Schweiz
Romandie

Femizid in Epagny: Warum verhinderte Polizei die Tat nicht?

Une vue d'une maison apres un incendie le jeudi 10 avril 2025 a Epagny dans le canton de Fribourg. A Epagny dans le canton de Fribourg, le corps d'une victime a ete retrouve dans une maison  ...
Das Haus im freiburgischen Epagny, in dem es am 10. April zum Drama kam.Bild: keystone

Der Femizid von Epagny FR wirft Fragen auf

Die Schweiz verzeichnet 2025 bislang mehr Femizide als in anderen Jahren. Das Drama von Epagny FR heizt die politische Debatte um mehr Gelder an: Der Täter war zuvor inhaftiert und besuchte ein Anti-Gewalt-Coaching. Die Hintergründe.
16.04.2025, 14:57
Julian Spörri / ch media
Mehr «Schweiz»

Die Liste des Grauens wächst dieses Jahr besonders schnell. Bereits 14 Femizide verzeichnet die Schweiz 2025, während im ganzen Vorjahr 21 Frauen von Männern im familiären Umfeld getötet wurden. Das jüngste Drama ereignete sich in Epagny FR. Ein 41-jähriger Mann kosovarischer Herkunft erschoss letzten Donnerstag seine 39-jährige Frau, als diese am Wohnsitz ihres Arbeitgebers den Haushalt machte. Der Täter steckte mutmasslich das Haus in Flammen und richtete sich danach selbst.

Der Fall treibt die Romandie seit Tagen um. Denn die Vorwürfe der häuslichen Gewalt waren den Behörden bekannt. Warum konnten sie den Femizid nicht verhindern? Im Brennpunkt der – politischen – Debatte stehen zwei Massnahmen, die wirkungslos blieben. Und eine Massnahme, die nicht zum Zug kam.

Die Grenzen der Untersuchungshaft

Der Täter von Epagny verbrachte Ende 2024 zweieinhalb Monate in U-Haft. Seine Frau warf ihm Drohungen, physische und sexuelle Gewalt vor – zog die Anschuldigung zur sexuellen Gewalt indes Anfang Dezember zurück. In der Folge wurde der Mann unter Auflagen freigelassen: Er musste seiner Frau und den Kindern auf 200 Metern fernbleiben, ein Coaching besuchen und regelmässig seinen Bewährungshelfer treffen.

Der Freiburger Generalstaatsanwalt Fabien Gasser hielt nach der Tat fest, dass Todesdrohungen im häuslichen Umfeld kein Einzelfall seien. Normalerweise habe eine mehrmonatige Haft aber einen abschreckenden Effekt, sagte er zum Westschweizer Radio RTS. Dies gelte besonders, wenn der Täter wie vorliegend zuvor noch nie im Gefängnis sass.

Warum der Effekt nicht zum Tragen kam und welche Fehler allenfalls gemacht wurden, wird nun analysiert. Aus Sicht von Gasser bleibt jedoch immer ein Restrisiko: «Wenn man das Risiko wirklich auf null reduzieren wollte, müsste man alle Personen, die Todesdrohungen aussprechen, für sehr lange Zeit inhaftieren. Das hätte aber eine enorme Gefängnispopulation zur Folge.» Anders gesagt: Es braucht andere Mittel, um die Risiken zu minimieren.

Das Täter-Coaching, dem die Ressourcen fehlen

Hier hätte auch das Coaching ansetzen sollen, das der 41-Jährige nach seiner Freilassung besuchen musste. Es handelte sich um ein Anti-Gewalt-Programm des Freiburger Vereins EX-pression. Dessen Direktor Lionello Zanatta beschwerte sich am Montag bei RTS über mangelnde Ressourcen. «Ich denke, das grosse Problem liegt in den fehlenden Mitteln, insbesondere in den Institutionen und im gemeinnützigen Bereich, um eine qualitative Betreuung gewährleisten zu können.» Die Anfragen für Coachings hätten sich in fünf Jahren verdreifacht.

Jessica Jaccoud, SP-VD, spricht zur Grossen Kammer, an der Fruehjahrssession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 14. Maerz 2024 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
SP-Nationalrätin Jessica Jaccoud.Bild: keystone

Der Grund: Nicht nur werden immer mehr Fälle von häuslicher Gewalt aufgedeckt, sondern man will die Betreuung der Täter auch auf einen längeren Zeitraum ausbauen. «Das macht mehr finanzielle Ressourcen unerlässlich», sagt die Waadtländer SP-Nationalrätin Jessica Jaccoud.

Ende März reichten die SP-Frauen mit NGO, Frauenorganisationen und linken Parteien in Bern eine Petition mit 21'400 Unterschriften ein. Sie fordert, dass der Bund 350 Millionen Franken für die Sicherheit von Frauen spricht – für die Opferbetreuung, aber eben auch für die Täterbegleitung. Jaccoud stellt klar: «Wenn die Bekämpfung der Femizide eine nationale Priorität sein soll – und das muss sie -, dann kann der Bund die finanzielle Verantwortung nicht auf die Kantone abschieben.»

In Freiburg hielt Sozialdirektor Philippe Demierre (SVP) seinerseits fest, dass sein Kanton die finanziellen Mittel im Bereich der häuslichen Gewalt laufend erhöhe. Er warnte vor voreiligen Schlüssen.

Die Krux mit der elektronischen Fussfessel

Der Täter von Epagny wurde elektronisch nicht überwacht. In der Schweiz wäre eine solche Massnahme bei häuslicher Gewalt seit 2022 zwar möglich. Doch gibt es zwei Aber. Das Opfer muss einen Antrag stellen. Und auch wenn das Zivilgericht zustimmt, handelt es sich nur um eine passive Überwachung. Die Polizei kann zwar die Einhaltung von Rayonverboten im Nachhinein kontrollieren, im Notfall aufgrund der Übertragungsverzögerung jedoch nicht schnell genug eingreifen.

Auch laut Staatsanwalt Fabien Gasser hätte die Polizei in Epagny wohl nichts bewirken können, wenn der Täter elektronisch überwacht worden wäre. Denn der Mann sei «sehr zielstrebig» vorgegangen.

Um diese unbefriedigende Situation zu ändern, läuft in Zürich ein Pilotprojekt, bei dem die Bewegungen von Täter und Opfer von häuslicher Gewalt rund um die Uhr elektronisch aktiv verfolgt werden. Zudem verlangt eine parlamentarische Initiative der Genfer SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz, dass der Bund die Gesetzesgrundlagen für die aktive Täterüberwachung schafft.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
«Am Anfang war alles gut. Dann veränderte er sich»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
112 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Wolf von Sparta
16.04.2025 15:19registriert Februar 2019
Daten zeigen, dass etwa 44 % der Täter eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen, obwohl Ausländer nur rund 25 % der Bevölkerung ausmachen. Diese Überrepräsentation ist besonders bei schwereren Taten wie Femiziden und Tötungen im häuslichen Kontext auffällig... das wäre wohl auch zu bedenken.. schrecklich das wir in unserer Gesellschaft kein Stück weiter kommen.. zumindest in dieser Thematik!
13845
Melden
Zum Kommentar
avatar
Hans Hampelmann
16.04.2025 16:08registriert Februar 2024
Es ist naiv zu glauben, dass Täter deren ganzes Denken durch ein grundlegend anderes Wertesystem geprägt wurde, sich durch ein paar Stunden Coaching ändern lassen. Insbesondere wenn die eigene Ehre und die Ehre der ganzen Familie auf dem Spiel stehen, kommt noch ein externer Druck hinzu. Wenn ich nach Afghanistan auswandern würde, würde ich ja auch nicht beginnen meine Frau zu schlagen oder einzusperren, auch wenn es mir in 20 Stunden Coaching so beigebracht würde…
10723
Melden
Zum Kommentar
avatar
Madison Pierce
16.04.2025 15:34registriert September 2015
Morde mit anschliessendem Suizid lassen sich durch Strafandrohungen oder Untersuchungshaft kaum verhindern. Sobald man solche Leute freilässt, besteht die Gefahr, dass sie ihre Drohung in die Tat umsetzen.

In diesem Fall hätte eine Untersuchungshaft bis zum Prozess und Ausschaffung unmittelbar danach vielleicht geholfen.
758
Melden
Zum Kommentar
112
Bergsteiger verunglückt am Pizzo Badile bei Bondo GR tödlich
Ein 49-jähriger tschechischer Bergsteiger ist am Mittwoch am Pizzo Badile bei Bondo GR abgestürzt und sofort gestorben. Er war mit einem Kollegen unterwegs, als er von 2900 Metern auf einen Gletscher hinabstürzte.
Zur Story