeit und Schock ausgelöst. «Valeria war lebensfroh, ehrgeizig – und wurde zur Zielscheibe, weil sie sichtbar war», sagt eine Freundin von Márquez zu lokalen Medien.

María José Estupiñán hatte im Kampf gegen Gewalt durch ihren Ex-Partner ihren ersten Erfolg errungen. «Sie hatte gerade erst begonnen, für ihre Rechte zu kämpfen», sagt Luz Adriana Acosta von der kolumbianischen Kommission für Geschlechtergerechtigkeit. Nun müssen andere diesen Kampf weiterführen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
16 Kommentare
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Bruno Wüthrich
22.05.2025 07:58registriert August 2014
Ich frage mich gerade, weshalb denn all die anderen Frauen getötet wurden. Von den 3400 Frauenmorden wurden ja "nur" 827 als Femizid eingestuft.

Mit 827 finden in Mexico, gerechnet auf die Bevölkerungszahl, rund drei Mal mehr Femizide statt als in der Schweiz. Dies einfach als Hinweis. Die Zahl 827 gegen unsere 19 erscheint also krasser, als sie ist (oder im Umkehrschluss: wir sind damit nicht so gut, wie es auf den ersten Blick scheint).

Mexico ist ein anderes Land mit anderen Sitten, das - trotz westlicher Welt - in seiner Entwicklung an einem ganz anderen Punkt steht als die Schweiz.
317
Melden
Zum Kommentar
16
    Vier Männer wollen in sieben Tagen auf den Everest und zurück – Teil 1 ist geschafft

    Die Besteigung des Mount Everest oder eines anderes 8000ers nimmt in der Regel Wochen oder Monate in Anspruch. Neu werden auch Express-Trips angeboten. Bei der ersten Expedition dieser Art sind die Bergsteiger nun erfolgreich auf dem Gipfel angekommen.

    Zur Story