Die russische Armee hat offenbar bereits zehn ihrer Generalmajore, die am Angriffskrieg gegen die Ukraine beteiligt sind, verloren. Das wäre die Hälfte aller Einsterne-Generäle, die sie nach übereinstimmenden Medienberichten seit Kriegsbeginn in der Ukraine eingesetzt hat.
Entgegen der Darstellung der ukrainischen Armee berichten deutschsprachige Medien von neun getöteten Generälen. Grund für die unterschiedlichen Angaben könnte sein, dass auch internationalen Medien der Name des offenbar zehnten gefallenen Befehlshabers bislang unbekannt ist.
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Die Meldungen und Bilder aus der Ukraine zeichnen, besonders unter den Generälen, ein Bild schwerer russischer Verluste. Doch woran liegt das? «Das liegt zum einen daran, dass die Ukraine einen sehr guten elektronischen Kampf führt», sagt Wolfgang Richter, Experte für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), zu t-online. Sie könnten elektronisch aufklären, wo die Quellen der Funkgespräche herkommen und griffen anschliessend die entsprechenden Gefechtsstände an, wo sich dann auch die Generäle aufhielten.
«Zum anderen sind die Generäle in den Gefechten sehr weit vorne», sagt Richter – gerade weil es offenbar Führungsprobleme gebe und die Generäle unter Erfolgsdruck stünden.
Militärexperte Gustav Gressel sieht noch einen weiteren Grund. Es mache sich ein Fehler in der russischen Offiziersausbildung bemerkbar: Offiziere würden erst ab dem Majorsrang und einer Verwendung in Bataillonsstäben gründlich in Taktik geschult, sagt er zu t-online.
«Weil die unteren Ebenen die Zusammenhänge im Gefecht ungenügend verstehen, geht oft was schief, höhere Offiziere kommen nach vorne, um die Dinge zu regeln und werden von den Ukrainern ausgeschaltet», so der Experte und zieht eine ernüchternde Bilanz: Die russische Armee verfüge zwar auf dem Papier über viele Generäle und ausgebildete Offiziere – deren Qualität sei aber nicht besonders hoch. Offiziere mit Kampferfahrung in Syrien oder im Donbass seien vermutlich viel weniger vorhanden als Russland das vor dem Krieg weiss machen wollte.
Nachhaltig werde sich der Verlust der Generäle im Kriegsgeschehen wohl nicht bemerkbar machen, sagt Sicherheitsexperte Richter. «Es sind viele höhere Offiziere ausgebildet, um später einmal General zu werden. Wenn Generäle fallen, folgen diese also nach», erklärt Richter. Ausserdem gebe es immer Stabchefs oder Stellvertreter, die übernehmen können.
Die Führungsfähigkeit dürfte der Verlust der Generäle somit nicht grundsätzlich beeinträchtigen. «In den laufenden Gefechten entstehen allerdings zeitlich begrenzte Führungslücken. Sie können in der Truppe vorübergehende Orientierungslücken verursachen, zumal sie nicht trainiert ist, auch ohne Befehle selbständig zu handeln», erklärt der Experte.
Anders sehe das bei den russischen Verlusten im Allgemeinen aus, sagt Richter: «Die sind in der Tat erheblich». Russland habe die Ukraine mit mindestens 180'000 Soldaten angegriffen – «und ich spreche hier nur von Landstreitkräften», räumt Richter ein. Die Ukrainer gäben mit 21'000 russischen Gefallenen wahrscheinlich zu viel an, die westlichen Schätzungen kämen etwa auf 10'000 bis 15'000.
Aber selbst, wenn man von einem Mittelmass von 12'000 ausgehe, müssten zu den Gefallenen immer auch die Verwundeten hinzugerechnet werden, sagt der Experte. Das sei oft die dreifache Zahl. Erst dann komme man auf die eigentlichen Ausfälle, die die russische Armee zu verzeichnen habe. «Und da müssen wir davon ausgehen, dass ein Fünftel bis ein Viertel der Soldaten, die zu Beginn des Krieges gegen die Ukraine im Einsatz waren, ausgefallen sind und durch weitere Reserven ersetzt werden müssen.»
Das ist allerdings alles andere als einfach: Es werde für Russland schwierig, die Truppen jetzt wieder aufzufüllen, so Richter. Russland verfüge über etwa 360'000 Landstreitkräfte. Ein Grossteil dieser Streitkräfte werde jedoch im Hohen Norden, an den Grenzen zum baltischen Raum, in Zentralasien, im Fernen Osten oder im Kaukasus benötigt.
«Die russischen Bodenkräfte sind strategisch überdehnt, so viele Reserven kann man für den Einsatz in der Ukraine nicht mehr zusammenholen, ohne gefährliche Risiken an anderer Stelle einzugehen», sagt der Experte. Russland sei daher darauf angewiesen, schnell Geländegewinne zu erzielen. Dies werde nun im Osten und Süden der Ukraine versucht.
«Danach aber wird es knapp für die russischen Truppen», so Richter. Denn bis die Wehrpflichtigen, die zuletzt im April einberufen wurden, so weit seien, dass sie eingesetzt werden könnten, dauere es Monate. Und auch dann dürften Wehrpflichtige eigentlich nicht im Ausland eingesetzt werden. «Diese Grundregel wird von der russischen Führung jedoch nicht mehr überall eingehalten», so der Experte.
Dass es für Russland eng wird, sehe man auch daran, dass bereits syrische Kämpfer rekrutiert oder tschetschenische Kämpfer eingesetzt würden. Diese Truppen seien allerdings nicht genügend ausgebildet und ausgerüstet, um ein taktisches Gefecht verbundener Waffen zu führen, sondern dienten eher dazu, das Hinterland zu kontrollieren oder subversiv zu kämpfen.
Wird Russland also seine Strategie ändern? «Möglicherweise werden Luftangriffe auf die Ukraine zunehmen», sagt Richter. Denn unabhängig von den geschwächten Bodentruppen sei Russland der Ukraine bei den Luftstreitkräften deutlich überlegen. Umso mehr müsse man sich wundern, dass es Russland dennoch noch nicht gelungen ist, die Luftherrschaft über die Ukraine zu gewinnen. Die ukrainische Luftabwehr funktioniere noch immer. Russland werde seine Luftangriffe also mit Abstandswaffen, Raketen und Marschflugkörpern, fortsetzen und versuchen, Bombenabwürfe direkt über den Zielen zu vermeiden.
Man darf aber auch nicht ausser acht lassen, dass je nach Verletzung auch Verletzte wieder Einsatzfähig werden. Aber das wird ihre Motivation sicher nicht erhöhen.
Ich denke aber auch, dass die Ukrainer dieselben „Probleme“ haben, ausser bei der Motivation. Sie kämpfen für ihre Freiheit, ihr Land und ihre Familien, nicht wie die Russen, die für Waschmaschinen ihr Leben riskieren.