Die Liste des Grauens wächst dieses Jahr besonders schnell. Bereits 14 Femizide verzeichnet die Schweiz 2025, während im ganzen Vorjahr 21 Frauen von Männern im familiären Umfeld getötet wurden. Das jüngste Drama ereignete sich in Epagny FR. Ein 41-jähriger Mann kosovarischer Herkunft erschoss letzten Donnerstag seine 39-jährige Frau, als diese am Wohnsitz ihres Arbeitgebers den Haushalt machte. Der Täter steckte mutmasslich das Haus in Flammen und richtete sich danach selbst.
Der Fall treibt die Romandie seit Tagen um. Denn die Vorwürfe der häuslichen Gewalt waren den Behörden bekannt. Warum konnten sie den Femizid nicht verhindern? Im Brennpunkt der – politischen – Debatte stehen zwei Massnahmen, die wirkungslos blieben. Und eine Massnahme, die nicht zum Zug kam.
Der Täter von Epagny verbrachte Ende 2024 zweieinhalb Monate in U-Haft. Seine Frau warf ihm Drohungen, physische und sexuelle Gewalt vor – zog die Anschuldigung zur sexuellen Gewalt indes Anfang Dezember zurück. In der Folge wurde der Mann unter Auflagen freigelassen: Er musste seiner Frau und den Kindern auf 200 Metern fernbleiben, ein Coaching besuchen und regelmässig seinen Bewährungshelfer treffen.
Der Freiburger Generalstaatsanwalt Fabien Gasser hielt nach der Tat fest, dass Todesdrohungen im häuslichen Umfeld kein Einzelfall seien. Normalerweise habe eine mehrmonatige Haft aber einen abschreckenden Effekt, sagte er zum Westschweizer Radio RTS. Dies gelte besonders, wenn der Täter wie vorliegend zuvor noch nie im Gefängnis sass.
Warum der Effekt nicht zum Tragen kam und welche Fehler allenfalls gemacht wurden, wird nun analysiert. Aus Sicht von Gasser bleibt jedoch immer ein Restrisiko: «Wenn man das Risiko wirklich auf null reduzieren wollte, müsste man alle Personen, die Todesdrohungen aussprechen, für sehr lange Zeit inhaftieren. Das hätte aber eine enorme Gefängnispopulation zur Folge.» Anders gesagt: Es braucht andere Mittel, um die Risiken zu minimieren.
Hier hätte auch das Coaching ansetzen sollen, das der 41-Jährige nach seiner Freilassung besuchen musste. Es handelte sich um ein Anti-Gewalt-Programm des Freiburger Vereins EX-pression. Dessen Direktor Lionello Zanatta beschwerte sich am Montag bei RTS über mangelnde Ressourcen. «Ich denke, das grosse Problem liegt in den fehlenden Mitteln, insbesondere in den Institutionen und im gemeinnützigen Bereich, um eine qualitative Betreuung gewährleisten zu können.» Die Anfragen für Coachings hätten sich in fünf Jahren verdreifacht.
Der Grund: Nicht nur werden immer mehr Fälle von häuslicher Gewalt aufgedeckt, sondern man will die Betreuung der Täter auch auf einen längeren Zeitraum ausbauen. «Das macht mehr finanzielle Ressourcen unerlässlich», sagt die Waadtländer SP-Nationalrätin Jessica Jaccoud.
Ende März reichten die SP-Frauen mit NGO, Frauenorganisationen und linken Parteien in Bern eine Petition mit 21'400 Unterschriften ein. Sie fordert, dass der Bund 350 Millionen Franken für die Sicherheit von Frauen spricht – für die Opferbetreuung, aber eben auch für die Täterbegleitung. Jaccoud stellt klar: «Wenn die Bekämpfung der Femizide eine nationale Priorität sein soll – und das muss sie -, dann kann der Bund die finanzielle Verantwortung nicht auf die Kantone abschieben.»
In Freiburg hielt Sozialdirektor Philippe Demierre (SVP) seinerseits fest, dass sein Kanton die finanziellen Mittel im Bereich der häuslichen Gewalt laufend erhöhe. Er warnte vor voreiligen Schlüssen.
Der Täter von Epagny wurde elektronisch nicht überwacht. In der Schweiz wäre eine solche Massnahme bei häuslicher Gewalt seit 2022 zwar möglich. Doch gibt es zwei Aber. Das Opfer muss einen Antrag stellen. Und auch wenn das Zivilgericht zustimmt, handelt es sich nur um eine passive Überwachung. Die Polizei kann zwar die Einhaltung von Rayonverboten im Nachhinein kontrollieren, im Notfall aufgrund der Übertragungsverzögerung jedoch nicht schnell genug eingreifen.
Auch laut Staatsanwalt Fabien Gasser hätte die Polizei in Epagny wohl nichts bewirken können, wenn der Täter elektronisch überwacht worden wäre. Denn der Mann sei «sehr zielstrebig» vorgegangen.
Um diese unbefriedigende Situation zu ändern, läuft in Zürich ein Pilotprojekt, bei dem die Bewegungen von Täter und Opfer von häuslicher Gewalt rund um die Uhr elektronisch aktiv verfolgt werden. Zudem verlangt eine parlamentarische Initiative der Genfer SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz, dass der Bund die Gesetzesgrundlagen für die aktive Täterüberwachung schafft.
In diesem Fall hätte eine Untersuchungshaft bis zum Prozess und Ausschaffung unmittelbar danach vielleicht geholfen.